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Fall Magnitski wirft Schatten in die Schweiz

Natalia Magnitskaya, die Mutter Sergei Magnitskis, erinnert im November 2009 an ihren in Haft verstorbenen Sohn. Keystone

Der Fall des russischen Steueranwalts Sergei Magnitski, der 2009 in einem Moskauer Gefängnis qualvoll starb, nimmt zunehmend internationale Dimensionen an. Die Spuren von Geldern, die der 37-Jährige verfolgt hatte, führen auch in die Schweiz.

Im Rahmen seiner Tätigkeit für ein Finanzunternehmen in Moskau stiess Magnitski 2007 auf den grössten Fall von Steuerbetrug in der Geschichte Russlands. Es ging um ein Betrugssystem mit illegalen Steuerrückerstattungen, das Funktionäre des russischen Innen- sowie Finanzministerium aufgezogen haben sollen.

Magnitski arbeitete für die Firma Hermitage Capital Management von Bill Browder, der zu den  erfolgreichsten Investoren in Russland gehört hatte.

Während einer Razzia der Moskauer Büros von Browders Investitionsfonds beschlagnahmten Polizisten Stempel und Urkunden. Diese wurden alsdann dazu missbraucht, um fingierte Steuerrückzahlungen in der Höhe von 230 Mio. Dollar geltend zu machen.

Nachdem Magnitski die Machenschaften publik gemacht hatte, wurde der Anwalt Ende 2008 unter der falschen Anschuldigung der Steuerhinterziehung verhaftet. Während der elfmonatigen Haft wurde er gefoltert, auch wurden ihm lebenswichtige Medikamente verweigert. Die Umstände seines Todes am 16. November 2009 in einer Isolationszelle sind bis heute ungeklärt.

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Moskau dreht Spiess um 

Diese Version der Ereignisse wird von den USA, dem Europaparlament, Amnesty International und der russischen Opposition anerkannt, nicht aber von den russischen Behörden. Diese ermitteln vielmehr posthum gegen Magnitski. Eine erste Anhörung ist für den 28. Januar angesetzt.

Anfang 2013 kündigte die Bundesanwaltschaft der Schweiz die Blockierung von weiteren Geldern an. Diese stehen im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen unbekannt wegen Geldwäsche. Bereits im letzten März wurden in dieser Angelegenheit Konten in der Schweiz eingefroren.

Die russische Botschaft in Bern wollte gegenüber swissinfo.ch zu diesen neuesten Entwicklungen nicht Stellung nehmen. Auch Moskau hat sich nie offiziell über die Ermittlungen der Schweizer Bundesanwaltschaft geäussert.

Auch von der Finma, der Schweizer Finanzmarktaufsicht, war kein Kommentar zum Fall Magnitski erhältlich.

Der in den USA Geborene kam 1996 nach Russland, wo er den erfolgreichen Investmentfonds Hermitage Capital Management betrieb.

Sein Grossvater war Generalsekretär der Kommunistischen Partei der USA, sein Vater war in Russland geboren.

Als junger Mann habe er innerhalb seiner Familie rebelliert, indem er einen Anzug getragen habe und Kapitalist geworden sei, sagt Browder.

Hermitage Capital Management war sehr erfolgreich, als Browders Aufenthaltsbewilligung 2005 ohne Vorwarnung nicht mehr verlängert wurde.

In seiner Abwesenheit stahlen russische Beamte bei einer Razzia der Büroräume von Hermitage Capital Management Stempel und Urkunden. Diese wurden dann dazu benutzt, um fingierte Steuerrückzahlungen in der Höhe von 230 Mio. Dollar geltend zu machen.

Der Betrug durch russische Ministerialbeamte wurde durch den Anwalt Sergei Magnitski aufgedeckt und publik gemacht. Das sollte ihm das Leben kosten.

Browder, der heute britischer Bürger ist, führt Hermitage Capital Management weiter. Die Firma ist aber nicht mehr in Russland aktiv.

Er war am Aufbau der Internetseite “Stoppt die Unberührbaren – Gerechtigkeit für Sergei Magnitski” beteiligt.

Spur des Geldes aufgenommen

Nach dem Tod seines Steueranwalts machte sich Firmeninhaber Browder selbst auf die Spur der 230 Mio. Dollar (214 Mio. Franken) aus dem Betrug. “Wenn wir schon innerhalb Russlands keine Gerechtigkeit erfahren, suchen wir sie wenigstens ausserhalb Russlands. Dazu muss die Spur des Geldes verfolgt werden”, sagte Browder zu swissinfo.ch. “Das haben wir gemacht. Nach drei Jahre dauernden Untersuchungen wissen wir, wohin 135 Mio. Dollar gingen.”

Eine wichtige Quelle war Alexander Perepilichni, einer der Hauptzeugen der Befragungen durch die Schweizer Ermittler. Der 44-jährige Russe aber starb im vergangenen November in London unter ungeklärten Umständen.

Es sei eine der Stärken ihrer Verfahren, dass sich ein solch tragischer Vorfall nur minim auf die Ermittlungen auswirke, liess die Bundesanwaltschaft verlauten.

Browder wurde von Perepilichni erstmals im Sommer 2010 kontaktiert. “Er kam mit einem Stapel von Dokumenten, die bewiesen, dass 8 Mio. Euro auf Konten von Familienmitgliedern jener Beamtin flossen, die den grössten Teil der fingierten Steuerrückgaben genehmigt hatte”, sagte der Amerikaner. Dieses Geld sei auf Konten der Credit Suisse in Zürich transferiert worden.

Anfang 2011 wurde in Bern deswegen Strafklage eingereicht. Dasselbe geschah in Estland, Lettland, Litauen, Finnland, Zypern, Österreich und Hong Kong.

Kalter Krieg im Miniformat 

Der Fall belastet inzwischen sogar die Beziehungen der USA und Russland. Mit dem sogenannten Magnitski-Gesetz verbot Washington rund 60 russischen Beamten die Einreise, die als Mitschuldige am Tod des Anwalts Magnitski gelten. Im Gegenzug verbot der Kreml die Adoptionen russischer Kindern durch US-Bürger.

Der Fall ist noch lange nicht abgeschlossen. Bowders Ziel ist es, das Magnitski-Gesetz noch in diesem Jahr auch in der Europäischen Union durchzusetzen. Zudem sollen alle Länder, in die Gelder aus dem Steuerbetrug geflossen sind, diese einfrieren und Verfahren eröffnen.

Damit stösst Bill Browder auf offene Türen. Im letzten Oktober forderten Mitglieder des Europaparlaments in einer Resolution den EU-Ministerrat auf, eine Liste mit den Namen von Beamten vorzulegen, die für den Tod Magnitskis, die nachträgliche Vertuschung sowie für die Einschüchterung seiner Angehörigen verantwortlich sind. Für die Betroffenen fordern die Parlamentarier EU-weite Einreisesperren und die Blockierung der persönlichen Vermögen sowie jener der Angehörigen.

Bisher hat der Fall Magnitski in der Schweiz keine grosse Aufmerksamtkeit erregt. Das könnte sich aber noch ändern.

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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