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Europa gewährt der Schweiz Aufschub

Die Schweizer Textilindustrie kann vorläufig aufatmen. Keystone

Die Schweiz hat im Zolldisput mit der Europäischen Union eine Runde gewonnen. Sie muss auf den Waren aus der EU, die sie wieder dorthin exportiert, vorläufig keinen Zoll bezahlen.

Brüssel wird die für 1. März geplante Massnahme um drei Monate aufschieben.

Der Schweizer Delegationsleiter Luzius Wasescha zeigte sich am Dienstag vor den Bundeshausmedien befriedigt: Der Aufschub sei ein erster Schritt in Richtung definitive Lösung.

Zollkodex sieht Ausnahmen vor



Seitens der EU habe man erkannt, dass ein Inkraftreten der neuen Zölle gewisse Nachteile – für die Schweiz, aber auch für die Union – haben könnte. Der Zollkodex der EU sehe zudem gewisse Ausnahmen vor.

Wasescha ist optimistisch im Hinblick auf die weiteren Verhandlungen: Es sei gut möglich, dass die EU ganz einlenken werde.

In einem Monat wollen sich beide Parteien wieder an einen Tisch setzen. Bis dahin soll laut Wasescha die unterschiedliche Rechts-Auffassung der EU und der Schweiz vertieft erörtert werden.

Inakzeptable Zölle



Für Volkswirtschaftsminister und Bundespräsident Joseph Deiss wäre eine Erhebung von Zöllen seitens der EU “inakzeptabel” und wider den Freihandelsvertrag. Also müssten die geplanten Massnahmen nicht nur aufgeschoben, sondern aufgehoben werden. Bern werde auf dieses Ziel hinwirken, betonte Deiss in einem Interview mit Radio DRS.

Laut Deiss hat die Schweiz “gute Argumente”, sowohl rechtlich als auch politisch. “Es wäre für unsere Beziehung sicher eine grosse Belastung, wenn wir das nicht wegkriegen.”

Kein Zusammenhang mit den Bilateralen

Im Einklang mit EU-Spitzenbeamten sagte Deiss, auch die Schweizer Regierung sei überzeugt, dass die Zollangelegenheit nichts mit den blockierten bilateralen Verhandlungen Berns mit Brüssel zu tun habe. “Wir müssen jetzt einfach aufpassen, und das gilt ebensosehr für die EU wie für uns, dass wir keinen Zusammenhang aufbauen, der das Ganze beeinträchtigen könnte.”

Unterdessen bekräftigte der für die Zollfragen zuständige EU-Kommissar Frits Bolkestein in einem Telefongespräch mit Deiss am Mittwoch den Aufschub der Zollmassnahmen offiziell. Zudem habe Bolkestein in dem Gespräch unterstrichen, dass die Zölle nichts mit den Bilateralen II zu tun hätten, sagte ein Sprecher des Volkswirtschafts-Departements.

Bundespräsident Joseph Deiss habe bei dieser Gelegenheit zudem wiederholt, dass die Zölle das Freihandels-Abkommen verletzten und daher definitiv vom Tisch
müssten.

Abkommen verletzt

Die EU-Ursprungs-Kommission beruft sich für ihr Vorgehen auf den Zollkodex der Union. Die Schweiz ihrerseits sieht das Freihandels-Abkommen von 1972 verletzt. Damals waren für Industrieprodukte der EU wie der Schweiz Zollfreiheit vereinbart worden.

Auch die volkswirtschaftliche Tragweite der neuen Zölle soll analysiert werden. Zu diesem Zweck lässt die Schweiz der EU Daten über die möglichen Auswirkungen zukommen. Aufgrund von Einzelfällen wolle man dann nach Lösungen suchen, sagte Delegationsleiter Luzius Wasescha.

Bei den neuen Zöllen gehe es nicht um “Peanuts”, sagte Wasescha weiter. Im Bereich der Spezialitäten-Chemie etwa gehe es um einen jährlichen Warenwert von 1 bis 2 Mrd. Franken, beim Autohandel um einen solchen von 1,2 Mrd. Franken.

In Basel monierte die Schweiz auch, von der EU nicht über die neuen Zölle informiert worden zu sein. Dies sei damit begründet worden, dass die betreffende Kommission EU-intern eine Auslegung des Zollkodexes vorgenommen habe, sagte Wasescha.

Ball liegt bei der EU



Der Ball liegt nun bei der Generaldirektion Taxud (Taxation and Customs Union) der EU. Sie wird in erster Instanz über den Aufschiebungs-Antrag der Verhandlungs-Delegation unter Alexander Wiedow, Direktor Zollpolitik bei der EU, entscheiden.

Erste Beschlüsse könnten schon am Mittwoch bekannt werden. Dann findet nicht nur die wöchentliche Sitzung des Bundesrates, sondern auch das EU-Briefing statt.

Wie Deiss betonte auch Wasescha, dass ein Zusammenhang mit den bilateralen Verhandlungen sehr unwahrscheinlich sei. “Die Welt ist nicht so einfach”, sagte er. Im Übrigen sei nicht nur die Schweiz von den neuen Zöllen betroffen.

Unsicherheit bleibt



Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse zeigte sich über die geplante dreimonatige Verschiebung erleichtert. Die Unsicherheit bezüglich künftiger Re-Exporte bleibe aber bestehen.

swissinfo und Agenturen

Für Botschafter Luzius Wasescha ist der geplante Aufschub der EU-Zölle ein “Sieg für die Freihandels-Zone in Europa”. Es werde in den kommenden Wochen aber viel Arbeit brauchen, um die EU-Kommission davon zu überzeugen, dass es von gegenseitigem Interesse sei, keine neuen Tarif-Hindernisse zu schaffen.

Von den Abgaben wären in der Schweiz vor allem die Bekleidungs-Branche, der Handel und die Chemie-Industrie betroffen.

“Wir sind erleichtert”, sagte Gregor Kündig von der economiesuisse-Geschäftsleitung. Trotzdem bleibe aber die Unsicherheit bestehen. “Wir hätten uns gewünscht, dass die EU ganz auf die Zölle verzichtet”, sagte er. Die von einem Experten-Gremium der EU beschlossene Massnahme verstosse nach Auffassung der Schweizer Wirtschaft gegen den Geist und den Inhalt des Freihandels-Abkommens zwischen der Schweiz und der EU.

Noch unverständlicher sei, dass der Beschluss ohne Konsultation der Handelspartner kurzfristig eingeführt werden sollte. Der Schaden wäre laut economiesuisse in einzelnen Wirtschafts-Sektoren und Unternehmen bedeutend, in verschiedenen Fällen gar existenz-bedrohend.

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