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ABB entlarvt Elektrokartell und entgeht der Strafe

ABB: Am Elektrokartell beteiligt, aber dank früher Entlarvung ("Whistleblowing") der Strafe entgangen. Keystone

Die EU-Kommission bestraft ein Kartell von elf Elektrokonzernen mit Rekordbussen von über 750 Millionen Euro. Der mitbeteiligten ABB wird die Busse erlassen.

Dank der Aufdeckung muss der Elektro-Konzern seine Busse von 215 Mio. Euro nicht bezahlen. Die Mitglieder des Kartells sprachen Preise ab und fingierten Offerten.

Sechzehn Jahre lang, von 1988 bis 2004, betrieben die grössten europäischen und japanischen Elektro-Konzerne ein Kartell für so genannte gasisolierte Schaltanlagen (GIS).

GIS sind schwere elektrische Geräte, die in den Umspannwerken der Stromversorgung eingesetzt werden.

Mitte Woche bestrafte die EU-Kommission die Kartellfirmen für diese “sehr schwer wiegenden Verstösse” gegen das EU-Wettbewerbsrecht mit Bussen von insgesamt 751 Millionen Euro (1,2 Mrd. Franken).

Für ein einzelnes Kartell ist dies eine Rekordstrafe. Davon erhielt Kartellführer Siemens knapp 400 Millionen Euro aufgebrummt, auch dies ein Rekord.

ABB als Whistleblower nicht bestraft

Mit von der Partie war auch ABB. Doch die Strafe von 215 Millionen Euro, die der Schweizer Elektro-Konzern zahlen müsste, wurde auf Grund der Kronzeugenregelung vollständig erlassen.

Dank einer Meldung aus Zürich wurde die EU-Kommission im Mai 2004 überhaupt erst aktiv und stellte anschliessend bei Hausdurchsuchungen weiteres belastendes Material sicher.

Effektiv bestraft werden also zehn der elf am Kartell beteiligten Konzerne. Die rechtzeitige Anzeige hat sich für ABB gelohnt: Zuerst profitierte der Konzern vom Kartell, nun entgeht er der Strafe.

“Man kann sagen, dass dies nicht gerecht sei”, gab der Sprecher von EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes zu, “andererseits hätten wir ohne die Informationen von ABB vielleicht nie etwas vom Kartell erfahren”.

Raffiniertes Verschleiern

Denn die Konzerne hatten das Kartell raffiniert verschleiert: Die Firmen kommunizierten über anonyme E-Mail-Adressen und verwendeten Codenamen für die beteiligten Firmen und Personen.

Dank den Informationen von ABB konnte die EU-Kommission in den anderen Firmenzentralen Polizeirazzien durchführen lassen und insgesamt 25’000 Seiten Beweisunterlagen sichern.

Gemäss einer EU-Kronzeugenregel für Kartellfälle wird die erste Firma, die ihr Mitmachen an einem Kartell zugibt, von Bussen befreit. Eine Reduktion der Bussen kann auch Firmen gewährt werden, die erst später kooperieren.

In diesem Fall meldeten sich andere Kartellsünder aber zu spät. “Sie kamen erst nach der Inspektion und konnten keine zusätzlichen Informationen liefern”, sagte der Sprecher von Wettbewerbskommissarin Kroes.

Grossteil der Branche machte mit

Siemens will die Busse vor dem Europäischen Gerichtshof anfechten, wie der Konzern gestern in einer Mitteilung erklärte: “Die Bussen sind völlig überzogen”, schrieb die Firma.

Weiter am Kartell beteiligt waren Alstom, Areva, Fuji, Hitachi, Japan AE Power Systems, Mitsubishi Electric Corporation, Schneider, Toshiba und VA Tech.

Die japanischen Firmen bestrafte die EU-Kommission, weil sie sich aufgrund der Kartellabsprache vom EU-Markt fernhielten. Als Gegenleistung mischten sich die EU-Firmen nicht in den japanischen Markt ein.

ABB: Entlarvung und Entlassungen

Bei ABB will man das eigene Vorgehen hingegen als Beleg der Null-Toleranz-Politik gegen unlautere Geschäftspraktiken verstanden wissen: Nachdem das Topmanagement von den Absprachen erfahren habe, habe man das Kartell umgehend an die EU-Kommission gemeldet und auch personelle Konsequenzen gezogen, erklärte gestern Konzernsprecher Wolfram Eberhardt.

Mehrere Mitarbeiter, auch aus dem oberen Kader, mussten das Unternehmen in der Folge verlassen.

ABB fühle sich dem fairen und offenen Wettbewerb verpflichtet. Ihren Gesellschaften und Angestellten seien wettbewerbsfeindliche Praktiken unter allen Umständen untersagt, gab die Konzernzentrale in Zürich bekannt.

swissinfo, Simon Thönen, Brüssel

ABB (Asea Brown Boveri) ging 1988 aus der Fusion der schwedischen Asea (gegründet 1883) und der schweizerischen BBC Brown Boveri (gegründet 1883) hervor.

Nach einem zu schnellen Expansionskurs geriet der Konzern ab 2001 in Schieflage. Dazu kamen die Klagen im Zusammenhang mit dem Asbestproblem in den USA.

Heute ist ABB weltweit führend in der Energie- und Automations-Technologie.

Zur Zeit beschäftigt der Konzern in rund hundert Ländern insgesamt 107’000 Personen. 2005 resultierte ein Gewinn von 735 Mio. Dollar bei 22,4 Mrd. Dollar Umsatz.

Schlagzeilen machte 2001 ein anderes Kartell in der Schweiz: Das Vitamin-Kartell. Auch damals war ein Schweizer Konzern daran beteiligt. Die Vitamin-Division des Basler Pharmakonzerns Roche hatte jahrelang Preisabsprachen praktiziert.

Das Bussgeld der EU-Kommission fiel damals noch höher aus als die jetzt im Siemens-Skandal ausgesprochene Strafe. Allein Roche musste 670 Mio. Franken bezahlen. Doch es handelte sich um mehrere Vitamine-Märkte.

Im Mai 1999 hatten sich Roche und BASF in einem Vergleich mit dem US-Justizministerium wegen illegaler Marktabsprachen im Vitamin-Geschäft für schuldig erklärt.

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