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Die Fairtrade-Bananen des Finanzsektors

Viehzüchterin und Kleinunternehmerin Safina Musa Mchomba aus Tansania freut sich, dass Kuh Kisura bald kalbt. oikocredit.org

Soziale Investitionen mit Rendite: Damit werben heute nicht mehr nur Genossenschaften, die in Entwicklungsländern Mikrokredite vergeben, sondern zunehmend auch Banken. Die Pioniere beobachten die Entwicklung mit einer gewissen Skepsis.

“Da wird vieles angeboten”, sagt Claudia Nielsen, Geschäftsleiterin von Oikocredit deutsche Schweiz. “Die Anlegerinnen und Anleger sollten genau hinschauen.”

Die Genossenschaft Oikocredit gehört zu den Pionierinnen: Seit mehr als 30 Jahren vergibt sie in Entwicklungsländern Mikrokredite und versetzt damit Menschen in die Lage, sich mit Erwerbstätigkeit eine Lebensgrundlage zu schaffen.

Rund 17 Millionen Menschen haben bisher via Oikocredit einen Kredit erhalten. Die Dividende für die weltweit 30’000 Anleger betrug in den letzten Jahren stets 2%.

Das sei zwar nicht viel, sagt Nielsen, aber mehr als gegenwärtig ein Sparkonto abwerfe. Renditemaximierung hält sie für problematisch: “Gleichzeitig grossen Gewinn machen und etwas Gutes tun – das geht nun mal nicht.”

Velo als Sicherheit

Die bescheidene ökonomische Rendite erlaube es, Darlehen zu bezahlbaren Zinssätzen zu vergeben und auch riskantere Projektpartner zu finanzieren, schreibt die Genossenschaft auf ihrer Webseite.

“Banken verlangen die üblichen Sicherheiten, bei uns dient auch mal ein Velo als Sicherheit”, sagt Nielsen. Oikocredit wolle jene Menschen erreichen, die sonst keinen Zugang zu Krediten hätten – Menschen in Slums und abgelegenen ländlichen Gebieten.

Ökonomische Rendite im Vordergrund

Mehr Gewinn wirft zum Beispiel der von Credit Suisse aufgelegte “responsAbility Global Microfinance Fund” ab, der von der Aktiengesellschaft responsAbility Social Investments bewirtschaftet wird. Im vergangenen Jahr belief sich die Dividende in Franken auf über 5%.

Das Versprechen, gleichzeitig ökonomische und soziale Rendite zu erzielen, stösst auf Interesse: Seit der Gründung von responsAbility im Jahr 2003 hat die Zahl der Anleger rasant zugenommen, das Unternehmen verwaltet inzwischen über 800 Mio. Dollar.

Fünfer und das “Weggli”

Das Angebot von responsAbility komme Anlegern entgegen, die ohne Verzicht auf Gewinn einen Beitrag zur Entwicklung leisten möchten, sagt Sprecherin Michèle Chevin. “Unsere Produkte sind gewissermassen die Fairtrade-Bananen des Finanzsektors.”

Dass die Kreditvergabe anders funktioniert als bei Oikocredit, bestätigt sie aber: “Wir arbeiten nur mit etablierten Partnern und investieren dort, wo Sicherheiten vorhanden sind.”

Unterschiede gibt es auch bei den Zielländern. Während Oikocredit 14% der Kredite in afrikanischen Ländern vergibt, investiert responsAbility nur rund 2% des Fondsvolumens auf dem ärmsten Kontinent.

Das Unternehmen würde gerne mit Partnern in Afrika arbeiten, doch seien die Bedingungen schwierig, erklärt Chevin. Eine weitere Differenz betrifft die Mindesteinlage. Beim “responsAbility Global Microfinance Fund” beträgt sie 1000 Franken, bei Oikocredit 200 Euro.

Aber bitte Transparenz

Für die Hilfswerke ist wichtig, dass Mikrokredite nicht als Ersatz für Entwicklungshilfe betrachtet werden. Zudem pochen sie auf Transparenz. “Wichtig ist, dass die Anleger nachvollziehen können, wie und wo Mikrokredite vergeben werden”, sagt Mark Herkenrath, Verantwortlicher für Finanzfragen bei Alliance Sud, der Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke.

Von Finanzkrise kaum betroffen

Unter der Finanzkrise haben bisher weder Oikocredit noch responsAbility gelitten.

Claudia Nielsen von Oikocredit rechnet für 2009 mit einem ähnlichen Wachstum der Anlagesumme wie 2008. Im vergangenen Jahr verzeichnete die Genossenschaft in der deutschsprachigen Schweiz ein Plus von 3,4 Mio. Franken. Im ersten Halbjahr 2009 nahm die Kreditsumme weltweit um 47,5 Mio. Euro zu.

responsAbility spricht von einem “konstanten Investoreninteresse”. Der “responsAbility Global Microfinance Fund” habe sich bisher gut gehalten, sagt Michèle Chevin. Der Mikrofinanzmark sei aber nicht gänzlich unbeeinflusst von der Krise, räumt sie ein. “Mikrofinanzinstitutionen verzeichnen heute generell ein geringeres Wachstum.”

Die Kreditqualität sei im Schnitt nicht mehr so hoch wie in den vergangenen Jahren, die typischerweise sehr hohe Rückzahlungsquote sei leicht rückläufig. “Die Finanzkrise ist in der Realwirtschaft der Entwicklungsländer angekommen”, sagt Chevin. “Dies spüren auch Kleinstunternehmer.”

Charlotte Walser, swissinfo.ch und InfoSüd

Von Mikrokrediten profitieren Kleinstunternehmer wie Suren Avaguyan.

In Nischni Nowgorod (Russland) hat Avaguyan eine Schusterwerkstatt aufgebaut.

Laut responsAbility konnte er dank Mikrokrediten zwei weitere Filialen in der Stadt eröffnen und Angestellte einstellen.

Die Bosnierin Hasija Begovic eröffnete mit Hilfe von Mikrokrediten einer responsAbility-Partnerinstitution eine Schneiderei.

In Tansania am Fusse des Kilimandscharo wird eine Gruppe von 18 Frauen durch eine Partnerinstitution von Oikocredit unterstützt.

Mikrokredite von jeweils wenigen hundert Franken ermöglichten es ihnen, ihr Einkommen entscheidend zu verbessern und ihre Kinder zur Schule zu schicken.

Eliam Faasia zum Beispiel lancierte eine Backsteinproduktion.

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