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Die Landesbibliothek im Schatten von Google

Marie-Christine Doffey nach ihrer Wahl mit ihrem Vorgänger Jean-Frederic Jauslin. Keystone

Die altehrwürdige Institution steht unter Konkurrenzdruck, wie ihre neue Direktorin, Marie-Christine Doffey, im Gespräch mit swissinfo feststellt.

Die Freiburgerin leitet die Landesbibliothek seit dem 1. April dieses Jahres.

Marie-Christine Doffey nimmt die Zügel einer Institution in die Hand, die durch die neuen Online-Akteure zunehmend unter Konkurrenzdruck steht. Das in einer Zeit, in der die öffentlichen Gelder immer sparsamer fliessen.

swissinfo: Was bedeutet es für Sie, an der Spitze dieses grossen Hauses zu stehen?

Marie-Christine Doffey: Die Institution ist für mich nicht neu, ich arbeite seit 1991 da und bin Schritt für Schritt die Karriereleiter hinaufgeklettert, wie man sagt.

Die Finanzen sind ein schwieriger Aspekt dieses Jobs. Das ist eine wirkliche Bremse, die für alle nur schwer zu akzeptieren ist, denn die letzten fünfzehn Jahre waren eine Phase des Wachstums und der Entwicklung.

Mein Hauptanliegen ist es, die negativen Folgen für unsere Nutzer und Nutzerinnen so weit wie möglich zu vermeiden.

swissinfo: Welche Ambitionen haben Sie für diese Institution?

M.-C.D: In einem stark von Konkurrenz geprägten Markt muss eine Bibliothek innovativ sein. Sie muss regelmässig neue Aktivitäten entwickeln, neue Leistungen für das Publikum erbringen.

Im Rahmen des vom Bundesrat festgehaltenen Leistungsauftrags werden wir ab nächstem Jahr mehr Flexibilität und mehr Autonomie haben, aber weiterhin zum Bundesamt für Kultur gehören.

Doch wir haben auch klar definierte Ziele. Meine Rolle als Bibliotheksdirektorin ist es, die Institution so zu führen, dass sie ihre Ziele in vier grossen Bereichen erreicht.

swissinfo: Das sind?

M.-C.D: Erstens die Realisierung des Doppelmandats zur Erhaltung und zur Verfügungsstellung all unserer Dokumente.

Das zweite Ziel besteht darin, dem Publikum unsere Leistungen auch online zu erbringen. Wir haben den doppelten Auftrag, die Nutzerinnen und Nutzer bei uns im Haus zufrieden zu stellen und die Information über das Internet zu erleichtern. Das wird schwierig, denn es ist nicht möglich, alle Dokumente zu digitalisieren und ins Internet zu stellen.

Drittens geht es darum, unsere Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene zu intensivieren. Heute ist Zusammenarbeit das A und O. Die Ressourcen haben abgenommen, die Kompetenzen werden immer spezialisierter. Deshalb, und auch für mehr Effizienz, müssen die Kräfte gebündelt werden.

Das letzte Ziel ist die Ausweitung und Festigung des Markenimages der Bibliothek beim Publikum.

swissinfo: Das Internet ist eine Art Komprimierung des Wissens. Welchen Platz hat es in diesem Kontext für eine Landesbibliothek?

M.-C.D: Eine Landesbibliothek, und Bibliotheken ganz allgemein, haben immer ihren Platz. Ihre Rolle ist nicht die gleiche wie jene des Internets.

Das Internet bietet Zugang zu enorm vielen Informationen. Es sind Informationen, die oft nicht strukturiert sind und in denen man sich schnell verliert. Das Know-how der Bibliotheken erlaubt es, diese Informationen zu organisieren, und auch als Mittler zwischen dem Publikum und der Information zu dienen.

Diese Vermittlerrolle können nur die Fachleute einer Bibliothek anbieten. Verschiedene Dienstleistungen werden in diesem Bereich aufgebaut, es entsteht Konkurrenz, das stimmt. Aber unsere Aufträge gehen über das hinaus, was das Internet übernehmen kann.

swissinfo: Google hat letztes Jahr ein gigantisches Digitalisierungs-Programm von Büchern angekündigt. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

M.-C.D: Wir haben die Ankündigung genau beobachtet. Sie wurde im Rahmen der europäischen Bibliotheken diskutiert. Frankreich hat reagiert und eine Anzahl weiterer europäischer Länder zum Reagieren gebracht. Nun wird ein umfangreiches Digitalisierungs-Projekt lanciert.

Die Ankündigung von Google war gut in dem Sinn, dass die europäischen Bibliotheken sich in Bezug auf die Digitalisierung positionieren konnten.

Was Google zu tun versucht, ist sehr interessant. Aber dieses sehr ambitiöse Projekt – man spricht von 18 Millionen digitalisierten Dokumenten – wirft eine Reihe von Fragen auf.

Welche Art Dokumente werden digitalisiert? Wie werden die Probleme der Urheberrechte gelöst? Welche Massnahmen zur Konservierung werden ergriffen?

swissinfo: Wer ist die wirkliche Konkurrenz der Landesbibliothek?

M.-C.D: Google. Google verfügt über enorme Mittel. Es ist ein Konkurrent in Bezug auf Finanzen, Technologie, Reaktionsschnelligkeit und Vorwegnahme neuer Gewohnheiten. Es ist ein Konkurrent, ganz einfach, weil wir nie solch umfangreiche innovative Projekte so schnell lancieren können.

Hingegen können wir uns durch Google inspirieren lassen, ohne uns anzuschliessen. Und wir können sehen, wo wir es aufgrund anderer Interessen besser machen können.

swissinfo-Interview: Pierre-François Besson
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Die Landesbibliothek, das sind 160 Mitarbeitende, ein Budget von 18 Mio. Franken und 3,7 Mio. Dokumente.
Die Bibliothek verwaltet über 220 literarische Bestände, vollständig oder teilweise von: Blaise Cendrars, Jacques Chessex, Friedrich Dürrenmatt, Hermann Hesse und Rainer Maria Rilke.

Die Freiburgerin Marie-Christine Doffey wurde 1958 geboren und arbeitet seit 1991 in der Landesbibliothek. Sie hat ein Lizenziat in Altertums-Wissenschaften und einen Mastertitel in Kulturmanagement.

Marie-Christine Doffey war seit Januar 2003 Vizedirektorin der Institution und wurde am 1. April dieses Jahres Nachfolgerin von Jean-Frédéric Jauslin, der neuer Direktor des Bundesamts für Kultur wurde.

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