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Swisscom-Privatisierung ist vom Tisch

Die Fäden der Swisscom-Privatisierung müssen neu gezogen werden. Keystone

Der Ständerat ist am Mittwoch dem Nationalrat gefolgt und nicht auf die Vorlage des Bundesrates eingetreten. Der wollte die Swisscom privatisieren.

Der zuständige Finanzminister Hans-Rudolf Merz will nicht von einem Desaster sprechen. Die Gewerkschaften sind erfreut. Die Swisscom hofft auf einen neuen Anlauf.

Das Parlament will keine “blanke” Privatisierung der Swisscom. Der Ständerat, die kleine Kammer, ist am Mittwoch der grossen Kammer (Nationalrat) gefolgt und mit 23 zu 21 Stimmen auf die Vorlage des Bundesrates nicht eingetreten. Damit ist das Geschäft vom Tisch.

Wie im Nationalrat bewährte sich eine Koalition von Christlichdemokratischer Volkspartei (CVP) und Sozialdemokraten (SP) gegen die Freisinnigen (FDP) und die Schweizerische Volkspartei (SVP). Der Bundesrat, die Schweizer Regierung, muss die Frage der Mehrheitsbeteiligung des Bundes an der Swisscom nun ganz neu aufrollen.

Merz: Ratlos

Finanzminister Hans-Rudolf Merz bat den Ständerat vergebens darum, das Geschäft in der Hand zu behalten.

Mehrheit und Minderheit anerkannten zwar Handlungsbedarf. Umstritten war aber der richtige Weg. Die unterlegene Kommissionsmehrheit wollte das Geschäft mit Aufträgen für eine Neuauflage an den Bundesrat zurückweisen. Die obsiegende
Kommissionsminderheit will einen völligen Neuanfang.

Bundesrat Merz sagte, das Nichteintreten lasse ihn “ratlos” zurück. Eine Rückweisung hätte ihm die Chance gegeben, das Geschäft mit parlamentarischem Sukkurs neu aufzugleisen, ein behutsameres Privatisierungstempo anzuschlagen, die Grundversorgung sicherzustellen und ein schweizerisches Aktionariat aufzubauen.

SVP: Vom Tisch

Die Privatisierung der Swisscom ist nach dem Nein des Ständerates für die SVP vom Tisch. “Wir bedauern den Entscheid des Ständerates”, sagte Parteisprecher Roman Jäggi.

Er sei überzeugt, dass mit dem Nein zur Privatisierung der Swisscom als Unternehmen nicht gedient sei. Jetzt würden SP und CVP die Verantwortung für das tragen, was mit der Swisscom passiere.

SP: Gescheitert

Die SP betrachtet die Privatisierung der Swisscom nach dem Nein des Ständerates als endgültig gescheitert. “Ich glaube, das ist jetzt gelaufen”, sagte Parteisprecherin Claudine Godat.

Von einer allfälligen Neuauflage des Geschäfts, wie sie auch viele Gegner der gescheiterten Vorlage verlangt haben, halten die Sozialdemokraten gar nichts.

CVP: Erfreut

Die CVP hat das Scheitern der Swisscom-Privatisierung begrüsst und sich gleichzeitig offen für neue Lösungen gezeigt.

Die Regierung müsse nach dem Nein des Parlaments nun über die Bücher, sagte CVP-Ständerat Filippo Lombardi am Mittwoch im Namen seiner Partei. Es gelte nun in erster Linie, Ruhe in die Situation zu bringen und wieder Vertrauen zu schaffen.

Gewerkschaft: Sieg der Vernunft

Die Gewerkschaften haben erfreut auf die Absage des Ständerats an die Swisscom-Privatisierung reagiert.

Die Gewerkschaft Kommunikation feierte den Entscheid als Sieg für das
Volk und den Service public. Für die Gewerkschaft transfair war es ein Sieg der Vernunft über die neoliberale Ideologie.

Das Volk habe genug von Privatisierungen und dem Abbau des Service public, und die Swisscom könne sich jetzt ohne politische Nebengeräusche wieder auf die Umsetzung der vom Bundesrat vorgegebenen Strategie konzentrieren, teilte die Gewerkschaft mit.

economiesuisse: Bedauern

Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse bedauert den Nchteintretensentscheid. Die Interessenkonflikte des Bundes als gleichzeitiger Hauptaktionär und Regulator bestünden weiter und würden sich mit dem Erschliessen von neuen Geschäftsfeldern noch akzentuieren, sagte Thomas Pletscher, Mitglied der Geschäftsleitung.

Die Leidtragenden des Entscheids seien das Unternehmen, die Kunden, die Mitarbeiter, die Aktionäre und damit “wir alle”.

Swisscom: neu aufgreifen

Das Telekommunikations-Unternehmen Swisscom versteht den Entscheid des Ständerats als Aufforderung an die Politik, das Thema neu aufzugreifen.

Es müssten Lösungen entwickelt werden, die den geäusserten Bedenken Rechnung trügen, gab die Swisscom bekannt. Für die weitere Entwicklung des Unternehmens sei eine vollständige oder zumindest eine teilweise Abgabe der Bundesbeteiligung sinnvoll.

swissinfo und Agenturen

Die Eidgenossenschaft hält 62% des Swisscom-Aktienkapitals.
Der Deutsche Staat ist mit 37% an der deutschen Telekom beteiligt.
Frankreich hält 33% an France Telecom.
Österreich hält 38% an Telekom Austria.
Die italienische Telecom Italia ist seit 2002 vollständig privatisiert.

Anfang 1998, zwei Jahre nach der Teil-Liberalisierung des Fernmeldemarktes in der Schweiz, entstand aus dem Bundesbetrieb Telecom PTT die Swisscom.

Trotz anderer Anbieter, blieb die Swisscom in der Schweiz Marktleader.

Die Swisscom ist eine AG, an welcher der Bund eine Mehrheit (62,45%) besitzt.

Das Telekommunikations-Unternehmens-Gesetz (TUG) begrenzt Fremdbeteiligungen an Swisscom auf 49,9%.

Das Gesetz verlangt eine Grundversorgung der Bevölkerung in der gesamten Schweiz.

Die Gegner der totalen Privatisierung befürchteten, dass diese Grundversorgung bei einem dann möglichen Verkauf der Swisscom ins Ausland nicht mehr sichergestellt wäre.

Der Aktienanteil des Bunds ist derzeit rund 16 Mrd. Franken wert.

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