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Ernst Baltensperger zur Inflation: “Heute sollte man es besser wissen”

Ernst Baltensperger und Fabio Canetg in Zürich
Ernst Baltensperger und der SWI swissinfo.ch Geldspezialist Fabio Canetg in Zürich. swissinfo.ch

Die Inflation in den USA und in der Eurozone ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Neu liegt die Teuerung auch in der Schweiz über dem Zielwert. Ernst Baltensperger, emeritierter Professor der Universität Bern, sagt: "Jetzt müssen die Zentralbanken etwas tun."

Stark steigende Preis: Das kennen viele junge Menschen nur aus den Geschichtsbüchern. Ganz anders ist das beim 79-jährigen Ernst Baltensperger, emeritierter Professor der Universität Bern. Er hat gleich mehrere Teuerungsschübe selbst miterlebt und sagt: “Es gibt viele Parallelen zwischen den Inflation der 1970er-Jahre und heute.”

Baltensperger ist sowas wie das geldpolitische Gewissen der Schweiz; kaum jemand kennt die Geldpolitik besser als er. Seine Karriere führte ihn zwischen 1966 und 1979 in die USA und später nach Deutschland. Seit 1982 ist er zurück in der Schweiz. Was sagt er zur aktuellen Situation?

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Die Grosse Inflation

Rückblick: “In den 1970er-Jahren haben viele nicht verstanden, wie es zu Inflation kommt”, so Baltensperger. Damals stiegen die amerikanischen Preise um bis zu 14% jährlich – eine gewaltige Geldentwertung, die heute bekannt ist als “Grosse Inflation”.

Entstanden sei die Grosse Inflation aber bereits in den 1960er-Jahren. Baltensperger sieht dafür zwei Ursachen: Erstens sei die US-Zentralbank Fed politisch unter Druck gesetzt worden, die Zinsen tief zu halten. So versuchte der Staat seine Zinskosten tief zu halten, um den Vietnamkrieg zu bezahlen. “Zweitens vertraten damals viele prominente Ökonomen die These, dass ein bisschen Inflation gut wäre für die Wirtschaft.” Darunter waren berühmte Namen wie Paul Samuelsson und James Tobin, zwei der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Doch sie irrten, wie sich später herausstellte: Erst die starken Zinserhöhungen von Fed-Präsident Paul Volcker 1979 brachten die Inflation wieder runter. Der Preis dafür war hoch: die Arbeitslosigkeit stieg auf 10,8%.

Tiefe Zinsen führen zu Inflation

Trotz dieser Erfahrung erlebte die Idee von Samuelsson und Tobin in den 2010er-Jahren ein Revival: Dieses Mal war es Olivier Blanchard, der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, der für ein höheres Inflationsziel plädierte. Und auch Nobelpreisträger Paul Krugman sagte: Eine höhere Inflation könnte die Wirtschaft aus der Tiefzinsfalle befreien.

Damit kann Baltensperger nichts anfangen. Er sagt: “Heute sollte man es besser wissen.” Die Inflation der 1970er-Jahre war nämlich nicht die letzte. In der Schweiz stiegen die Preise zu Beginn der 1990er-Jahre erneut stark an. “Dieser Inflationsschub hatte seinen Ursprung in der zu expansiven Geldpolitik der SNB zum Ende der 1980er-Jahre.” Die Nationalbank habe damals zwar gewusst, dass die Reservenachfrage der Banken gesunken war. “Doch sie hat das Ausmass unterschätzt.” Die Folge waren zu tiefe Zinsen.

So prägte Baltensperger die Nationalbank von heute

Während der 1990er-Jahre arbeitete Baltensperger als Professor am Volkswirtschaftlichen Institut der Universität Bern. Dort hat er eine ganze Generation von Ökonominnen und Ökonomen ausgebildet. “Viele meiner ehemaligen Doktoranden sind heute bei der Nationalbank”, erzählt Baltensperger. Darunter ist auch der aktuelle SNB-Präsident Thomas Jordan. “Er war ein sehr begabter Student”, so Baltensperger. Neben dem SNB-Präsidenten studierte auch der Vizepräsident der Nationalbank, Fritz Zurbrügg, an der Universität Bern. Baltensperger hat zwei von drei SNB-Direktoriumsmitgliedern ausgebildet.

Selber war Baltensperger aber nie im SNB-Direktorium. Warum? “Das müssen sie diejenigen Fragen, die das entschieden haben”, antwortet Baltensperger und lacht. Er sei zu Beginn der 2000er-Jahre gefragt worden, ob er zur Verfügung stünde. Und er gibt zu: “Das hätte mich schon interessiert.” Gewählt wurde aber nicht er, sondern Niklaus Blattner. Baltensperger blieb bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2007 der Forschung treu.

Erhöht die Nationalbank bald die Zinsen?

Zuletzt äusserte er sich regelmässig in der Öffentlichkeit zur aktuellen Geldpolitik. Er warnte oft vor den Inflationsgefahren. “Damit lag ich auch schon falsch”, so Baltensperger. Doch nicht mehr: Aktuell liegt die Inflation in den USA bei 7,9% und in der Eurozone bei 5,8%. Und auch in der Schweiz ist die Inflation vergleichsweise hoch: Sie beträgt 2,2%. Das ist der höchste Wert seit 2008.

Für Baltensperger ist das noch kein Grund zur Panik. “Die Inflation weicht in der Schweiz erst minim vom Ziel ab.” Eine sehr rasches Ende der Negativzinsen erwartet er nicht. Er sagt: Mit Zinserhöhungen vorausgehen sollten jetzt die US-Zentralbank Fed und die Europäische Zentralbank.

Hier geht es zum Geldcast mit Ernst Baltensperger in voller Länge:

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Fabio Canetg und Ernst Baltensberger.

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Ernst Baltensperger im Geldcast

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Ernst Baltensperger, Doyen der Schweizer Geldpolitik, im Geldcast. Wieso war er eigentlich nie im Direktorium der Nationalbank?

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