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Wie konnte die Inflation derart aus den Händen geraten?

Tobias Straumann und der Geldcast-Host Fabian Canetg.
Tobias Straumann und der Geldcast-Host Fabian Canetg. Fabian Canetg

Das Top-Thema in den USA ist die anhaltend hohe Inflation. Wie konnte es dazu kommen? Und wie unterscheidet sich die US-Teuerung von der Inflation in der Schweiz? Antworten darauf gibt Tobias Straumann, Wirtschaftshistoriker an der Universität Zürich, im neusten Geldcast von swissinfo.ch.

Eine “völlige Fehleinschätzung” sei das gewesen, gibt Tobias Straumann zu. Bei seinem letzten Besuch im Geldcast vor genau einem Jahr hatte der Wirtschaftshistoriker gesagt, dass die Inflation bald kein Problem mehr sein werde.

Heute liegt die Teuerung in den Vereinigten Staaten mit 8.5 Prozent und in der Schweiz mit 3.5 Prozent mehrere Prozentpunkte über den letztjährigen Werten. Zuletzt warnte Thomas JordanExterner Link, der Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), sogar davor, dass sich der Preisdruck in der Schweiz noch ausweiten könnten.

Straumann nimmt seine Fehlprognose vom letzten Herbst gelassen: “Als Wissenschaftler bin ich es mir gewohnt, meine Einschätzungen immer wieder zu korrigieren.” Schon vor dem russischen Krieg in der Ukraine habe es Anzeichen gegeben, dass die Inflation anhaltender sein würde. Die russische Invasion habe die Problematik dann nochmals verschärft, weil dadurch die Preise für Öl, Gas und Strom in die Höhe schossen. “Und mittlerweile haben sich die höheren Energiepreise in alle möglichen Preise reingefressen”, so Straumann.

Die Zentralbanken kommen zu spät

Um die Inflation wieder runterzubringen, erhöhen die Zentralbanken nun ihre Leitzinsen. Das verteuert Kredite und bremst die Wirtschaft. Die Fed hat ihren Leitzins im März 2022 erstmals angehoben; da lag die Inflation bereits über 8 Prozent.

“Die Zentralbanken sind immer zu spät bei der Inflationsbekämpfung”, so Straumann. Das habe politische Gründe: Mit höheren Zinsen die Arbeitslosigkeit präventiv zu erhöhen, sei schwieriger, als im Nachhinein eine hohe Inflation zu rechtfertigen.

Erstaunlich sei für ihn aber, dass die Fed so lange geglaubt habe, dass die Inflation bald wieder von alleine sinken würde. “Seit der Finanzkrise von 2007/2008 wissen die Zentralbanken eigentlich, dass ihre Prognosen in einer Krise nur wenig taugen”, sagt Straumann. Die Statistik-Gläubigkeit innerhalb der Zentralbanken schreibt er der ökonomischen Ausbildung zu: “Die ist immer mathematischer geworden.”

Der nächste geldpolitische Fehler droht

Wie geht es mit den Zinsen weiter in den USA? “Wenn es in den USA wegen der steigenden Zinsen zu einem starken Wirtschaftsabschwung kommen sollte, wird die amerikanische Zentralbank wahrscheinlich schon bald wieder aufhören mit ihren Zinserhöhungen”, glaubt Straumann. Das würde in einem solchen Fall auch Sinn machen, denn: “Wenn sich die Wirtschaft massiv abkühlt, lässt auch der Preisdruck enorm nach.”

Wichtig sei jetzt, dass nicht gleich der nächste geldpolitische Fehler gemacht wird. Zinserhöhungen seien zwar in Ordnung, die Zentralbanken sollten ihre zu späte Reaktion aber nicht “überkompensieren”.

Doch wie entscheiden die Zentralbanken überhaupt, wie stark sie ihre Zinsen anheben? “Das ist sehr viel Bauchgefühl”, sagt Straumann. Ob die Fed an ihrer anstehenden Sitzung am nächsten Mittwoch ihre Zinsen also um 0.5 Prozentpunkte erhöhen wird oder um 0.75 Prozentpunkte, sei keine exakte Wissenschaft.

Das Ende der Negativzinsen naht

Ebenfalls nächste Woche trifft sich die Schweizerische Nationalbank zur Lagebeurteilung. Straumann erwartet einen neuerlichen Zinsschritt von mindestens 0.5 Prozentpunkte. Damit wäre der Leitzins der SNB zum ersten Mal seit über sieben Jahren wieder positiv.

Reicht das, um die Inflation wieder unter zwei Prozent zu bringen? “Wenn es um Inflationsprognosen geht, bin ich ein gebranntes Kind”, sagt Straumann und lacht. Trotzdem sagt er: “Die Inflation wird in der Schweiz nicht so hoch gehen wie im Ausland – aber sie wird wohl etwas länger anhalten.”

Hier geht es zum Geldcast mit Tobias Straumann in voller Länge:

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