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Globale Herausforderungen: schwieriger Weg

François Nordmann, ehemaliger Diplomat, äussert sich kritisch zur Aussenpolitik. Keystone

Die Schweiz hat keine strategische Linie, welche es ihr erlauben würde, Krisen und Herausforderungen die Stirn zu bieten, behauptet François Nordmann. Ein Gespräch mit dem ehemaligen Schweizer Diplomaten.

Nach einer langen Karriere im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ist François Nordmann ein Kenner der internationalen Politik. Seine Kolumnen erscheinen regelmässig in der französischsprachigen Zeitung Le Temps.

swissinfo.ch: Die Schweizer Regierung und ihre Diplomatie musste in letzter Zeit eine ganze Reihe von Krisen bewältigen, unter anderem jene mit Libyen. Wie beurteilen Sie das Vorgehen der Schweiz?

François Nordmann: Es gibt unterschiedliche Arten von Krisen, wie zum Beispiel solche, wenn Touristen in Schwierigkeiten geraten. Dies geschieht immer wieder. Für solche Fälle hat die Diplomatie gut funktionierende Strukturen und Abläufe. Bei Geiselnahmen weiss das EDA ebenfalls, wie es zu handeln und sich einzusetzen hat.

Die Krise mit Libyen hingegen ist von besonderer Art. Die Reaktionen der Schweiz gingen vielleicht zu wenig auf die ungewöhnliche Psychologie und die übertriebenen Aussagen von Gaddafi ein.

In dieser Sache muss die Schweiz mangelndes Taktgefühl seitens der Genfer Behörden einräumen. Sie muss eine Entschuldigung diesbezüglich vorantreiben und diese Episode abschreiben. Ausserdem ist um diese Affäre herum immer noch ein Prozess im Gang. Es ist folglich gerechtfertigt, den Ausgang abzuwarten.

swissinfo.ch: Hätte die Schweiz beim Fall UBS, beim Bankgeheimnis und beim Steuerstreit mit der Europäischen Union vorausschauender handeln können?

F.N.: Die Warnlichter haben funktioniert. Der Alarm war zeitig zu hören. Die Diplomaten wussten, dass die Folgen der Bilateralen Verträge 2004 mit den Abkommen über die Steuern und den Steuerbetrug nichts als ein Waffenstillstand waren und nicht etwa ein definitiver Friedensschluss.

Sie wussten auch, dass Zugeständnisse von gewissen Ländern nur als Lippenbekenntnisse daher kamen; das bedeutet, dass diese Länder von einem automatischen Austausch von Informationen abgesehen haben, der das Ende des Bankgeheimnisses bedeutet.

Seit dem Jahr 2004 hätte die Schweiz einen Plan B haben sollen. Sie hat Zugeständnisse gemacht. Mehr als ein Mal hat sie versucht, die letzten Schranken zu sprengen, doch wirkte die Antwort verspätet und verdächtig. Das hat uns einen Platz auf der grauen Liste eingebracht.

swissinfo.ch: Was sind Ihrer Meinung nach die Schwächen der Schweizer Diplomatie?

F.N.: Sie hat nicht begriffen, dass es eine Hierarchie zwischen den Ländern gibt. Die souveräne Gleichheit der Staaten ist unter diesem Aspekt ein Mythos, der nur eine juristische Bedeutung hat. Wenn sich die grossen Mächte einig sind, dass sie Institutionen dafür haben (G8, G20, UNO-Sicherheitsrat usw.), muss ein Land wie die Schweiz darum bemüht sein, ihre Entscheidungen kohärent, intelligent und ihre Interessen bewahrend anbringen. Es ist eine Frage der Disziplin, die das Funktionieren der Weltordnung gewährleistet.

Hinzu kommt, dass wir momentan eine Vermischung haben zwischen einer ideologischen, respektierten Linie, die sich auf grosse Prinzipien beruft, und einem pragmatischeren Konsens, den es einzuhalten gilt. Sei es auch nur wegen dem Kräfteverhältnis innerhalb des Bundesrats und im Parlament.

Die Schweizer Diplomatie kümmert sich vielleicht um zu viele Dossiers, die sie nicht regeln kann. Sie versucht quasi in allen Konflikten eine Rolle zu spielen. Diese Theorie greift jedoch nicht in Bezug auf das Bankgeheimnis. Man setzt auf unsere Friedenspolitik und geht nach Tschad, Sudan, Uganda, Kolumbien oder Nepal mit der Hoffnung, dass wir im einen oder anderen Konflikt unsere Guten Dienste spielen lassen können. Dies, auch wenn wir schöne Erfolge hatten, wie kürzlich mit der Türkei und Armenien.

Mit Iran war die Schweizer Politik übertrieben, weil sie vom auferlegten Konsens durch den UNO-Sicherheitsrat abgewichen ist, um im letzten Jahr wieder darauf zurückzukommen. Die Schweiz wollte ihre Guten Dienste anbieten, nach denen jedoch niemand gefragt hatte, oder die nur eine der involvierten Parteien betraf.

Insgesamt frage ich mich, bis zu welchem Punkt folgen diese Entscheidungen einer strategischen Linie. Welches sind die realen Interessen des Landes im Vergleich zu den wirtschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen, die gestellt werden? Ich denke da zum Beispiel an die Frage der Auswanderung. Hat man eine Aussenpolitik, die auf diese Herausforderung ausgerichtet ist? Ich bin mir nicht sicher über die Antwort.

swissinfo.ch: Die verschiedenen Krisen der letzten Zeit haben die Isolation der Schweiz aufgezeigt. Wäre ein EU-Beitritt eine Antwort darauf?

F.N.: Die Schweiz ist sehr stolz auf ihre direkte Demokratie. Aber die Länder um uns herum haben auch alle eine Demokratie, die funktioniert. Ihr System erlaubt es ihren Regierungen zu handeln.

Schon Margareth Thatcher hat dem Bundesrat vorgeworfen, er habe Verantwortung ohne Macht. Ein Ansatz der fliessend zum europäischen Dossier führt und unsere Institutionen in Frage stellt.

Mit der Vervielfachung der Bilateralen Abkommen wirken wir immer weniger wie ein Drittstaat. Die Schweiz muss für ihre Partner die Disziplin des gemeinsamen Marktes annehmen und sich an die gemeinschaftlichen Rechte und Pflichten halten.

Unsere Partner ziehen den Schluss, dass der Bilaterismus vorbei ist, und dass die Schweiz nur die Wahl hat, mitzuziehen ohne Mitsprache oder der europäischen Union beizutreten, um ihre Rechte geltend zu machen. Aber in der Schweiz rühmt man den Weg des Bilateralismus immer noch. Dieses Wort hat jedoch nicht die gleiche Bedeutung für unsere europäischen Partner wie für uns.

Mohamed Cherif und Frédéric Burnand, Genf, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Sandra Grizelj)

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1942: Geburt in Freiburg.

1971: Nimmt eine Arbeit im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) an.

1980: Schweizer Vertretung bei den Vereinten Nationen (UN) in New York.

1984-1992: Botschafter in Guatemala und mehreren Ländern in Mittelamerika.

1992: Leiter der Direktion der internationalen Organisationen des EDA.

1994: Botschafter in Grossbritannien.

1999: Leiter der permanenten Vertretung der Schweiz in den internationalen Organisationen in Genf.

2002: Botschafter in Frankreich.

2007: Nordmann verlässt das EDA.

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