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Hoffen aufs zweite Halbjahr

Die Enthüllungen um Worldcom erschütterten das Vertrauen der Anleger massiv. Keystone

Das Tief vom letzten September ist in dieser bewegten Börsenwoche nicht erreicht worden. Statt vor Terror fürchten sich die Shareholder nun vor beschönigten Bilanzen.

Gegenwärtig sind Schweizer Aktien im Durchschnitt um fast einen Drittel günstiger als noch zu Beginn des Jahres 2001. Der SMI virt-x Börsenindex stand Mitte 2001 noch bei über 7000 Punkten, fiel nach dem 11. September kurz auf 5000 Punkte, um sich dann bis im Frühjahr 2002 auf 6700 Punkte zu erholen. Zum Ende dieser bewegten Börsenwoche pendelte er sich dann bei über 5900 Punkten ein (+3.5% gegenüber Vortag).

Kein richtiger Crash

Der SMI hat also in den letzten Wochen um rund 900 Punkte nachgegeben – wenig im Vergleich zum sogenannten “Schwarzen Herbst” 1998, als er innert weniger Tage von über 8000 auf fast 5000 gefallen war.

Bilanzskandal-Kaskade als Novum

Was bei den vergangenen Börsencrashs bisher kaum ein Thema war und in der abgelaufenen Woche als Novum auftaucht, ist die Massierung der (diese Woche auf US-Firmen beschränkten) Bilanzskandale. US Accounting Standards wurden in den letzten 20 Jahren den Europäern geradezu aufgedrängt, die vorsichtigen helvetischen Buchhalterregeln und die Usanz der “Stillen Reserven” aufgegeben.

Und nun folgen sich auf Enron am Mittwoch WorldCom, am Freitag Xerox (6 Mrd. Dollar), und gerüchteweise auch schon bald General Motors. GM habe im grösseren Stil Bilanzkosmetik betrieben, was die Kurse belastet. Dahinter stehen gierige Wirtschaftsmanager – dieselbe Generation an Führungskräften, die anscheinend dem börsenfreundlichen Shareholder Value nachgelebt hat und sich gleichzeitig selbst grosszügig abgelten liess (ABB!).

Die Schweiz ihrerseits hatte mit der SAirGroup schon vor einem Jahr erste Erfahrungen im Umgang mit der Bilanzwahrheit gemacht.

Corporate Ethics statt Shareholder Value

Die inzwischen aufgeklärten Shareholder (Anleger) ihrerseits empfinden diesen Stil inzwischen als derart skandalös, dass sogar die Analysen der lange belächelten Wirtschaftsethiker Beachtung finden. Diese prophezeien, dass der Begriff der Nachhaltigkeit (sustainability), bisher eher in Umweltkreisen prägend, in den Führungsetagen nachhaltig Eingang finden werde. Unangenehm für die USA, dass ausgerechnet jetzt dieses Abzock-Management mit amerikanischem Führungsstil gleichgesetzt wird.

Deshalb wirkt sich weiterhin als kursbelastend aus, dass die graue Eminenz in der USA, Alan Greenspan, abgelöst werden soll. Der FED-Chef glänzte nämlich durch all die Jahre nicht nur mit Sachverstand und Weitsicht, sondern auch mit einer sauberen Weste.

Ratingänderungen

In der Schweiz kam die CS positiv ins Gespräch, weil am Freitag nicht mehr vom Verkauf der gesamten Tochter Winterthur die Rede war, sondern nur noch von ihrem Rückversicherungsteil “Winterthur Re” an die Münchner Rück. WESTLB schätzt CS demnach wieder zum Kauf ein.

Auch die ziemlich geschüttelten Werte der Rentenanstalt und Zürich konnten zum Wochenausklang preislich wieder etwas Terrain gutmachen, und wurden von den Investmenthäusern zumindest als “neutral” belassen. Nestlé, der sichere Wert, wird von Prudential auf “kaufen” eingeschätzt.

Langer Atem und kurze Röcke

Wie es nun gegenwärtig um die Börse bestellt ist, zeigt ein weiterer Medien-Klassiker, der dieser Tage aufgetaucht ist: Die Minirock-Theorie. Seit der Weltwirtschaftskrise Ende der 20iger Jahre mit ihrer frivolen Frauenmode taucht die “Rocksaum-Theorie” immer dann wieder auf, wenn die Analyse nicht weiterführt. Demnach bringen Zeiten, in denen viel Bein zu sehen ist, viel Kurspotenzial, während lange Röcke auf Crashs hindeuten…

Modeeinkäufer sehen einen Minirock-Winter voraus. So hoffen Shareholder, Börsianer, Portfolio-Manager und andere Budget-Verantwortliche auf einen nachhaltig anhaltenden Minirock-Boom ab dem zweiten Halbjahr 2002.

Alexander P. Künzle

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