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Hotelsterne zwischen Gästewunsch und Rezession

Guglielmo Brentel, Präsident hotelleriesuisse, lässt Gästebedürfnisse periodisch von Neuem erforschen. Keystone

Gästebefragungen bringen der Hotellerie neue Erkenntnisse für ihre Hotelklassifikation. Gutes Essen und Trinken sind ein Muss, Landschaft nur bedingt. Und auch in dieser Branche wirft die wirtschaftliche Grosswetterlage erste Schatten.

Anfang Woche hat der Branchenverband hotelleriesuisse in Zürich die Ergebnisse einer neuen online-Gästebefragung vorgestellt.

Der Verband untersucht diese Gästeerwartungen mit Blick auf seine Weiterentwicklung der Hotelklassifikation – also der bekannten goldenen Sterne, mit denen in der Schweiz so mancher Betrieb qualifiziert wird.

Doch “match-entscheidende” Qualitäts-Akzente setzt neben der Marktforschung auch die Aktualität: Die Abschwächung des Euro, die Finanzkrise und die Rezessionsängste lassen Erinnerungen an die schwierigen 90er-Jahre aufkommen, als die Schweizer Hotellerie unter einer inländischen Immobilienkrise litt.

Zu schaffen macht der Hotellerie auch die Zersiedelung und Verschandelung der Landschaft durch den Zweitwohnungsboom, gerade in den Feriengebieten der Alpen.

Landschaft – kommen deshalb die Touristen?

Die Online-Umfrage, die bei rund 2700 potenziellen Gästen im In- und Ausland durchgeführt wurde, ergab, dass unter den Top-Erwartungen an die Schweiz und die Hotellerie das Thema “Natur Pur” (Landschaft) erst an 6. Stelle genannt wird, nach “Ausgezeichnete Küche”, “Typisch Schweiz”, Wellness, Familie und “Cheap & Chic”.

Kommen die Gäste also nicht in erster Linie wegen der Landschaft? “Die Landschaft ist unzweifelhaft sehr wichtig für den Schweizer Tourismus”, sagt hotelleriesuisse-Präsident Guglielmo Brentel gegenüber swissinfo.

“Aber man darf dies nicht überbewerten. Für die Geschäfts-Hotellerie spielt die Landschaft kaum eine Rolle. Und auch für die Ferien-Hotellerie muss man dies relativieren. Eine Landschaft hat für einen Touristen nur dann einen Wert, wenn er etwas damit machen kann – wenn er die Landschaft erleben kann.”

Brentel erwähnt zum Beispiel die Berge, die für sehr viele nur mit Bergbahnen und Restaurants richtig zu erleben seien. “Landschaft alleine bedeutet für den Touristen noch keinen Grund, in die Schweiz zu kommen. Noch viel mehr Landschaft hätte er ja in Kanada oder Alaska.”

Währungs-Umwälzungen

Auch die Währungs-Landschaft steht inzwischen im Umbruch: Beim Franken-Wechselkurs zeichnet sich eine Verteuerung zumindest gegenüber dem Euro ab. “Thema in diesem Bereich ist die Hochkosteninsel Schweiz”, so Brentel.

Es gehe bei der sich wieder abzeichnenden Frankenverteuerung darum, schnellstens die Liberalisierungs-Massnahmen in die Wege zu leiten, die Gott sei Dank endlich auch vom Bundesrat aufgenommen seien.

Der erstarkte Franken habe jedoch – vorläufig – für die kommende Winterferiensaison noch kaum Auswirkungen gezeigt, ebenso wenig wie für den laufenden Herbst in der Stadt-Hotellerie.

Rezession und Preis/Leistung

Brentel erinnert an die vergangene Rezession, als das Preis-/Leistungs-Verhältnis im Tourismus zum dominanten Thema wurde. Er rechnet damit, dass dies mit der Finanzkrise wieder aufkommt.

Andererseits habe der letzte Abschwung auch gezeigt, dass Ferien ein Bedürfnis blieben, dass die Leute trotz schwierigen Zeiten verreisen möchten. Und da sei der Wechselkurs oft Match entscheidend.

Die Amerikaner würden fast sicher weniger reisen, so Brentel, ebenso die Spanier. Aus den Schwellenländern China und Indien erwartet er weniger Rückgänge: “Das Bedürfnis, Europa kennen zu lernen, ist dort enorm.”

Russland bringe die Hotelbranche zum Staunen: “In den eleganten Alpen-Destinationen heisst es bei den Russen, Business as usual.”

Nur, so der Branchen-Präsident, ausschlaggebend für die Hotellerie seien die Schweizer Gäste und eventuell die deutschen. Diese beiden Märkte machen rund drei Viertel aller Buchungen aus.

Konjunktur hin oder her

Trotz der gegenwärtigen Krise will hotelleriesuisse aufgrund der Gästebefragungen die Normen für die künftige Hotelklassifikation anpassen. Damit sollen die goldenen Sterne dem Gast weiterhin als verlässliche Orientierung im Hotelangebot dienen und gleichzeitig dem Hotelier ein Instrument zur Marktpositionierung und Qualitätssicherung in die Hand geben.

Unter einen Hut bringen muss der Branchenverband dabei die teils unterschiedlichen Anforderungen, die an die Geschäfts- und an die Ferienhotellerie gestellt werden.

Dazu kommt, dass die Gäste je nach Kultur unterschiedliche Prioritäten haben.
Nicht nur Inder oder Asiaten wollen speziell verköstigt werden.

Auch unter den westlichen Gästen gibt es grosse Unterschiede. So wollen sich Amerikaner und Engländer, egal ob Geschäftsleute oder Touristen, im Hotel viel stärker als andere unterhalten lassen oder sich gar wieder mal richtig austoben.

swissinfo, Alexander Künzle, Zürich

Die Schweiz ist eines der Pionierländer in der Qualifizierung von Hotelbetrieben.

Um Misständen und Intransparenz vorzubeugen, führte der Hotelier-Verein 1896 den Hotelführer ein.

Das heute bestehende Klassifikations-System geht auf 1979 zurück.

Von der blossen Angebots-Beschreibung ist hotelleriesuisse immer mehr auf die Gästebedürfnisse übergegangen.

Die Normen werden demnach immer mehr von “weichen Faktoren” (Dienstleistungen) mitbestimmt.

Die nächste Revision dieser Klassifikations-Normen steht an. Deshalb wurden rund 2700 Hotelgäste online befragt.

Die Umfrage ergab bei allen Befragten, dass ein Bedürfnis nach mehr so genannten “weichen Faktoren” besteht – nach freundlichem Personal und guter Atmospäre zum Beispiel.

Diese geben denn auch – nach den Ausstattungsmerkmalen des Hotels und dem Preis – bereits an 3. Stelle den Ausschlag bei der Hotelwahl.

Den immer wieder gehörten Vorwurf, die Schweiz sei wenig gastfreundlich, weist Guglielmo Brentel dabei zurück.

Bei Befragungen nach der Euro 08 seien die Schweizer, nicht nur die Hoteliers, gleich gut weggekommen wie die Österreicher.

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