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Illegitime Schulden im Visier

Protest von Globalisierungsgegnern in Durban, Südafrika. Bei der Vergabe von Krediten ist auch die Weltbank gefordert. AFP

Die "Aktion Finanzplatz Schweiz" hat die illegitime Schuldenlast einiger Staaten unter die Lupe genommen. Gestützt auf eine neue Untersuchung kommt sie zum Schluss, dass die Schulden nicht nur moralisch illegitim sind, sondern auch illegal.

Viele Drittweltländer leiden unter Schulden, die von Diktatoren oder korrupten Regierungen stammen, etwa Zaires Mobutu Sese Seko und Haïtis Jean-Claude Duvalier (“Baby Doc”). Die ehemaligen Machthaber hatten von Finanzinstitutionen wie der Weltbank und auch von Privatbanken grössere Kredite erhalten, die aber weder dem Interesse des Staates noch der Bevölkerung dienten, sondern vielmehr in ihre eigenen Taschen und an paramilitärische Gruppen flossen.

Etliche Staaten in Lateinamerika, Afrika und Asien sind mit solchen illegitimen Schulden belastet. “Die Kreditgeber tragen eine Mitverantwortung, weil sie gewusst haben oder hätten wissen müssen, dass die Vorgaben für die Kreditvergabe fragwürdig, wenn nicht gar ungesetzlich waren”, erklären Max Mader und André Rothenbühler, Co-Geschäftsleiter der “Aktion Finanzplatz Schweiz” (AFP).

Verantwortliche Kreditvergabe

Ihr Ziel ist nun, dass die Banken als Kreditgeber grosser Infrastrukturprojekte dazu verpflichtet werden, ihre Gläubiger genau zu überprüfen. “Oft drücken die Banken beide Augen zu und berufen sich auf das Prinzip von Treu und Glauben. Im Grunde hätten sie jedoch die Pflicht, die Adressaten sorgfältig zu prüfen”, betonen Mader und Rothenbühler.

Die Folgen seien gravierend: Etliche Regierungen werden für Kredite und Zinsen zur Kasse gebeten, die teils unter Korruption zustande kamen – und oft für Projekte, die gar nicht zu Ende geführt wurden. Bezahlen muss meist die Bevölkerung, denn wegen des Schuldendienstes fehlen den Regierungen die Mittel für Gesundheit, Bildung und andere Bereiche. “Die Streichung illegitimer Schulden würde die Schuldenlast etlicher Staaten im Süden merklich verringern”, betonen AFP-Co-Leiter Mader und Rothenbühler.

Vorstoss bei UNO

Bis jetzt gibt es jedoch kein allgemein akzeptiertes Verfahren für die Beurteilung und Streichung illegitimer Schulden. Weil Schuldnerländer mangels solcher Verfahren ein zu hohes Risiko fürchten, bei Zahlungsverweigerung keine Kredite mehr zu erhalten, zahlen sie selbst diejenigen Kredite zurück, die sie klar anfechten könnten, wie der UNCTAD-Berater Nicaraguas von 1979 an einer Debatte in Genf festhielt.

Die neue englischsprachige Studie “How to Challenge Illegitimate Debt” (“Wie kann man illegitime Schulden anfechten”) will aufzeigen, wie sich das ändern lässt. Das Buch enthält neben Fallbeispielen einen Theorieteil mit Vorschlägen für rechtliche Instrumente und wurde jüngst in Genf an der UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) präsentiert, die zum Thema Schulden-Management tagte. Die Aktion stiess auf offene Türen, wie eine Debatte zeigte.

“Wir begrüssen das Bestreben der UNCTAD und derjenigen Staaten, die das neue UNCTAD-Programm zu verantwortlicher Kreditvergabe und illegitimen Schulden unterstützen”, führt Mader aus. Angestrebt wird eine Konvention wie die Anti-Korruptionskonvention UNCAC. Dazu ist zunächst ein Forum geschaffen worden aus Juristen und Nichtregierungsorganisationen (NGO), das eine Verankerung im internationalen und privaten Recht erarbeitet.

Druck über Kampagnen

Darüber hinaus will die AFP NGO-Netzwerke in den verschiedenen Ländern ermuntern, Druck zu machen: Sie sollen die jeweiligen Regierungen anregen, den möglichen Rechtsweg für ihr Land zu prüfen, um gewisse Schulden und Zinsen nicht mehr zu bedienen.

Dass rechtlich Zwickmühlen entstehen, zeigt der im Buch beleuchtete Fall des ehemaligen Konsuls von Paraguay, Gustavo Gramont Berres, der Schweizer Gerichte beschäftigte. Er hatte während der Diktatur von General Alfredo Stroessner (1954-1989) in Genf mit staatlichen Garantien Kredite für zwei Projekte erhalten und nicht bezahlt. Neun Banken fordern über 80 Mio. Franken zurück. Zuletzt hat das Bundesgericht im Jahr 2005 Paraguay zur Rückzahlung der Summe aufgefordert.

Patt Paraguay-Schweiz

Paraguays Regierung verweigert dies und beruft sich auf ihre Gesetze, die Gramont Berres umgangen hat und für die er nach Ende der Diktatur zu Gefängnis verurteilt wurde. Zudem dienten die Kredite Gramont Berres eigenen Firmen – die projektierte Fruchtkonservenfabrik und das Pharmaziewerk wurden nie realisiert.

Aus Sicht der Schweiz handelte Gramont Berres namens seines Landes. Zudem könne Paraguay nicht seine eigene Rechtssprechung geltend machen. Der Streit ist bis heute ungelöst.

„Die Banken hätten anstelle des ‚guten Glaubens’ in Gramont Berres eine höhere Sorgfaltspflicht, ‚Due Diligence’, walten lassen sollen”, betonen Mader und Rothenbühler. Das zeigten alle untersuchten Fälle. “Die illegitimen Schulden sind auch illegal, denn sie verstossen gegen Verträge, internationale Abkommen, zwingende Normen und generelle Prinzipien des Völkerrechts”, lautet ihr Fazit.

Viera Malach, swissinfo.ch und InfoSüd

Seit den grossen Schuldenkrisen in den 1990er Jahren wird das Konzept der illegitimen Schulden öffentlich diskutiert. Demnach soll völkerrechtlich verankert werden, dass Kredite, die auf undemokratischem Weg zustande gekommen und nicht im Interesse der Bevölkerung eines Landes eingesetzt worden sind, wobei die Kreditgeber um diese undemokratischen Zustände wussten, als illegitim erklärt und gestrichen werden sollen.

Mit Fallbeispielen im neuen auf Englisch erschienenen Buch „How to Challenge Illegitimate Debts, Theory and Legal Case Studies” will die Aktion Finanzplatz Schweiz AFP aufzeigen, dass es für die Staaten im Süden verschiedene Rechtswege gibt, die Rückzahlungspflicht illegitimer Schulden anzufechten.

Die Übersicht ist das Resultat einer Internationalen Konferenz zu illegitimen Schulden 2007 in Bern. Die AFP brachte damals Rechtsfachleute und NGO zusammen, um erstmals über die Anwendung des Konzepts der illegitimen Schulden im Völkerrecht und im Privatrecht zu diskutierten. In der Folge wurden Fälle von Fachleuten aufgearbeitet und analysiert. Sie betreffen die Philippinen, Argentinien, Paraguay, die Demokratische Republik Kongo (Kongo Kinshasa) und die Republik Kongo (Kongo Brazzaville), Ecuador, Liberia, Südafrika, und Haïti.

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