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Kein Licht am Ende des Tunnels

Vorwärts im Schritttempo - bald auch in Glion. Keystone

Gesperrte Autobahntunnel-Röhren am Baregg oder aktuell bei Glion, im Kanton Waadt, können zu chaotischen Verkehrslagen führen und zeigen die Verletzlichkeit des Schweizer Strassensystems.

Die Verantwortlichen kennen die Probleme. Doch die Topographie der Schweiz lässt kaum andere Lösungen zu.

Das Wallis als Opfer einer Autokolonne, die sich nur im Schritttempo bewegt. Das Wallis abgeschnitten vom Rest der Welt. Solche Szenarien haben die Bewohner des engen Tales und die Tourismus-Verantwortlichen schon lange geplagt. Nun soll es Tatsache werden.

Der Autobahntunnel von Glion im Kanton Waadt, die einzige Autobahnverbindung in den Kanton Wallis, wird saniert. Eine der zwei Röhren auf der A9 wird dabei für längere Zeit gesperrt. Diese teilweise Schliessung des Glion-Tunnels sorgt für rote Köpfe in den betroffenen Gebieten.

Staus vorprogrammiert

Die Tunnel-Sanierung wird auf zwei Etappen, 2004 und 2005, verteilt. Da der Wintertourismus für das Wallis lebenswichtig ist, sind in der Wintersaison 2004/05 beide Röhren des Glion-Tunnels befahrbar.

Diesen Sommer wird der gesamte Verkehr vorerst durch die bergseitige Tunnelröhre geschleust, bevor diese dann zwischen April und November 2005 für die zweite Etappe der Sanierung gesperrt wird.

Da auf einer Länge von rund zehn Kilometern, zwischen Montreux und Villeneuve, Gegenverkehr herrscht, sind grössere Staus kaum zu vermeiden.

An einem schönen Wochenende befahren rund 60’000 Autos pro Tag diesen Streckenabschnitt. Viele der Fahrenden sind Touristen, welche das Wallis zum Ziel haben. Wallis-Tourismus befürchtet eine Verlust von 260 Mio. Franken.

Gegenmassnahmen

Mit einem Paket von Massnahmen wollen die Behörden der Kantone Waadt und Wallis verhindern, dass es zu den befürchteten langen Staus kommt. Den Autolenkern wird empfohlen, die Baustelle morgens vor 7.00 Uhr und abends vor 17.00 oder nach 19.00 Uhr zu passieren.

Es wird auch auf andere Möglichkeiten verwiesen: Fahrgemeinschaften und öffentlicher Verkehr. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) wollen mit vergünstigten Abonnementen Pendler zum Umsteigen bewegen. Zudem soll das Angebot für Ausflugskombi-Tickets ausgebaut werden.

Ein Ausweichen auf die Kantonsstrasse Vevey-Villeneuve wird nur bedingt empfohlen. Ein Tropfenzählersystem mit Ampeln begrenzt dort die Durchfahrt auf 900 Fahrzeuge pro Minute.

Kleinräumige Schweiz

Das Beispiel Glion-Tunnel zeige die Verletzlichkeit des Schweizer Strassensystems, sagt Jolanda van de Graaf, Sprecherin des Bundesamtes für Strassen (Astra). Das Land sei klein und gebirgig. Neuralgische Punkte, an denen ein Grossteil des Verkehres durchgeschleust werden müsse, seien unumgänglich.

Was auf der A9 nun geschehe, habe in der deutschsprachigen Schweiz bereits der Raum Zürich mit der Sanierung und dem Ausbau des Baregg-Tunnels oder die Region Basel mit der Sanierung des Belchen-Tunnels erlebt. Das Verkehrssystem, das dabei erprobt wurde, werde nun auch am Tunnel von Glion angewendet.

Auch in Zukunft werde es zu weiteren “Glions” kommen, sagt van de Graaf. Etwa zwischen Bern-Brünnen und Freiburg, zwischen Flamatt und Freiburg Nord oder zwischen St. Gallen West und Rheineck.

Allerdings handle es sich hier um offene Strecken, wo jeweils nur eine Fahrspur gesperrt werden müsse. Die Verkehrsbehinderungen seien deshalb wohl nicht so gravierend wie nun zwischen Montreux und Villeneuve.

Neuralgisch und gefährlich

Für das Bundesamt für Strassen sind Unterhaltsarbeiten an den Autobahnen und Strassentunnels eine Notwendigkeit – und eine vorübergehende Angelegenheit.

Glion ist demnach kein Einzelfall. Speziell die Autobahntunnels sind neuralgische und auch gefährliche Punkte. Erst am Mittwoch ereignete sich ein schwerer Unfall im Baregg-Tunnel auf der A1 in der Nähe von Zürich.

“Wir erlebten schon im Mont-Blanc-Tunnel in Frankreich oder im Gotthard-Strassentunnel solche schweren Unfälle. Das Problem ist nicht neu”, sagt der Umweltschutz-Experte François Marthaler, Regierungsrat im Kanton Waadt, gegenüber swissinfo.

“Im Jahr 1970 fuhren pro Tag 9000 Fahrzeuge durch den Tunnel von Glion. Heute sind es im Mittel 44’000 Fahrzeuge”, betont Marthaler.

Aber wie sollen die angesprochenen Probleme gelöst werden? Die von vielen verlangte dritte Tunnelröhre ist schon aus rein ökologischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Fiktion.

“In den vergangen 30 Jahren hat sich das Autobahnnetz der Schweiz vervierfacht”, sagt Marthaler. Im gleichen Zeitraum habe das Eisenbahnetz um lediglich 1% zugenommen.

Tunnel gleich Strasse

Für Hans-Rudolf Egli, Experte für Siedlungsgeschichte und Landschaftsgeographie an der Universität Bern, ist ein Tunnel ein ganz gewöhnlicher Strassenabschnitt, der überdeckt ist. Das spiele aber für den Verkehrsfluss keine Rolle.

Einzig würden viele Automobilsten das Fahrverhalten im Tunnel ändern, langsamer fahren oder mehr Abstand halten. Das könne eher zu Staus führen.

“Das Besondere an den Tunnels ist, dass es sehr aufwändige Anlagen sind, die auch entsprechend intensiver gewartet werden müssen”, so Egli. Ob jetzt wegen Unterhaltarbeiten ein Autobahnabschnitt oder ein Autobahntunnel gesperrt werden müsse, spiele eigentlich keine Rolle. Ausweichen könne man ohnehin nicht. Deshalb dürften Tunnels nicht als Nadelöhre bezeichnet werden.

Tunnels werden in der Schweiz vor allem da gebaut, wo eine Strecke verkürzt werden kann. Das sei bei Alpentunnels der Fall, beim Tunnel bei Glion allerdings nicht. “In den Tälern verbessern Tunnels die Erreichbarkeit merklich”, sagt Egli.

“Die Schweiz ist so gut mit Tunnels und Brücken erschlossen, dass es praktisch keine Region gibt, die nicht vernetzt ist”, meint Egli. Weil die Schweiz ein reiches Land ist, war es auch möglich, so viele aufwändige Verkehrsanlagen zu bauen. “Ob es zu viele oder immer noch zu wenige sind, kann nur politisch-gesellschaftlich beurteilt werden.”

swissinfo, Urs Maurer

1970: Am Baregg verkehrten 15’000 Fahrzeuge täglich, in Glion 9000.

2003: Am Baregg 92’000, in Glion 44’000

Die Mobilität in der Schweiz nimmt ständig zu.

Laut einer Umfrage beim Tunnel von Glion aus dem Jahr 2003 entfallen 76% der Autofahrten auf die Freizeit. Der Rest sind Geschäftsfahrten.

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