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Locarno-Venezia per Schiff

Der 'Naviglio Grande' bei Mailand - Teil der Wasserstrasse Tessin - Venedig. Keystone

Die Wiederherstellung einer schiffbaren Verbindung von Locarno nach Venedig ist ein alter Traum - der Wirklichkeit werden könnte.

Jüngste Engagements der Region Lombardei sowie Finanzspritzen mittels Interreg-Programmen lassen das utopisch geglaubte Projekt in Reichweite rücken.

Genau 550 Kilometer misst die Wasserstrasse von Locarno über den Lago Maggiore nach Venedig. Der Weg führt über das Südende des Langensees bei Sesto Calende, den Fluss Tessin und das Mailänder Kanalsystem nach Pavia. Von dort geht es auf dem Po via Piacenza, Cremona an Mantova vorbei, um schliesslich bei Chioggia die Venezianische Lagune im Adriatischen Meer zu erreichen.

Projekt vorangetrieben

Die Mailänder Vereinigung Amici dei Navigli treibt das Projekt der durchgehenden Verbindung dieser Route seit 1998 voran und hat mit ihren Bemühungen einigen Erfolg errungen. So verkehren seit einem Monat auf dem Naviglio Grande von Mailand aus kleine Touristenboote.

Die Elektro-Solar-Kähne mit 24 Plätzen stammen aus der Waadtländer Werft MW-Line. Geschippert wird auf dem historischen “Grossen Kanal”, auf dem im 14.Jahrhundert die Marmorblöcke aus den Brüchen von Candoglia am Lago Maggiore bis an die Baustelle des Mailänder Doms gebracht wurden.

Im Moment sind bereits 70 Prozent der Gesamtwegstrecke zwischen Locarno und Venedig schiffbar: Der Lago Maggiore, der Naviglio Grande von Gaggiano bis Mailand sowie der Po-Abschnitt Cremona- Mantova-Venezia. Flusskreuzfahrten auf dem letztgenannten Teilstück bietet im übrigen ein Schweizer Reisveranstalter mit der “MS Venezia” an.

Sanfter Tourismus

Doch die Freunde des ältesten Kanalsystems Europas begnügen sich nicht mit dem Ist-Zustand. Sie wollen die ganze Wasserstrasse zum Zwecke eines sanften Tourismus wieder schiffbar machen. Wiederhergestellt werden müssen insbesondere die Abschnitte zwischen dem Langensee und dem Naviglio Grande über den so genannten Industriekanal sowie der Kanal zwischen Mailand und Pavia.

Verrottete, teils spektakuläre Schleusen und Brücken gilt es instand zu setzen oder ganz neu zu bauen und die Ufer zu befestigen. Auf 125 Mio. Euro (180 Mio. Franken) werden die Gesamtkosten geschätzt. Für Empio Malara, den Vizepräsidenten der Vereinigung Amici dei Navigli, ein bescheidender Betrag: “Es kostet nicht mehr, als Velowege zu bauen.”

Auch Behörden dahinter

Nebst vieler Sympathie-Bekundungen erhielten die Amici dei Navigli in jüngster Zeit offizielle Unterstützung von Behördenseite. Die Region Lombardei gab im März dem Politechnikum von Mailand eine Studie zur Instandsetzung des gesamten Kanalsystems in der Lombardei in Auftrag, darunter die Verwirklichung der Wasserstrasse Mailand – Locarno, und liess alle Kanäle reinigen.

Ebenfalls im März einigten sich der Kanton Tessin und die Regionen Lombardei und Piemont darauf, für die Instandsetzung der ersten 13 Kilometer südlich des Stauwehrs Miorina bei Sesto Calende eine Förderung im Rahmen des EU-Interreg-Projekt III A (Tourismus) zu beantragen. Kostenpunkt: 2 Mio. Franken. Für die Schweiz fallen aber nur 100’000 Franken der Fördermittel ab. Der Entscheid soll innert Ende Juni fallen.

Projektorientierte Schweizer

Während auf italienischer Seite die Gelder in konkrete Instandsetzungs-Arbeiten investiert werden, unter anderem in eine neue Schleuse bei Sesto Calende, ist das Interesse auf Schweizer Seite ausschliesslich projektorientiert. Die Mittel sollen in eine Studie der Fachschule für Tourismus in Bellinzona fliessen, welche die Möglichkeiten auslotet, mit der Bootsofferte “Mailand-Locarno” Gäste ins Tessin zu holen.

“Die Sache ist für beide Seiten interessant,” meint André Engelhardt, Stadtbauamtsleiter in Locarno. Will heissen: Tagesausflüge auf dem Boot von Mailand nach Locarno und umgekehrt sind für die Schweiz und Italien von Vorteil.

Nicht immer konzentrierte sich das Tessiner Interesse an der Wasserstrasse auf touristische Aspekte. Die Idee kursierte Ende des 19.Jahrhunderts und vor der Eröffnung der Gotthard-Bahn als Möglichkeit für den Gütertransport.

Früher strategische Bedeutung…

Nach 1950 erhielt sie sogar strategische Bedeutung. Der damals rückständige Kanton Tessin erhoffte sich vom Gütertransport auf dem Wasser den langersehnten wirtschaftlichen Aufschwung. Die Hoffnungen gingen mit dem Baubeginn von 1970 auf den Gotthard-Strassentunnel über.

…heute sanfter Tourismus

Heute geht es nur noch um eine touristische sanfte Nutzung der Wasserstrasse und die Wiederentdeckung eines kulturell-historischen Erbes.

Dies wurde kürzlich bei einer Konferenz der Vereinigung Amici degli Navigli in Mailand unterstrichen. Die Veranstaltung im Schweizer Zentrum mit Beteiligung der Region Lombardei machte deutlich, dass sich inzwischen weite Kreise diesseits und jenseits der Grenze für das Projekt interessieren.

Das Vorhaben hat gleichwohl klare Grenzen: Undenkbar ist eine Nutzung durch Lastkähne. Auch durchgehende Luxuskreuzfahrten von Locarno bis Venedig werden eine Utopie bleiben – das Mailänder Kanalsystem ist dafür viel zu eng.

Gerhard Lob

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