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Nach dem Blutbad:Fragen um die Sicherheit

Keystone

Tatwaffe beim Amoklauf im Zuger Kantonsrat war ein Sturmgewehr. Am selben Tag erschoss ein Mann im Kanton Luzern seinen Stiefsohn - ebenfalls mit einem Sturmgewehr. Diskussionen um die Dienstwaffe zuhause sowie um schärfere Sicherheits-Massnahmen in Parlamenten gewinnen an Brisanz.

Kurz nachdem im Zuger Kantonsrat ein Schweizer mit einem Sturmgewehr Amok gelaufen war, wurde bekannt, dass auch im Nachbarkanton Luzern ein Mann mit einem Sturmgewehr einen Menschen erschossen hat. Wie die Kantonspolizei mitteilte, hat ein 49-jähriger Schweizer seinen 23-jährigen Stiefsohn erschossen. Anschliessend verübte er mit dem Sturmgewehr Selbstmord.

Bedeuten die Vorfälle in Zug und Luzern nun das Ende der Dienstwaffe im eigenen Schrank? “Es gab noch nie einen Vorstoss für die Abschaffung der Dienstwaffe zuhause im schweizerischen Waffenrecht. Aber jetzt werden sie kommen, da bin ich praktisch sicher”, meint der Freisinnige Otto Schoch, ehemals Präsident Kommission Armeereform und langjähriges Mitglied im nationalen Parlament. Er fügt hinzu: “Wir sind nicht geringere Schweizer, wenn wir kein Gewehr mehr zuhause haben. Unsere staatliche Unabhängigkeit hängt nicht daran.”

Zu früh für Schlussfolgerungen

Mit Sicherheit werde das Thema neu diskutiert, ist auch Oswald Sigg, Pressesprecher des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) überzeugt. Doch es sei noch zu früh, Schlussfolgerungen zu ziehen. Zuerst müssten die Umstände geklärt werden. “Grundsätzlich haben sich die Sicherheitsbestimmungen aber bewährt”, sagt er. “Die Ursache für den Amoklauf liegt nicht im Waffentragen, sondern anderswo.”

Gemäss Informationsdienst des Generalstabes befinden sich rund 420’000 Sturmgewehre (320’000 Sturmgewehr 90 und 100’000 Sturmgewehr 57) bei Schweizer Wehrleuten zu Hause. Offiziere, Unteroffiziere sowie einige Sanitäter besitzen zudem eine eigene Pistole. “Die Soldaten sind aufgefordert, Waffe und Munition an einem sicheren Ort aufzubewahren”, erklärt Philippe Zahno, Pressesprecher des Generalstabs. Unfälle kämen immer wieder vor, aber sie seien selten. “Rund drei- bis viermal pro Jahr passiert es, dass aus einer Dienstwaffe missbräuchlich geschossen wird.”

Verschärfte Sicherheitsbestimmungen

Nationalrats-Präsident Peter Hess, der während einer Parlaments-Debatte in Bern von der Zuger Tragödie erfuhr, äusserte rasch erste Überlegungen zur Arbeit der Parlamentarier, die für zielgerichtete und sachgerechte Entscheidungen einen gewissen Schutz und Immunität benötigen.

Angst sei in dieser Situation nicht angebracht, sagte Hess gegenüber Radio DRS. Trotzdem seien im Bundeshaus in Bern Massnahmen ergriffen worden. Die Eintrittskontrolle und anderes wurden verschärft. Auch vor dem Bundeshaus patrouillierte die Berner Stadtpolizei. Die Sicherheit sei bereits nach den Drohungen im Schweizerhofquartier letzte Woche verschärft worden, sagte Hess.

Der Zugang zum Bundeshaus soll allerdings offen bleiben, weil das Parlament eine öffentliche Einrichtung sei, sagte Hess. Nach den neuen Ereignissen müsse man aber das Spannungsfeld zwischen der Zugänglichkeit von Parlamenten und den erforderlichen Sicherheitsaspekten neu analysieren. So müssen denn künftig alle, die das Bundeshaus betreten, einen Metalldetektor durchschreiten und ihr Gepäck röntgen lassen. Besucher müssen ihr Gepäck sogar draussen deponieren.

Kantonsparlamente stärker bewachen

Auch die Kantonsparlamente diskutieren über stärkere Sicherheitsmassnahmen. Das Zürcher Rathaus beispielsweise wird während der Sitzung des Kantonsrats jeweils von einem uniformierten und einem zivilen Kantonspolizisten überwacht. Über eine Erhöhung der Sicherheit will die Geschäftsleitung am Donnerstagabend entscheiden.

Ein Amoklauf wie in Zug wäre auch im St. Galler Grossen Rat möglich gewesen, erklärten Staatssekretär Martin Gehrer und Kantonspolizeisprecher Hans Eggenberger kurz nach der Tragödie. Ein offener, der Öffentlichkeit zugänglicher Parlamentsbetrieb sei eben mit eingeschränkter Sicherheit verbunden, sagte Gehrer. Als Folge der Bluttat in Zug werde man in St. Gallen aber über Sicherheitsfragen sprechen. In Frage komme eine Zutrittskontrolle vor der Grossrats-Zuschauertribüne.

In Appenzell Innerrhoden werden die Sicherheitsvorkehrungen für das Kantonsparlament ebenfalls geprüft, wie der Sekretär des Justiz- und Polizeidepartements, Bruno Fässler, sagte. Bereits kurz nach dem Amoklauf im Zuger Kantonsrat hatten sich der Innerrhoder Ratsschreiber, Franz Breitenmoser, und Fässler mit Mitgliedern der Regierung besprochen und weitere Gespräche über Sicherheit im Parlament aufgegleist, wie Fässler erklärte. Sofortmassnahmen seien bisher jedoch nicht getroffen worden.

Schweizer Tradition betroffen

In der Schweiz existiert ein Parlament mit zwei Kammern auf nationaler Ebene. Daneben gibt es über zwanzig Kantonsparlamente sowie unzählige Parlamente auf Gemeinde-Ebene. Es entspricht der Schweizer Tradition, dass die Debatten grundsätzlich öffentlich geführt werden, und dass der Zugang zu diesen Regierungs-Sitzen offen ist.

Im Grundsatz soll dies auch so bleiben. Für ein Vorgehen mit Augenmass sprachen sich sowohl die Sozialdemokraten wie die Schweizerischen Volkspartei aus. Der Präsident der SVP, Ueli Maurer, warnte vor einer Überreaktion bei der Festlegung künftiger Sicherheits-Massnahmen. Bei aller Tragik, die mit dem Ereignis verbunden sei, dürfe nicht mit Hysterie reagiert werden, sagte er. Auch die CVP will “die bisherige Politik der Bürgernähe” verteidigen. Und die FDP sieht zwar langfristig wirksamen Handlungsbedarf, doch es gehe nicht darum, die Parlamente nun zu isolieren und damit der Bevölkerung zu entfremden, sagt FDP-Generalsekretär Guido Schommer.

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