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Nachhaltiger Handel im Kampf gegen Klimawandel

Kühe vor Industrieanlagen
Die weltweite Kohlenstoff-Verschmutzung ist in diesem Jahr fast auf das Niveau von 2019 angestiegen, nachdem sie während den ersten Pandemiemonaten zurückgegangen war. Nach einer neuen Studie des Global Carbon Project werden weltweit insgesamt 36,4 Milliarden Tonnen unsichtbares Kohlendioxid freigesetzt werden. Copyright 2021 The Associated Press. All Rights Reserved

Die Produktion und der Handel von Waren sind das Herzstück der globalisierten Märkte; und sie haben erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt. Dennoch wurde an der Weltklima-Konferenz COP26 viel zu wenig über nachhaltige Formen des Handels diskutiert. Diese Ansicht vertritt der ehemalige Direktor des World Trade Instituts an der Universität Bern im Gespräch mit swissinfo.ch.

Die Waren, die wir heutzutage kaufen, stammen aus der ganzen Welt – und die meisten wurden nicht nachhaltig produziert. Thomas CottierExterner Link, emeritierter Professor an der Universität Bern und ehemaliger Direktor des dortigen World Trade Instituts, ist der Ansicht, dass richtige Entscheide in Bezug auf den Handel und die Belohnung von nachhaltig produzierten Importgütern wesentlich dazu beitragen könnten, die auf der letzten UNO-Klimakonferenz (COP26) festgelegten Klimaziele zu erreichen.

Dazu gehören die Begrenzung der globalen Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter und die Bereitstellung von mindestens 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz-Massnahmen in Entwicklungsländern.

Ein gutes Beispiel für richtige Massnahmen ist das Freihandels-Abkommen der Schweiz mit Indonesien, das subventionierte Importe von Palmöl erlaubt, wenn bestimmte Nachhaltigkeitskriterien bei der Produktion erfüllt werden.

Thomas Cottier
Thomas Cottier, emeritierter Professor an der Universität Bern und ehemaliger Generaldirektor des World Trade Institute (WTI). wto.org

Dennoch wurde die Frage, welche Massnahmen im Handel den Klimawandel eindämmen könnten, auf der jüngsten Weltklima-Konferenz COP26 kaum angesprochen. Diese fand letzten November in Glasgow statt.

Cottier ist der Ansicht, dass eine gute Gelegenheit verpasst wurde. Seiner Meinung nach sollten sich die Regierungen weniger auf die Konsumentinnen und Konsumenten konzentrieren, sondern auf grüne Infrastrukturen und nachhaltig produzierte industrielle Güter.

swissinfo.ch: Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Entscheiden der Klimakonferenz COP26 vom vergangenen November?

Thomas Cottier: Die in Glasgow auf der Grundlage des Pariser Abkommens von 2015 getroffenen Entscheide bestehen im Wesentlichen aus einseitigen Versprechungen der Staaten.

Die internationale Gemeinschaft hat nicht wirklich die Mittel, um diese Versprechungen verbindlich zu machen. Wenn Länder wie Indien und China keine klaren Verpflichtungen eingehen, kann nicht viel getan werden.

Ausserdem wurden bisher viel zu wenig Finanzmittel für Entwicklungsländer bereitgestellt, damit diese Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel ergreifen können.

Die Industrieländer müssen auch noch Beiträge für weitere Massnahmen sowie für den Green Climate Fund leisten, einer globalen Plattform für Investitionen in emissionsarme Projekte, um den Klimawandel zu bekämpfen.

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Es muss also viel mehr getan werden…

Auf alle Fälle. Auf der COP26 gab es keine wirkliche Diskussion zu nötigen Massnahmen im Bereich Handel, um die Ziele der Klimakonferenz zu erreichen. Viele beschlossene Massnahmen werden sich auf den internationalen Handel mit Waren und Dienstleistungen auswirken. Die Länder sollten versuchen, in der Welthandels-Organisation (WTO) eine gemeinsame Basis zu finden.

Bislang haben die in Genf ansässige WTO und ihre Mitglieder eine eher passive Haltung eingenommen. Sie gehen das Problem des Klimawandels oder der biologischen Vielfalt nicht aktiv an, mit Ausnahme der laufenden Verhandlungen über die Fischerei, bei denen es um die Reduzierung der Subventionen für fossile Brennstoffe der Fischereiflotten geht.

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Welche Handelsfragen sollten Ihrer Meinung nach vorrangig diskutiert werden?

Das wichtigste Thema ist die Anerkennung der sogenannten Process and Production Methods (PPMs), also der Prozess- und Produktionsmethoden. Diese definieren die Verarbeitung von Waren und Dienstleistungen.

Es ist von zunehmender Bedeutung, wie ein bestimmtes Produkt hergestellt wird, ob auf nachhaltige Weise oder nicht. Die Marktbedingungen variieren je nach der Nachhaltigkeit des Produktionszyklus.

So liesse sich beispielsweise durch die Anerkennung von PPMs der Marktzugang für nachhaltig produzierten Stahl erleichtern, das heisst von Stahl, der mit Hilfe von Wasserkraft, Wärmeenergie, Windkraft und Solarwasserstoff hergestellt wird. Umgekehrt würden die Einfuhrzölle für Produkte angehoben, die auf fossilen Brennstoffen basieren und damit die Umwelt verschmutzen.

Im Rahmen der WTO-Streitbeilegung können diese Kriterien unter bestimmten Bedingungen bereits berücksichtigt werden, aber das Thema sollte auf breiterer Basis verhandelt werden.

Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bezeichnet der Begriff PPMs (Process and Production Methods) die Art und Weise, wie Produkte hergestellt oder verarbeitet werden.

Er berücksichtigt auch, wie natürliche Ressourcen gewonnen oder Naturprodukte geerntet werden. PPMs können erhebliche Umweltauswirkungen haben. Die bei der Produktion verwendeten Prozesse und Methoden können die Eigenschaften eines Produkts beeinflussen, welche bei seiner Verwendung die Umwelt verschmutzen kann.

Aber auch ein Prozess oder eine Methode selber kann einen ökologischen Fussabdruck hinterlassen, zum Beispiel durch die Freisetzung von Schadstoffen in die Luft oder das Wasser.

PPM-bezogene Massnahmen sind wichtige Instrumente zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung, indem sie beispielsweise sicherstellen, dass die Hersteller die Kosten für Umweltschäden tragen.

Sind PPMs nützlich, um die Nachhaltigkeit in der gesamten Lieferkette eines bestimmten Produkts zu bewerten? Wie können die tatsächlichen Umweltauswirkungen eines Produkts festgestellt werden?

Nach den klassischen Regeln der Nichtdiskriminierung gelten für importierte Produkte die gleichen Steuern und Vorschriften wie für vergleichbare inländische Produkte. Die Art der Produktion ist im Prinzip irrelevant.

Mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit, das wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte berücksichtigt, ändert sich der Ansatz. Der Schutz von Arbeitsnormen und Umweltanliegen wie Klimawandel oder Artenvielfalt rücken dadurch in den Mittelpunkt.

PPMs ermöglichen es den Importländern, die sozialen und ökologischen Auswirkungen im Produktionsland zu bewerten. Es wird nicht darum gehen, die Herkunft aller Produkte und ihrer Bestandteile zurückzuverfolgen, um festzustellen, wie sie hergestellt wurden. Das wäre praktisch unmöglich.

Es geht vielmehr darum, sich auf eine Reihe von Produkten zu konzentrieren, welche die Umwelt stark belasten, etwa Zement, Stahl und andere Metalle sowie Strom und weitere Basismaterialien.

Im Moment sind wir noch zu sehr auf freiwillige und einseitige Versprechungen angewiesen, die keine völkerrechtlichen Verpflichtungen nach sich ziehen. Deshalb müssen wir das System mit handelspolitischen Massnahmen verfeinern und dafür in der WTO oder in bilateralen Abkommen einen geeigneten Rahmen schaffen.

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Wie würden diese Massnahmen aussehen?

Ein gutes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist das Freihandels-Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Freihandels-Assoziation EFTA mit Indonesien über Palmöl.

Dieses Abkommen setzt den PPM-Paradigmenwechsel um. Präferenz-Zollkontingente für aus Indonesien importiertes Palmöl sind an nachhaltige Produktionsmethoden und vereinbarte Standards gebunden.

Sie erwähnen in Sachen Nachhaltigkeit ein positives Beispiel aus der Schweiz, aber das Schweizer Stimmvolk hat das vorgeschlagene CO2-Gesetz abgelehnt. Was könnte die Schweiz besser machen?

Die Ablehnung des CO2-Gesetzes sollte uns lehren, dass es wichtig ist, Massnahmen zum Technologietransfer zu ergreifen, die mit sozialer Gerechtigkeit einher gehen. Es ist schwierig, Städte mit einem sehr guten öffentlichen Verkehrsnetz gleich zu behandeln wie ländliche Gebiete, in denen die Menschen auf das Auto oder individuelle Heizungsanlagen angewiesen sind.

Ansätze, die sich zu sehr auf die Konsumentinnen und Konsumenten konzentrieren, lassen sich in Volksabstimmungen nur schwer durchsetzen. Stattdessen sollte der Fokus auf Infrastruktur, Produktion, Industrie und längerfristige Veränderungen gelegt werden. Daraus ergeben sich Chancen für Wachstum, neue Technologien und neue Arbeitsplätze.

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Eine Einschätzung der Denkfabrik Climate Analytics besagt, dass die Bemühungen der Schweiz zur Eindämmung des Klimawandels unzureichend sind und dass die Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts um bis zu 4 Grad Celsius steigen könnten, wenn andere Länder dem Schweizer Beispiel folgen sollten. Gleichzeitig haben die Importe in den letzten Jahren stark zugenommen, was einen grösseren CO2-Fussabdruck bedeutet. Die Perspektiven sehen nicht gut aus…

“Die Energiewende ist eine grosse Herausforderung für alle Länder, insbesondere aber für ein Land mit einer direkten Demokratie wie der Schweiz.”

Wenn wir die Importe in die CO2-Gesamtbilanz einbeziehen, hat die Schweiz in der Tat noch viele Hausaufgaben zu erledigen, und zwar auf allen Ebenen der Verwaltung, auf Bundes- und Kantonsebene. Vieles hängt von der Politik und dem Verhalten der grösseren Städte ab, die mehr Massnahmen ergreifen müssen.

Die Energiewende ist eine grosse Herausforderung für alle Länder, insbesondere aber für ein Land mit einer direkten Demokratie wie der Schweiz. Unser Land wird eng mit der EU zusammenarbeiten müssen, um die Klimaziele zu erreichen.

Auf internationaler Ebene könnte unser Land der WTO Initiativen zum Handel vorschlagen und sich ernsthaft engagieren, indem es seinen weltweit operierenden Finanzsektor auf Nachhaltigkeit trimmt. Die soziale Verantwortung der Unternehmen bleibt auf der Agenda.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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