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Neuer Milchsee?

Die Schweizer Regierung will die Milchproduktion nicht mehr beschränken. Keystone Archive

Die Vorschläge der Schweizer Regierung zur Agrarpolitik 2007 enthalten u.a. die umstrittene Aufhebung der Milch-Kontingentierung.

Markt – das magische Wort macht auch vor der Schweizer Landwirtschaft nicht halt. Mit dem neuen Revisionspaket will der Bundesrat nach den tiefgreifenden Reformen des letzten Jahrzehnts nun günstige Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige und nachhaltige Landwirtschaft schaffen.

Daran zweifeln die Bauern und ihre Vertreter jedoch. Sie befürchten durch die neuen Pläne Preiszerfall und dadurch Einkommensverluste.

Das Konzept sieht unter anderem die schrittweise Aufhebung der Milch-Kontingentierung vor. Ab 1. Mai 2005 sollen die Bio-Produzenten und Produzenten von Organisationen mit bereits funktionierendem Mengen-Management von der staatlichen Produktions-Beschränkung befreit werden, am 1. Mai 2006 die Produzenten in Berg- und Sömmerungs-Gebieten und am 1. Mai 2007 die übrigen Milchproduzenten.

Am Anfang waren der See und der Berg

Wegen der Milchseen und Butterberge wurde 1977 die Milch-Kontingentierung zur Lösung der Probleme eingeführt. Durch die Kontingentierung bleibt der Milchpreis hoch – und sichert damit Einkommen. Und: Die Milchproduktion wird über das ganze Land verteilt.

Eine Studie der ETH Zürich zeigt, dass bei einer Aufhebung der Kontingentierung die Produktion von Milch in Tal- und Hügelgebieten massiv zunehmen wird. In Berggebieten hingegen wird sie der Studie zufolge abnehmen.

Beliebte Beschränkung

Die Kontingentierung ist beliebt. Ihre Aufhebung stiess letztes Jahr bei einer Umfrage bei Betroffenen auf negatives Echo. Doch ist das Volkswirtschafts-Ministerium überzeugt, dass damit die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt, die Produktionskosten gesenkt und der Handlungsspielraum der Milchbranche erweitert werden.

Denn wegen oder mit der Kontingentierung habe die Milchproduktion in der Schweiz beinahe stagniert, schreibt der Bauernverband. Gleichzeitig habe die Milchproduktion seit 1978 weltweit um 15% zugenommen. Zudem könne mit der Kontingentierung nicht auf Markt-Veränderungen reagiert werden.

Weil die Kontingente auch gehandelt werden können, treiben Kauf oder Miete davon die Produktionskosten in die Höhe. Negativ für die Konsumentinnen und Konsumenten, gut für die Bauern oder die Landwirte, die aus der Milchwirtschaft ausgestiegen sind und vom Handel der Kontingente leben.

Regierung: Vorteile ohne Kontingente

Der Bundesrat betont jedoch die Vorteile: Mit den Bilateralen sei der Wegfall der Milch-Kontingentierung für die Schweizer Käseproduktion eine Chance, sagte Volkswirtschafts-Minister Pascal Couchepin. Und ein neuer Milchsee oder Butterberg sei nicht zu befürchten, hätten sich doch die Marktbedingungen seit 1977 stark verändert.

Für die Agrarpolitik 2002 zieht Couchepin eine positive Zwischenbilanz. Die Marktanteile hätten trotz offenerer Grenzen gehalten werden können und die ökologischen Leistungen seien gesteigert worden. Der Strukturwandel verlaufe im Grundsatz sozialverträglich, auch wenn die Situation für einzelne Bauern äusserst schwierig sei.

Zur Erklärung: Die Anzahl Betriebe hat zwischen 1996 und 2000 von 79’479 auf 70’537 abgenommen. Die durchschnittliche Betriebsgrösse beträgt derzeit rund 15 Hektaren, laut Couchepin wird für ein langfristiges Überleben mit 30 Hektaren pro Betrieb gerechnet.

Das nächste Wort hat das Parlament

Mit dem Vorschlag, die Milch-Kontingentierung aufzuheben, prescht die Schweizer Regierung europaweit vor. Die EU will erst diesen Sommer entscheiden ob die Milch-Kontingentierung zwischen 2006 und 2008 fallen soll.

Doch ist die Botschaft der Regierung nur Diskussionsbasis fürs Parlament, das wahrscheinlich im Jahre 2003 darüber debattieren wird – also nach der EU. Da der Schweizerische Bauernverband aber auch die Kleinbauern-Vereinigung mehrheitlich Kritik am bundesrätlichen Konzept üben, wird in den eidgenössischen Räten noch einiges korrigiert werden. Die Lobby ist stark und rund 10% der Volksvertreter sind Landwirte.

Konkret kritisiert der Schweizerische Bauernverband, die Aufhebung der Milchkontingentierung habe eine nicht verkraftbare Senkung des Milchpreises zur Folge. Zudem würde den Bauernfamilien der Teuerungsausgleich vorenthalten.

Rebecca Vermot und Agenturen

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