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Nichts als Spesen?

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Die elektronische Börse virt-x feiert ihren ersten Geburtstag. Anlass zur Freude besteht offenbar nur bedingt. Das Hauptziel wurde bisher nicht erreicht.

virt-x – ein Gemeinschaftsunternehmen der Schweizer Börse SWX und des britischen Bankenkonsortiums Tradepoint – hat Probleme. Die Zahlen zeigen, dass der Start schwierig war: Die Handelsvolumen stagnierten zwischen 40 und 60 Mrd. Euro pro Monat. Im Vergleich dazu betrug das monatliche Volumen aller Börsenplätze der Euro-Zone und von London zusammen jeweils mehr als 600 Mrd. Euro.

Als pan-europäische Börse gescheitert

Obwohl an der virt-x gegen 650 europäische “Blue chips” gehandelt werden können, beschränkte sich der Handel fast nur auf die 27 SMI-Titel. Sie allein erzeugen 95% des Handelsvolumens.

Die Börse, die im Handel mit pan-europäischen Aktien den Heimbörsen ausländischer Unternehmen signifikant Marktanteile abringen wollte, war in dieser Mission bisher erfolglos – das heisst, die Haupterwartung ist unerfüllt geblieben.

Denn vor einem Jahr eröffnete die virt-x mit dem erklärten Ziel, die Position der Schweiz zu stärken, den Handel und das Abwickeln von internationalen Wertpapier-Geschäften einfacher und billiger zu machen sowie letztlich die erste pan-europäische Börse mit 600 Blue Chips zu werden.

Huhn oder Ei?

Dass die virt-x akute Geldprobleme hat, ist ein offenes Geheimnis. Es sind sogar Gerüchte im Umlauf, dass der elektronischen Börse bald das Geld ausgehe und sie bereits Mühe bekunde, die der SWX für die Benutzung des Handelssystems geschuldeten Lizenzgebühren zu zahlen. Dazu meinte dieser Tage virt-x-Sprecher Lee Hodgkinson in den Medien, dass das Geld – wenigstens im Moment – vorhanden sei.

Die finanziellen Engpässe haben bei der virt-x zu einem klassischen “Huhn-Ei”-Dilemma geführt: Solange es keine Liquidität gibt, ist der Handelsplatz nicht attraktiv; wenn der Handelsplatz nicht attraktiv ist, kommt keine Liquidität.

Banken als Sündenböcke

Nicht wenige Fachleute finden, dass sich die Banken endlich zusammenraufen und mehr Aufträge über die virt-x leiten müssten. Aus dem einfachen Grund, weil Händler oder Grossbanken ihre Geschäfte dort abwickeln, wo eine Aktie am meisten – oder zumindest häufig – gehandelt wird.

Da die Schweizer Handelshäuser aus der virt-x keine Vorteile ziehen, ist der Tenor bei einigen Unzufriedenen klar: Sie wären dafür, den Handel mit SMI-Aktien so rasch als möglich in die Schweiz zurückzuholen.

Aus für virt-x

Für die virt-x wäre diese Variante der Tod. Und für die hinter ihr stehende SWX das vorläufige Ende des Traums, in ein paar Jahren unter Europas konsolidierten Börsen-Plattformen eine entscheidende Rolle zu spielen.

Theoretisch könnte der SMI-Handel unter gewissen Bedingungen per 2003 in die Schweiz zurückgeholt werden. Falls die aktuellen Handelsvolumen auf dem jetzigen Stand verharren, werde dies allerdings nicht der Fall sein, wie Hodgkinson betont. Prioritär gelte es jetzt einfach, die virt-x auf den Wachstumspfad zu bringen.

Auch positive Einschätzungen

Neben vielen kritischen Stimmen gibt es auch optimistische Reaktionen zum ersten virt-x-Jahr. Wenn auch der Handel mit europäischen Titeln eher enttäuschend sei, so habe sich doch der Transfer der SMI-Kotierungen nach London als Erfolg erwiesen, meint beispielsweise der Verantwortliche des Wertschriftenhandels bei der Waadtländer Kantonalbank, Pierre Grandjean. Das neue System sei gut, schnell, bedienerfreundlich und zuverlässig.

Auch andere Schweizer Bankenvertreter teilen diese Ansicht. Von der Credit Suisse First Boston über Julius Bär sowie Lombard & Odier ist man sich einig: “Das System der SWX hat ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt.”

Einstellen, fusionieren oder weitermachen?

Im gegenwärtigen wirtschaftlichen Umfeld sind drei mögliche Szenarien im Gespräch: “Zurück nach Zürich”, “Partnersuche” und “Strategie weiterverfolgen.”

Für die erste Variante bleibt die offizielle Unterstützung offenbar gering, obwohl – so wird argumentiert – der Schweiz so wieder mehr Stempelsteuer zufliessen würde. 228 Mio. Franken gehen dem Bund laut Steuerverwaltung durch die Verlegung der Titel nach London jährlich verloren. Gemäss verschiedenen Börsenhändlern gar bis zu 800 Mio. Franken. Auch die Schweizer Börse sieht in der Rückverlegung nach Zürich wenig Sinn, wie SWX-Sprecher Leo Hug gegenüber swissinfo betont.

Für die Möglichkeit einer Fusion gibt es mehr Anhänger; denn dass eine solche Variante grundsätzlich erfolgreich sein kann, zeigt das Beispiel der deutsch-schweizerischen Terminbörse Eurex.

Die Option des Weitermachens wird von der virt-x-Führung so lange befürwortet, wie sich keine konkrete Partnerschaft mit einer anderen Börse abzeichnet. Diese Strategie enthält die Hoffnung, dass die Börsenflaute das Kostenbewusstsein schärft und die Banken dazu bringt, Volumen auf die virt-x zu verlagern. SWX-Sprecher Leo Hug: “Wir werden Schritt für Schritt versuchen, neue Marktanteile zu gewinnen.”

Monika Lüthi

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