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Öl, der Schlüssel in den Beziehungen Schweiz-Libyen

König Idris I von Libyen bei einem Besuch in der Schweiz im Jahr 1953. RDB/ATP

Während der libysche Machthaber Muammar Gaddafi den 40. Jahrestag der Revolution feiert, schaut der Nahost-Experte Arnold Hottinger zurück auf die Launen in den Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen.

Die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Revolution erfolgen zu einem Zeitpunkt, wo die bilateralen Beziehungen einen absoluten Tiefpunkt erreicht haben und das schweizerische Aussenministerium von Reisen in das nordafrikanische Land abrät.

Am 20. August hatte Bundespräsident Hans-Rudolf Merz die Schweiz verblüfft, als er sich bei Libyen für die “ungerechtfertigte” Verhaftung von Gaddafis Sohn und Schwiegertochter entschuldigte.

Die Genfer Polizei hatte Hannibal Gaddafi und dessen schwangere Frau wegen angeblicher Misshandlung ihrer Dienstboten in Gewahrsam genommen. Später wurden sie auf Kaution freigelassen.

Libyen schränkte darauf den Handel ein, stoppte Flüge und nahm in Tripolis zwei Schweizer Staatsbürger fest. Hannibal sprach gar davon, eine Atombombe über der Schweiz abzuwerfen.

Die Beziehungen waren aber keinesfalls immer so angeschlagen. Wie mit Südafrika unter der Apartheid hatte die Schweiz auch keine Bedenken, in den 1980er- und 1990er-Jahren mit Libyen Beziehungen zu pflegen, als die UNO und die USA Sanktionen gegen den nordafrikanischen Staat verhängt hatten.

swissinfo.ch: Wie reagierte die Schweiz 1969, als Gaddafi seinen Militärputsch durchführte?

Arnold Hottinger: Es herrschte allgemeine Überraschung. Es war aber die Zeit des Nasserismus. (Gamal Abdel Nasser, Präsident Ägyptens von 1956-1970 und Anführer der Revolution von 1952). Gaddafi war ein junger Nasserist. In diesem Sinne war die Überraschung nicht gross, es handelte sich einfach um einen weiteren Staatsstreich…..

swissinfo.ch: Wie haben sich die schweizerisch-libyschen Beziehungen über die letzten vier Jahrzehnte entwickelt?

A.H.: Mit der zunehmenden Bedeutung des libyschen Öls haben sie an Wichtigkeit zugenommen. Die Libyer wollten von den ehemaligen Kolonialmächten loskommen und suchten nach anderen Beziehungen, die nicht von der politischen Vergangenheit belastet waren.

So entstanden Handelsbeziehungen, und die Libyer nahmen ihre Geschäftsinteressen in der Schweiz wahr.

swissinfo.ch: Welche Rolle spielt das Öl in den Beziehungen?

A.H.: Eine entscheidende. Es gibt in der Schweiz eine Raffinerie, die von libyschem Kapital beherrscht wird, und das Öl dieser Raffinerie stammt aus Libyen.

Natürlich gibt es auch noch die Feinheiten der diplomatischen Beziehungen, die Schweiz spielt gerne eine Rolle in der Weltpolitik und will sichtbar sein und so weiter. Hauptsächlich geht es aber um Öl, hier liegt das wahre Interesse.

swissinfo.ch: Reagierte die Schweiz auf die Bombardierung von Tripolis 1986 und den Terroranschlag von Lockerbie zwei Jahre später?

A.H.: Eigentlich kaum. Wir versuchten, Zuschauer zu sein, was einer der Gründe war, wieso die Beziehungen zu Libyen enger wurden. Gegen das Land wurde ein Boykott verhängt, aber die Schweizer beteiligten sich nicht daran, was für Libyen einen Ausweg bedeutete.

Malta war ein weiteres Beispiel und weit wichtiger für Libyen, um den Folgen des Boykotts zu entkommen, da es näher liegt.

swissinfo.ch: Wieso erhielt die Schweiz so wenig Unterstützung in der Hannibal-Gaddafi-Affäre?

A.H.: Die internationale Diplomatie vertrat meiner Ansicht nach die Haltung, dass die Schweiz die Angelegenheit zu hart angegangen war. Nicht gerade illegal, aber zu hart.

Es hatte zuvor in Frankreich einen Fall gegeben mit Hannibal (2005 wurde er zu einer Strafe auf Bewährung verurteilt, weil er mit einer Waffe rumgefuchtelt und seine schwangere Gefährtin in einem Pariser Hotel geschlagen hatte). Diese Angelegenheit wurde ohne grosses Aufsehen erledigt. Deshalb sagten sich die Libyer wohl: Wenn die Schweizer Lärm machen, dann sollen sie ihn haben!

swissinfo.ch: Wer hat in diesem Streitfall mehr zu verlieren, Libyen oder die Schweiz?

A.H.: Die Schweiz, denn Libyen ist nicht länger mit einem Boykott belegt. Die Schweiz war für Libyen wichtiger, als gegen das Land noch ein Boykott und Sanktionen verhängt waren. Nun hat die Schweiz mehr zu verlieren und verhält sich auch entsprechend.

swissinfo.ch: Waren Sie überrascht, als sich Bundespräsident Merz entschuldigt hat?

A.H.: Nein. Es war klar, dass irgendeine Art Entschuldigung kommen würde. Es war Teil von Libyens Spiel. Dass eine Entschuldigung fällig war, war ziemlich klar.

swissinfo.ch: Wie denken Sie, nimmt Gaddafi die Schweiz wahr?

A.H.: Für ihn ist die Schweiz ein kleines Land – wie Malta etwa. Es war ein nützliches Land – wie Malta. Aber nun kann er es sich leisten, diesen Wirbel darum zu machen, das schadet ihm nicht.

Er musste viele Demütigungen einstecken, um wieder in Amerikas Gunst zu gelangen. Nun hat er die Gelegenheit, seine Zähne zu zeigen.

swissinfo.ch: Wieso sind Schweizer Politiker so scharf darauf, gute Beziehungen mit Libyen zu pflegen?

A.H.: Geld. Sie werden es allerdings immer ein wenig zu vertuschen versuchen und betonen, dass alle Länder wichtig seien und wir in der Welt präsent sein müssten, und wir gute Beziehungen haben wollen und so weiter. Aber in erster Linie geht es um Öl.

Thomas Stephens, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

Die ersten Schweizer Geschäftsleute liessen sich Ende des 19. Jahrhunderts in Libyen nieder. 1951 erklärte das Land seine Unabhängigkeit, welche von der Schweiz umgehend anerkannt wurde. Schweizer Juristen waren an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt.

Nach der Entdeckung von Öl 1959 kamen viele Schweizer Geologen, Techniker und Sonderberater ins Land.

Ab 1962 wurden die Schweizer Interessen in Libyen von der Botschaft im benachbarten Tunesien vertreten. 1965 wurde in der libyischen Hauptstadt Tripolis ein Konsulat eröffnet, 1968 die Botschaft.

Libyen ist der zweitgrösste Handelspartner der Schweiz in Afrika. Über 40% des Schweizer Rohöls stammen aus Libyen.

2007 betrugen die Importe aus Libyen (hauptsächlich Rohöl) mehr als 1,6 Mrd. Franken. Die Exporte nach Libyen beliefen sich auf 278,6 Millionen.

Der 1926 in Basel geborene Schweizer Journalist und Publizist Arnold Hottinger gilt international als profunder Kenner des Nahen Ostens.

Rund ein halbes Jahrhundert hat er über die Menschen und die Politik in der Region berichtet.

Bekannt wurde er vor allem als Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung.

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