Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Parlament lässt SVP-Angriff ins Leere laufen

Gruppenbild mit dem neuen Bundesrat Alain Berset (rechts). Keystone

Der Sozialdemokrat Alain Berset tritt die Nachfolge von Bundesrätin Micheline-Calmy-Rey an. Die Bundesversammlung bestätigt alle bisherigen Regierungsmitglieder im Amt. Die Attacken der SVP zur Eroberung eines zweiten Sitzes verliefen im Sand.

Bereits nach vierzig Minuten stand fest, dass dem von etlichen Medien herbeigeschriebenen und von der wählerstärksten Partei, der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), herbeigeredeten Bundesrats-Wahlkrimi definitiv die Spannung fehlte.

Die Vereinigte Bundesversammlung bestätigte nämlich bereits im ersten Wahlgang und deutlich die bisherige Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf im Amt. Die beiden Kandidaten der SVP hatten keine Chance. Für sie stimmten lediglich die Abgeordneten ihrer eigenen Partei sowie der grösste Teil der Freisinnig-Liberalen.

Damit verfehlte die SVP ihr Ziel, den 2007 bei der Abwahl von Übervater Christoph Blocher an die kleine Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) verlorenen Sitz zurück zu erobern.

Die Allianz spielte

Das ist darauf zurückzuführen, dass eine Allianz aus den Sozialdemokraten, den Christdemokraten (CVP), den Grünliberalen, den Grünen und der BDP in den vergangenen Tagen ihre Positionen klar bezogen und die Wahlstrategien festgelegt hatten und sich während den Wahlen auch daran hielten.

Die genannten Parteien stimmten geschlossen für Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Damit hat dieselbe Allianz, die 2007 den damaligen Justizminister Blocher ab- und Widmer-Schlumpf gewählt hat, die Wiederwahl von Widmer-Schlumpf sichergestellt.

“Widmer-Schlumpf macht einen guten Job und es gab nicht genügend Gründe, um jemand anderes zu wählen, dessen Qualitäten weniger klar zu berechnen sind”, sagt der Politologe Georg Lutz gegenüber swissinfo.

Aus Trotz gegen den Freisinn

Für die Sozialdemokraten, die Grünen und die Grünliberalen war die Position Widmer-Schlumpfs in der Frage des Atomausstiegs ein wichtiger Grund, sie wieder zu wählen. Die CVP und die BDP haben eine engere Zusammenarbeit bereits mehrmals zumindest diskutiert, und CVP-Exponenten schliessen nicht aus, dass die Partei nach dem in einigen Jahren anstehenden Rücktritt von Widmer-Schlumpf ihren 2003 verlorenen zweiten Sitz wieder zurück erobern könnte.

Nach der Wahl von Widmer-Schlumpf änderte die SVP ihre Strategie und kündete an, in den verbleibenden Wahlgängen den zweiten Sitz der Freisinnig-Liberalen anzugreifen, die bisher die beiden SVP-Kandidaten unterstützt hatten. Das tat die SVP allerdings weniger aus einer Position der Stärke heraus, sondern vielmehr als Trotzreaktion.

SVP-Kandidat Hansjörg Walter hielt sich an seine Erklärung von letzter Woche, wonach er nicht gegen die Freisinnigen antreten werde. So blieb der Westschweizer François Rime als einziger und erfolgloser Kandidat übrig. Er trat für alle noch zu besetzenden Sitze an und hatte nicht den geringsten Hauch einer Chance, gewählt zu werden.

Berset problemlos gewählt

Dass der durch den Rücktritt von Calmy-Rey frei gewordene Sitz weiter in den Händen der Sozialdemokraten bleiben dürfte, zeichnete sich schon vor der Wahl ab. Die Bundesversammlung wählte den Freiburger Ständerat bereits im zweiten Wahlgang mit 126 Stimmen in den Bundesrat. Sein Parteikollege, der Waadtländer Staatsrat Pierre-Yves Maillard, kam auf 63 Stimmen.

“Wer die Wahlen gewinnen will, braucht Partner. Die SVP hat jedoch gegen alle gekämpft und sich damit Feinde geschaffen, das war keine gute Strategie”, sagt Politologe Georg Lutz. Zudem habe die Art und Weise, wie die SVP ihre Kandidaten ausgewählt hatte, nicht den besten Eindruck hinterlassen.

Konsensorientierte Kandidaten

In den vergangenen Jahren portierte die SVP regelmässig ihre Hardliner als Kandidaten für Regierungswahlen. Dasselbe tat sie bei den Ständeratswahlen im vergangenen Herbst. Dabei musste sie auf der ganzen Linie eine Niederlage hinnehmen, da ihre Kandidaten nicht mehrheitsfähig waren.

Deshalb zauberte sie für die Bundesratswahlen Exponenten aus dem konsensorientierten Flügel der Partei aus dem Hut. Der Zürcher Nationalrat Bruno Zuppiger stolperte als Bundesratskandidat über seine mutmasslich ungetreue Geschäftsführung in einer ihm anvertrauten Erbschaftsangelegenheit. Innert Stunden nominierte die SVP-Fraktion an seiner Stelle den Thurgauer Nationalrat Hansjörg Walter als Kandidaten. Noch vor einem Jahr hatte dieselbe Partei Walter verboten, im Falle einer Wahl diese anzunehmen.

Neue Dynamik innerhalb der Konkordanz

So hinterliess die SVP den Eindruck, sie wolle allenfalls gar keinen zweiten Sitz erhalten, weil sie genau wisse, dass ein zweiter Sitz zum jetzigen Zeitpunkt nicht realistisch sei, auch wenn ihr ein solcher als wählerstärkste Partei rein mathematisch zustünde.

“Die Konkordanz ist jetzt nicht am Ende”, sagt der Politologe Michael Hermann gegenüber swissinfo.ch. “Es ist eine neu Dynamik innerhalb der Konkordanz, denn es gibt immer noch eine bürgerliche Mehrheit und das ganze politische Spektrum ist in der Regierung vertreten.”

Der 39-jährige Freiburger SP-Ständerat Alain Berset wurde im zweiten Wahlgang mit 126 Stimmen in den Bundesrat gewählt. Sein parteiinterner Konkurrent Pierre-Yves Maillard kam auf 63 Stimmen.

Das Rennen war bis zuletzt offengeblieben, da die anderen Fraktionen beide Bewerber als valable Kandidaten für den Bundesrat beurteilt hatten.

Die Wiederwahl von Eveline Widmer-Schlumpf hatte sich in den letzten Tagen abgezeichnet. Tatsächlich wurde die 55-jährige Bündnerin am Mittwoch bereits im ersten Wahlgang bestätigt. Bei einem absoluten Mehr von 120 Stimmen kam sie auf 131 Stimmen, was ungefähr der Stärke jener Fraktionen entspricht, die ihr die Unterstützung zugesichert hatten.

Keine Chance hatten die Kampfkandidaten der SVP: Der Thurgauer Nationalrat Hansjörg Walter erreichte 63, sein Freiburger Ratskollege Jean-François Rime 41 Stimmen. Obwohl dies ziemlich genau den Stimmen von FDP und SVP entspricht, bezichtigte SVP-Fraktionschef Caspar Baader vereinzelte FDP-Mitglieder, ihre Stimme der BDP-Bundesrätin gegeben zu haben.

Auch die übrigen amtierenden Bundesräte schafften ihre Wiederwahl im ersten Wahlgang: Doris Leuthard erhielt 227 gültige Stimmen, Ueli Maurer 159, Didier Burkhalter 194, Simonetta Sommaruga 179 und Johann Schneider-Ammann 159. Wiedergewählt wurde auch Bundeskanzlerin Corina Casanova.

Widmer-Schlumpf amtet im kommenden Jahr zudem als Bundespräsidentin. Die Vereinigte Bundesversammlung wählte die frisch wiedergewählte Bundesrätin mit 174 bei 239 gültigen Stimmen.

Vizepräsident des Bundesrates wird mit 122 von 170 gültigen Stimmen SVP-Bundesrat Ueli Maurer.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft