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“Der Botschafter ist heute ein Event-Manager”

Christian Blickenstorfer, Noch-Botschafter in Berlin, blickt ruhigeren Zeiten entgegen. Keystone

Christian Blickenstorfer, Schweizer Botschafter in Berlin, tritt Ende Monat in den Ruhestand. swissinfo.ch sprach mit dem Diplomaten über seine lange Laufbahn im Ausland und über das besondere Verhältnis zwischen den Nachbarn Schweiz und Deutschland.

swissinfo.ch: Nach 36 Jahren im diplomatischen Dienst werden Sie Ende April pensioniert. Sind Sie ein bisschen wehmütig?

Christian Blickenstorfer: Nein, das nicht – vielmehr sehr zufrieden. Wenn ich zurückblicke, habe ich mit meiner Familie stets in spannenden Ländern der Welt leben und arbeiten dürfen. Das empfinde ich als ein Privileg.

swissinfo.ch Sie haben in Ihrer Karriere auch an schwierigen Orten gearbeitet, zum Beispiel als Botschaftsrat von 1983 bis 1985 in Teheran.

Ch.B.: Dieser Einsatz war tatsächlich eine Herausforderung. Für mich gaben zwei Gründe den Ausschlag: Erstens war meine Frau bereit mitzukommen, obwohl sich das Land im Krieg mit dem Irak befand und sie wusste, dass sie als Frau in einem streng muslimischen Land viele Einschränkungen erleben würde.

Zweitens vertrat die Schweiz in Teheran seit 1980 auch die Interessen der USA, so dass man für die weitere Laufbahn als Diplomat wertvolle Erfahrungen sammeln konnte.

Wir haben die Entscheidung denn auch nie bereut – auch wenn sich der Alltag schwierig gestaltete und die Stimmung im Land unter dem Regime von Ayatollah Chomeini von Misstrauen und Angst geprägt war.

swissinfo.ch: Der nächste Auslandaufenthalt führte Sie nach Washington. Ein Kulturschock?

Ch.B.: Nein, zwischen dem Iran und den USA lagen ja gut vier Jahre, die ich in Bern verbracht habe. Das Interessante war, dass ich zweimal in Washington auf Posten war: 1989 als Minister und dann wieder ab 2001 als Botschafter.

Ich habe also sowohl George Bush Senior als auch George W. Bush erlebt. Der Unterschied gerade in der Aussenpolitik hätte nicht grösser sein können: Auf der einen Seite ein sehr europäisch denkender Vater Bush, auf der anderen dann sein Sohn, dem Europa stets ein Stück fremd blieb und der sich auch nicht gross dafür interessierte.

swissinfo.ch: Im ersten Mandat als Botschafter waren Sie gleich für mehrere Staaten zuständig – für die Vereinigten Arabischen Emirate, das Sultanat Oman und die Republik Jemen. Welche Eindrücke sind Ihnen aus dieser Zeit geblieben?

Ch.B.: Jemens Hauptstadt Sanaa hat mich nachhaltig beeindruckt. Wer einmal die wunderbare Altstadt gesehen hat, wird das nie wieder vergessen. Das ist wie im Märchen Tausend und eine Nacht.

Der Oman war faszinierend, weil er das komplette Gegenteil vom Jemen ist: Ein Land mit einer modernen Infrastruktur, die ganz nach den Vorstellungen von Sultan Qabus aufgebaut wurde.

swissinfo.ch: Inwiefern haben sich die Aufgaben des Botschafters seit Ihrem ersten Auslandposten in den 70er-Jahren verändert?

Ch.B.: Die grösste Veränderung geschah durch die Entwicklung der modernen Kommunikationsmittel – sowohl in der Struktur als auch inhaltlich.

In Kairo, wo ich 1975 als Stagiaire tätig war, verlief nahezu die gesamte Kommunikation noch über den papiernen Schriftverkehr. Wir benutzten Kohlepapier und mechanische Chiffriergeräte. Und einmal in der Woche wurde die gesamte Post in grossen Kuriersäcken in die Schweiz verschickt.

Heute sind nahezu alle Schweizer Botschaften online mit Bern verbunden. Diese weltweite Vernetzung hat das Aufgabenfeld des Botschafters verändert.

Während es früher wichtig war, über das Geschehen im Land zu berichten, ist das heute dank Nachrichtenagenturen, TV, Zeitungen und online-Medien nicht mehr im gleichen Masse notwendig.

Grosse Bedeutung gewonnen hat stattdessen der Bereich des Event-Managements, um das schweizerische Erscheinungsbild im Ausland zu pflegen.

swissinfo.ch: Der Botschafter als Event-Manager sozusagen?

Ch.B.:Ja, in der Tat. So richtig bewusst wurde man sich dieser Aufgabe Ende der 1990er-Jahre, als die nachrichtenlosen Vermögen die Beziehungen der Schweiz zu mehreren Ländern sehr belastet haben und der Mythos der schönen und heilen Schweiz bröckelte.

Heute hat der Botschafter die Verantwortung, dem Ausland eine moderne Schweiz näher zu bringen – jenseits von Klischees wie Banken, Schokolade und Uhren.

swissinfo.ch: Als Sie 2006 nach Berlin kamen, sagten Sie, Sie sähen Ihre Hauptaufgabe darin, “die in fast allen Bereichen ausgezeichneten Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland zu fördern”. Wie beurteilen Sie das Aufgabenfeld heute – vor dem Hintergrund, dass es in letzter Zeit ziemlich knirscht zwischen den beiden Ländern?

Ch.B.: Habe ich das wirklich gesagt (lacht)? Nun, in den vier Jahren habe ich erfahren, dass es auf der Welt wohl kein zweites Land gibt, mit dem die Schweiz so enge und gleichzeitig so vielfältige Beziehungen pflegt wie mit Deutschland.

Da ist es normal, dass es ab und zu Verstimmungen gibt oder latent vorhandene Probleme plötzlich aufbrechen, so wie es beim Bankgeheimnis geschehen ist.

swissinfo.ch: Hat der Steuerstreit ihr letztes Amtsjahr geprägt?

Ch.B.: Das hat uns in der Tat stark beschäftigt – auch, weil deutsche Medien sehr an diesem Thema interessiert waren.

Ich habe unsere Aufgabe vor allem darin gesehen, der deutschen Öffentlichkeit das in den beiden Ländern unterschiedliche Verhältnis zwischen Staat und Bürger näher zu bringen. Während in der Steuerfrage bei uns der Bürger im Vordergrund steht, ist es in Deutschland der Staat.

swissinfo.ch: In die letzten Monate Ihres Berlin-Mandats fiel auch die Debatte um die massive Zuwanderung von deutschen Arbeitskräften in die Schweiz. Wie beurteilen Sie die anti-deutsche Stimmung bei einem Teil der Schweizer Bevölkerung?

Ch.B.: Die Diskussion ist insofern nachvollziehbar, als die deutsche Zuwanderung in eine Rezessionsphase gefallen ist. Angesichts der vielen gut ausgebildeten deutschen Arbeitskräfte fühlen sich Teile der Schweizer Bevölkerung verunsichert.

Ich habe aber absolut kein Verständnis für die anti-deutsche Kampagne, die gewisse Kreise und Medien losgetreten haben. Man darf nicht vergessen, dass die Schweizer Wirtschaft im Zuge der Freizügigkeits-Abkommen sehr stark vom Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte aus Ländern wie Deutschland profitiert hat.

swissinfo.ch: Berlin war ein Wunschposten, haben Sie einmal gesagt. Trifft das heute noch zu?

Ch.B.: Ja, absolut. Wenn Europa, dann Berlin, haben meine Frau und ich immer gesagt. Für einen Historiker wie mich ist die Stadt enorm faszinierend: auf Schritt und Tritt stösst man auf Geschichte.

swissinfo.ch: Die Schweizer Botschaft liegt mitten im Regierungsviertel von Berlin. Wie war es, vier Jahre in diesem politischen Biotop zu arbeiten und zu wohnen?

Ch.B.: Als Arbeitsort ist der Standort hervorragend. Die räumliche Nähe zum Bundestag erleichtert es enorm, Kontakte zu Politikern zu knüpfen, Veranstaltungen und Treffen zu organisieren.

Was das Wohnen betrifft, ist der Ort eher gewöhnungsbedürftig. Man ist stark isoliert, weil es keine Nachbarn gibt und eine Quartierstruktur fehlt. Man fühlt sich auch etwas ausgestellt, wenn die Berlin-Besucher auf ihrem Weg vom Hauptbahnhof zum Regierungsviertel an unserer Botschaft vorbeipilgern.

swissinfo.ch: Haben Sie den Ruhestand schon organisiert und verplant, oder lassen Sie es eher ruhig angehen?

Ch.B.: Ich bin glücklich, ab Mai nicht schon für die nächsten zehn Monate einen vollen Terminkalender zu haben. Auf diese Freiheit habe ich mich lange gefreut.

Mittelfristig kann ich mir zum Beispiel vorstellen, im Hochschulbereich oder im Rahmen von Think Tanks aktiv zu sei. Langweilen werde ich mich bestimmt nicht.

Paola Carega, Berlin, swissinfo.ch

Neuer Schweizer Botschafter in Berlin wird ab Mai Tim Guldimann, der frühere Botschafter in Iran und Leiter der OSZE-Mission in Tschetschenien.

Der 60-jährige Politikwissenschaftler und gebürtige Zürcher trat 1982 in den Dienst des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ein.

Er wurde zunächst als diplomatischer Stagiaire in Bern und Kairo eingesetzt.

Nach 1991 war Guldimann im Stab der Gruppe für Wissenschaft und Forschung des EDA für den Bereich Aussenpolitik zuständig, und ab 1996 Chef der OSZE-Mission in Tschetschenien.

Ein Jahr später wurde Guldimann Chef der OSZE-Mission in Kroation,

1999 übernahm er den Botschafterposten in Iran.

Der prominente Schweizer Diplomat befindet sich seit Oktober 2008 in einem unbezahlten Urlaub.

Er weilt derzeit noch in Genf und ist am Zentrum für humanitären Dialog tätig.

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