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Integrationsvereinbarung im Praxistest

Ein Schritt von vielen: Gesprächsabend für Einbürgerungswillige in lockerer Atmosphäre. Keystone

Eine gute Integration der ausländischen Bevölkerung kommt allen zu gut: Wirtschaft, Gesellschaft, Politik. Aber wie soll man die grosse Herausforderung erfolgreich anpacken? Die Beispiele von Basel-Stadt und Ostermundigen sind Weg weisend.

Die Integration von Zuwanderern aus dem Ausland gehört zu den permanenten – und grössten – Herausforderungen in der Schweiz.

Ende 2008 lebten zwischen Genfer- und Bodensee sowie Jura und Tessin 1,65 Mio. Menschen ohne roten Pass, das sind 21,4% der gesamten Wohnbevölkerung. Damit ist die Schweiz zum klassischen Einwanderungsland geworden, weist doch in Europa nur Luxemburg einen höheren Ausländeranteil auf.

Die Haltung der “Einheimischen” Zuwanderern gegenüber ist überaus ambivalent. Einerseits ist klar, dass der Schweizer Wirtschaftsmotor ohne Arbeitskräfte aus andern Ländern arg stottern würde. Vielleicht schon weniger klar ist, dass die Sozialwerke ohne Beiträge der zugezogenen Werktätigen für kommende Generationen kaum mehr finanzierbar sind.

Tief sitzende Ängste

Andererseits zeigen Ausrufezeichen wie jüngst das Ja der Stimmenden zum Minarettverbot, dass zur Seele des Schweizer Volkes auch eine ausgeprägte Angst vor Fremden gehört.

Die Schweiz hat also ein vitales Interesse daran, dass Integration funktioniert, und zwar auf allen Ebenen. Was aber ist aus heutiger Sicht gute Integrationsarbeit? Und wo wird sie umgesetzt?

“Die einfachste Definition ist die Herstellung der Chancengleichheit nach dem Prinzip Fördern und Fordern”, sagt Thomas Kessler, bis vor einem Jahr Integrationsbeauftragter im Kanton Basel-Stadt. Dank dem Pragmatiker Kessler gilt der Kanton mit einem Ausländeranteil knapp einem Drittel als beispielhaft in diesem Bereich. Der Kanton war auch der erste, der den Besuch von Sprachkursen zum Ausstellen einer Aufenthaltsbewilligung voraussetzte.

Der heutige Beauftragte für Kantons- und Stadtentwicklung in Basel-Stadt ist einer der Architekten der Integrationspolitik, wie sie die Tripartite Agglomerationskonferenz (TAK) im letzten Sommer in einem Bericht zuhanden der Behörden auf Stufen Bund, Kantone und Gemeinden formuliert hatte.

Sprachliche und berufliche Integration entscheidend

Chancengleichheit baut laut Kessler auf den Pfeilern Kommunikationskompetenz, selbstständigem Handeln, Kenntnis der Rechte und Pflichten sowie dem Bestreiten des Lebensunterhalts auf. Die Vermittlung geschieht in Kursen, Informationen und Beratungen. Wichtig sind auch kulturelle Anlässe.

“Eine vollständige Integration ist dann geglückt, wenn Menschen aus dem Ausland nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial integriert sind”, so Kessler im Gespräch mit swissinfo.ch. Massstab dafür sind Bekannte über den eigenen Kulturkreis hinaus.

Bis dahin kann der Weg lang sein. “Ein Problem ist die ‘Erreichbarkeit der schwer Erreichbaren'”, formuliert es David Keller, Abteilungsleiter öffentliche Sicherheit und Projektleiter Integration in Ostermundigen. Die Berner Vorortsgemeinde mit einem Ausländeranteil von rund 23% hat sich Integration ganz zuoberst auf die Liste ihrer Legislaturziele 2009 bis 2012 geschrieben.

Manche Medien kolportierten gern Fälle von arbeitslosen Ausländern, die sich kaum um eine Stelle bemühten, von Bezügern nicht gerechtfertigter Beiträge oder von Schulbehörden, die bei ausländischen Eltern gegen eine Wand sprachen.

Zwar bietet das neue, strengere Ausländergesetz von 2008 laut Thomas Kessler ein breites Spektrum an Verpflichtungsmöglichkeiten. Dennoch gibt es Fälle, in denen Ausländer nur mangelhaft zur Zusammenarbeit bereit sind, also “schwer erreichbar”.

Pilotversuche

Hier gab Kessler 2008 der Mitarbeiterin der Sozialdienste oder dem Lehrer eine Handhabe: die Integrationsvereinbarung. Basel-Stadt ist Pionierkanton eines Pilotversuchs, dem auch Basel-Landschaft, Zürich, Aargau und Solothurn angeschlossen sind.

Jährlich strebt jeder dieser Kantone zwischen 40 und 70 Integrationsvereinbarungen an. Fällt die Auswertung des Versuchs an der Fachhochschule Nordwestschweiz positiv aus, soll das Instrument ab 2011 in allen Gemeinden der Kantone angewendet werden.

Im Kanton Zürich beispielsweise wurden seit Anfang 2008 in den zehn beteiligten Gemeinden 51 Vereinbarungen unterzeichnet, so die kantonale Integrationsbeauftragte Julia Morais.

Als erste Gemeinde im Kanton Bern ist Ostermundigen dem Basler Beispiel gefolgt und greift seit letztem Sommer ebenfalls zu Integrationsvereinbarungen. Zeigt der dreijährige Pilotversuch positive Ergebnisse, will der Kanton Bern die flächendeckende Einführung der Vereinbarung prüfen.

Eltern in der Pflicht

Die per Unterschrift eingegangenen Verbindlichkeiten umfassen etwa den Besuch von Sprachkursen, Regionalen Arbeitsvermittlungzentren (RAV), Weiterbildungen zur Förderung der Arbeitsmarktfähigkeit oder die Elternzusammenarbeit mit Schulbehörden, so David Keller. Dazu führt die Einwohnerbehörde mit den ausländischen Personen jährlich fünf bis sechs Gespräche durch.

Mit der Verknüpfung der Auflagen an die Aufenthaltsbewilligung nehmen die Behörden jenen Kreisen den Wind aus den Segeln, die gern mit dem Bild des renitenten Ausländers hausieren, der den hiesigen Ansprechpartnern auf der Nase herumtanzt.

“Sind die Probleme gravierend, wie beispielsweise Störung der Sicherheit, Delinquenz oder ungerechtfertigter Bezug von Sozialhilfe, kann die Aufenthaltsbewilligung entzogen werden”, stellt Kessler klar.

In Ostermundigen ist die Vereinbarung aber nur das dritte Standbein der Integrationspolitik. Vorher kommen ein Programm zur frühen Förderung kognitiver Fähigkeiten für Kinder von eineinhalb bis drei Jahren sowie die Beratung von Jugendlichen mit Mehrfach-Schwierigkeiten beim Übergang von der Schule zur Aus- und Weiterbildung. Wobei diese Massnahmen sich auch an Schweizer Kinder und Jugendliche richten, betont Keller.

Integration kann aber nur funktionieren, wenn sie auch lokal verankert ist. In Ostermundigen hat die Behörde dazu Ausländervereinigungen, aber auch das einheimische Gewerbe und die Kirchen einbezogen.

Klarheit kommt gut an

Obwohl eine erste Zwischenbilanz über das Ostermundiger Modell noch aussteht – die Auswertung erfolgt an der Universität Neuenburg -, zieht David Keller ein positives erstes Fazit. Die Massnahmen würden von den Betroffenen besser aufgenommen als je erhofft, sagt er.

“Wir formulieren klare Ansprüche, signalisieren aber gleichzeitig, dass wir die Menschen nicht mit ihren Problemen sitzen lassen. Das wird sehr gut aufgenommen.” Für Keller ist deshalb klar, dass die Maxime “Fordern und Fördern” wegweisende Basis für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit ist.

Renat Künzi, swissinfo.ch

Im Bericht “Weiterentwicklung der schweizerischen Integrationspolitik” empfiehlt die Tripartite Agglomerationskonferenz Leitlinien und Massnahmen für eine erfolgreiche Integrationspolitik.

Wichtigste Punkte:

Bund, Kantone, Städte und Gemeinden einigen sich auf ein gemeinsames Integrationsziel: die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Konkret stehen die Grundprinzipien Chancengleichheit verwirklichen, Potenziale nutzen, Vielfalt berücksichtigen und Eigenverantwortung einfordern im Vordergrund.

Alle Akteure orientieren ihre Bemühungen an gemeinsamen Grundsätzen: Integrationsförderung erfolgt in allen gesellschaftlichen Bereichen und betrifft vor allem die Bereiche Bildung, Arbeit und gesellschaftliche Integration.

Alle Ebenen bauen die Integrationsförderung gezielt aus, mit einer flächendeckende Begrüssung, Information sowie allenfalls Erstberatungen.

Bund, Kantone sowie Städte und Gemeinden führen abgestuft Integrationsartikel in die bestehenden Gesetze ein (z.B. Schulgesetz).

Die Kosten aller Massnahmen werden auf 175 Mio. Franken pro Jahr veranschlagt (bisher 45 Mio. Franken).

Die Maxime Fördern und Fordern wurde vom Kanton Basel-Stadt in die Integrationspolitik eingeführt.

2004 schlugen die Behörden im Entwurf zu einem Integrationsgesetz vor, Aufenthaltsbewilligungen an den Besuch von Deutschkursen zu knüpfen.

Basel-Stadt führte das Integrationsgesetz 2007 ein.

2008 folgte die Integrationsvereinbarung, die auch von Zürich und Solothurn übernommen wurde.

Zahlreiche Kantone haben Integrationsbestimmungen in ihren Verfassungen. Die meisten grossen Städte verfügen über entsprechende Leitbilder.

In einem Bericht empfehlen Fachleute 2009 eine gemeinsame Ausrichtung der Integrationspolitik quer durch die Ebenen Bund, Kantone, Städte und Gemeinden.

Ein nationales Integrationsgesetz ist gemäss den Experten aber nicht nötig.

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