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Kolumbien: Krieg trotz Frieden

Gewehr und Munition in einem Guerilla-Lager
Trotz des Friedensabkommens mit den Farc (hier ein Bild aus einem Farc-Lager im Jahr 2016) leben Menschenrechts-Aktivisten in Kolumbien weiterhin gefährlich. Keystone

Mehr als ein Jahr nach Unterzeichnung der Abkommen mit den Farc-Rebellen hängt der Frieden in Kolumbien immer noch am seidenen Faden. Während in einigen Regionen die bewaffnete Gewalt zunimmt, ist das Land dabei, einen neuen Präsidenten zu wählen. Vom Nachfolger des Friedensnobelpreisträgers Juan Manuel Santos hängt auch die Zukunft des Friedens ab, für den sich auch die Schweiz eingesetzt hat.

Orlando Pantoja sitzt im Hof eines Hotels in Bogotà. Sein Blick ist von Traurigkeit erfüllt. “Mein ganzes Leben lang habe ich Angst davor, gefoltert und getötet zu werden. Aber wie viele andere Kolumbianer versuche ich, diese Angst in Stärke zu verwandeln, denn wir können nicht auf den Frieden verzichten”, sagt er.

Die Recherche für diese Reportage wurde finanziell unterstützt durch den Medienfonds “Real21 – die Welt verstehen”Externer Link.

Nur wenige Monate sind vergangen, seit am 9. Februar 2018 in GuapiExterner Link, seiner Heimatstadt, zwei Menschenrechts-Aktivisten ermordet wurden. In der südkolumbianischen Stadt an der Pazifikküste leben afro-kolumbianische Gemeinschaften, die ausgegrenzt und angefeindet werden. Es ist aber auch eine Region des Drogenhandels, der Goldminen und der Gewalt.

Als sie umgebracht wurden, leisteten die Opfer, Jésus Orlando Grueso und Jonathan Cundumi, pädagogische Arbeit für den freiwilligen Ersatz von Kokaplantagen, einem der Eckpfeiler des Friedensabkommens mit den Farc. “Angesichts der grossen Präsenz von bewaffneten Gruppen, die im illegalen Handel tätig sind, hat ihre Tätigkeit viele gestört”, sagt Pantoja in aller Deutlichkeit.

Der Kolumbianer ist Koordinator des Vereins CococaucaExterner Link, der unter anderem von der Schweizer Nichtregierungs-Organisation (NGO) ComundoExterner Link unterstützt wird. Auch er wurde wiederholt wegen der Verteidigung der Rechte der afro-kolumbianischen Gemeinschaften in Guapi und anderen Gebieten des Departements Cauca mit dem Tod bedroht.

Denn trotz den Friedensabkommen mit den Rebellen der Farc kommt es in Kolumbien immer wieder zu politisch motivierten Gewalttaten gegen Menschenrechts-Aktivisten. Zwischen Januar 2016 und Februar 2017 wurden 282 Menschenrechts-Aktivisten ermordet. Gemäss Angaben des kolumbianischen Ombudsmanns entspricht das fast einer Person alle zwei Tage. Auch der UNO-Menschenrechts-Ausschuss prangerte in seinem am 10. Mai in Genf vorgelegten regelmässigen BerichtExterner Link diese Welle der Gewalt an.

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Die trügerische Ruhe in Guapi

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Guapi, jahrzehntelang von der Farc-Guerilla kontrolliert, steht im Zentrum eines neuen Kriegs um Bodennutzung und Koka-Anbau.

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Zivilisten, Opfer eines Kriegs um Bodenrechte

Die Stadt Guapi steht sinnbildlich für den Bürgerkrieg, der Kolumbien noch immer im Griff hat und in mehr als 50 Jahren 8,5 Millionen Menschenleben forderte. Wegen ihrer strategischen Lage zwischen dem Urwald und dem Pazifik gehört die Region seit den 1990er-Jahren zu den Wiegen des Drogenhandels.

Dieses Territorium wurde während Jahrzehnten von den Guerillas der Farc kontrolliert. Doch deren Waffenniederlegung hat ein Machtvakuum geschaffen. Nun hat der Kampf zwischen verschiedenen Gruppen begonnen, welche die Kontrolle übernehmen möchten.

“Das Friedensabkommen sah vor, dass der Staat eingreifen sollte, um die Ankunft anderer Akteure zu verhindern, aber wie in vielen anderen Regionen war dies hier nicht möglich”, sagt Pantoja.

Deshalb sind nun verschiedene bewaffnete Gruppen in der Region in einen Krieg zur Kontrolle des Territoriums verwickelt – die Guerillas der ELN, praktisch abwesend bis vor einem Jahr, Dissidenten der Farc, Paramilitärs und andere Akteure im Dienst der illegalen Wirtschaft.

“Es handelt sich dabei um ein neues Szenario, das nur schwer zu verstehen ist”, sagt Pantoja. “Mit der Farc war es uns zumindest gelungen, einen Dialog aufzunehmen, um sie dafür zu sensibilisieren, die Rechte der Gemeinschaften zu achten. Heute aber wissen wir nicht, wie wir mit diesen bewaffneten Gruppen interagieren sollen, welche die Bevölkerung bedrohen und Menschen umbringen.”

Der Schutz der Zivilbevölkerung wäre eigentlich eine Aufgabe des Staats, aber in dieser und anderen Pazifik-Regionen ist er weitgehend abwesend. Er greift oft nur militärisch ein, während kein institutionelles Angebot existiert, den Menschen eine Alternative zum illegalen Handel oder zur Migration zu bieten.

Zudem ist Guapi auch geografisch vom Rest des Landes abgeschnitten: Die Anreise auf dem Landweg ist unmöglich, die Stadt ist nur per Flugzeug oder Schiff erreichbar. Das kostet entweder viel, oder man muss dafür mehrere Stunden übers Meer anreisen. “Unter solchen Umständen haben die bewaffneten Gruppen leichtes Spiel. In Guapi ist der Frieden nie angekommen”, bemerkt Pantoja.​​

Menschenrechts-Aktivist Orlando Pantoja mit Strickmütze
Orlando Pantoja. Juan Manuel Peña G

Schweiz an der Seite von Menschenrechts-Aktivisten

In jenen Tagen Anfang April ist Orlando Pantoja für ein Seminar über die Risiken in den vom Konflikt betroffenen Gebieten nach Bogotà gereist. Finanziert wurde dieses durch den Kanton Basel-Stadt. Am Treffen nahmen etwa dreissig Menschenrechts-Aktivisten teil, die dem Netzwerk von Friedensgemeinschaften der Basis angehören. Diese Organisation wurde 2004 unter anderem dank der Unterstützung einer Koalition von zehn Schweizer NGO (SUIPPCOL) und des Eidgenössischen Departements für auswärtige AngelegenheitenExterner Link (EDA) ins Leben gerufen.

Doch wie können Menschenrechts-Aktivisten in diesem kriegerischen Umfeld geschützt werden? Alexandra Loaiza, ehemalige Journalistin und internationale Schutzexpertin beim Verband PAS, der das Treffen organisiert und das Netzwerk begleitet hat, fühlt sich ohnmächtig gegenüber so viel Gewalt.

“Wir glauben, ein erster Schritt wäre, die Gemeinschaften zu stärken, damit diese die Bedrohungen erkennen und je nach Situation passende Schutzmechanismen entwickeln können. Diese Massnahmen reichen jedoch nicht aus, wenn der Staat nicht am Ursprung des Problems eingreift. Das heisst, indem er kriminelle Banden und bewaffnete Gruppen bekämpft”, sagt Loaiza.

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Konfliktexperten betrachten eine Zunahme der Gewalt nach einem Friedensprozess zwar als normal, aber die Situation in Kolumbien ist viel schwieriger. Der Grund sind die zahlreichen bewaffneten Gruppen, die teilweise von der Waffenniederlegung der Farc profitiert haben.

So erweiterten etwa die ELN-Guerillas ihren Aktionsradius und füllten ihre Reihen mit neuen Mitgliedern, während die Verhandlungen mit der kolumbianischen Regierung – an denen auch die Schweiz beteiligt ist – nur schwer vorankommen. Und an der Grenze zu Ecuador zettelten Dissidenten der Farc einen bewaffneten Kampf mit Entführungen und Morden an, der an die dunklen Jahre des Bürgerkriegs erinnert.

Schweizer Engagement für den Frieden

Seit den 1970er-Jahren spielt die Schweiz eine wichtige Rolle im Friedensprozess in KolumbienExterner Link. Bei mehreren Gelegenheiten sorgte sie für eine Erleichterung des Dialogs zwischen der Regierung und der Guerilla.

Heute ist die Schweiz für die Überwachung der Umsetzung der Friedensabkommen mit den Farc zuständig, besonders im Hinblick auf die politische Partizipation, die bisherige Entwicklung, die Übergangsjustiz und den Schutz von Menschenrechts-Aktivisten.

Gemeinsam mit Italien, Deutschland, Holland und Schweden ist die Schweiz zudem an den laufenden Verhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der anderen traditionellen Guerilla ELN beteiligt.

Das Gespenst eines neuen Bürgerkriegs

Die Friedensabkommen mit den Farc hängen immer noch am seidenen Faden. Einerseits, weil ihre Umsetzung weiterhin auf holprigem Weg ist und dies einen Anreiz für ehemalige Guerillas schaffen könnte, wieder zu den Waffen zu greifen. Es reicht, zu erwähnen, dass die Landreform, die ursprünglich zur Gründung der Farc geführt hatte, im Parlament immer noch blockiert ist, ebenso wie das Projekt, die Kokaplantagen zu ersetzen.

Zudem können die ehemaligen Kämpfer nicht mit echten Integrationsmassnahmen rechnen. Und sie erhalten auch keine Unterstützung aus der Bevölkerung. Das zeigt das magere Resultat von 0,34% der Stimmen, das ihre Partei “Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común” (Farc) bei den Parlamentswahlen im März erzielte.

Andererseits hängt die Zukunft der Friedensabkommen aber auch vom Volkswillen ab, wenn auch nur indirekt. Am 27. Mai ist das Volk aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen, den Nachfolger des Friedensnobelpreisträgers Juan Manuel Santos. Der Favorit Ivan Duque, ein Anhänger des ehemaligen Präsidenten Alvaro Uribe, hat bereits versprochen, die Abkommen mit den Farc stark abändern und das Land weiter militarisieren zu wollen.

Das Gespenst eines erneuten Bürgerkriegs schwebt deshalb über dem Land. Die Geschichte bestätigt diese Beobachtung, denn nach jedem gescheiterten Friedensversuch hat Kolumbien bisher seine schlimmste Gewalt erlebt.

In Bogotà schwanken die Leiter der Netzwerk-Gemeinschaften zwischen Hoffnung und Angst. Sie wurden zu Zeiten des Bürgerkriegs geboren, und sie kämpfen weiterhin gegen den Krieg und setzen dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel. Damit der Frieden nicht nur ein leeres Wort auf einer Medaille aus Schweden bleibt, sondern das Recht aller, von einer Zukunft zu träumen.

Das Kokageschäft in Kolumbien

Laut dem jüngsten Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und VerbrechensbekämpfungExterner Link (UNODG) hat der Kokaanbau in Kolumbien zwischen 2015 und 2016 um 52% zugenommen, von 96’000 auf 146’000 Hektaren.

Das im November 2016 unterzeichnete Friedensabkommen zwischen den Farc und der kolumbianischen Regierung sieht einen Plan zum Ersatz illegaler Kulturen vor.

Das von der Regierung Santos gesteckte Ziel ist, 50’000 Hektaren mit Gewalt roden zu lassen (hauptsächlich durch Begasung) und 50’000 Hektaren Kokaplantagen mit anderen Produkten zu bepflanzen, durch monatliche Subventionen an die Landwirte.

Das Projekt ist aber gegenwärtig im Parlament blockiert und stösst bei den Bauern auf wenig Gegenliebe. Sie fürchten um ihre Sicherheit und misstrauen den staatlichen Versprechungen, dass ihnen die notwendige Infrastruktur und finanzielle Unterstützung geboten werde, um ein neues Unternehmen zu gründen.

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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