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Umstrittene Initiative für die Todesstrafe

Die letzte Hinrichtung fand in der Schweiz 1940 statt. RDB

Weltweit schaffen immer mehr Länder die Todesstrafe ab. In der Schweiz beginnen die Initianten mit der Sammlung für eine Volksinitiative zur Wiedereinführung der Todesstrafe.

Die Anhänger einer Wiedereinführung der Todesstrafe haben bis am 24. Februar 2012 Zeit, um 100’000 Unterschriften für ihre Initiative zu sammeln. Das umstrittene Volksbegehren hat die formale Prüfung der Bundeskanzlei bestanden.

Mit der Initiative fordern die Initianten die Todesstrafe für Personen, die “in Kombination mit einer sexuellen Handlung mit einem Kind, sexueller Nötigung oder Vergewaltigung eine vorsätzliche Tötung oder einen Mord begehen”.

Hinter dem Komitee steht keine politische Gruppierung. Laut dem Sprecher des Komitees, Marcel Graf, stammen die Initianten aus dem Umfeld eines Opfers.

Für die Initianten ist die Todesstrafe die “gerechte und logische Strafe” nach einem Mord mit sexuellem Missbrauch. Nur der Tod des Täters ermögliche es den Hinterbliebenen, das Geschehene zu verarbeiten, schreibt das Komitee auf seiner Internetseite. Wenn die Todesstrafe nur ein Opfer verhindern könne, lohne sich die Initiative.

Das Argument, dass die Todesstrafe auch Unschuldige treffen könnte, lässt das Komitee nicht gelten: “Solche Verbrechen hinterlassen massive Spuren an den Opfern und am Tatort.” Dank der modernen Kriminaltechnik würden keine Unschuldigen mehr hingerichtet.

Rechtsstaatliche Fragen

Die Initiative wirft rechtsstaatliche Fragen auf. Dennoch wird sie das Parlament wahrscheinlich für gültig erklären, wie Andreas Auer, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Zürich gegenüber swissinfo erklärt: “Unter geltenden Recht kann das Parlament eine Volksinitiative nur dann für ungültig erklären, wenn sie zwingendes Völkerrecht verletzt.”

Unter zwingendes Völkerrecht fallen das Verbot der Folter, des Genozids, der Sklaverei und der Abschiebung in ein Land, wo den Betroffenen Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Ethnie oder politischen Anschauung droht. Soweit nicht die genannten Garantien betroffen sind, gilt die Europäische Menschenrechts-Konvention (EMRK) in der Regel nicht als zwingendes Völkerrecht. In der Frage, Inwieweit das Verbot der Todesstrafe als zwingendes Völkerrecht zu betrachten ist, sind sich die Experten nicht einig.

Gegen internationalen Trend

Dass es in einem europäischen Land Bestrebungen gebe, die Todesstrafe wieder einzuführen, sei “eine sehr spezielle Situation”, sagt Daniel Graf, Sprecher der Menschenrechts-Organisation Amnesty International Schweiz gegenüber swissinfo.ch : “Normalerweise kämpfen wir für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe und das mit Erfolg. Es gibt einen klaren internationalen Trend gegen die Todesstrafe. Sie verhindert zudem keine Verbrechen.” Das belegten zahlreiche Studien.

Die Initiative ist umstritten. Die Frage, ob eine Volksinitiative gültig und mit dem Völkerrecht zu vereinbaren sei oder nicht und auch die Frage der Umsetzbarkeit haben in den Vergangenen Jahren in der Schweiz an Brisanz gewonnen. Dies im Zusammenhang mit der Verwahrungs- der Anti-Minarett und der Ausschaffungsinitiative.

Politik: breite Ablehnung

Bei Politikern stösst die Initiative auf breite Ablehnung: Sozialdemokraten, Christdemokraten und die Freisinnigen lehnen sie ab. Die Initiative dürfe gar nie vors Volk kommen, sagt SP-Parteipräsident Christian Levrat.

Laut dem Präsidenten der Christdemokraten, Christophe Darbellay, dürfen “die Volksrechte nicht dazu benutzt werden, um Rache zu üben.”

Nicht einig ist sich die Schweizerische Volkspartei (SVP): “Ich habe mich stets für das Leben eingesetzt. Daher steht für mich die Einführung der Todesstrafe nicht zur Diskussion”, sagt der Walliser SVP-Nationalrat Oskar Freysinger.

“Wenn der Initiativtext nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstösst, dann sehe ich keinen Grund, die Initiative für ungültig zu erklären – auch wenn die europäische Menschenrechtskonvention das so vorschreibt”, sagt hingegen SVP Nationalrat und Vater der Minarett-Initiative, Walter Wobmann.

Parlament entscheidet

Ob die Initiative inhaltlich gültig ist, entscheidet das Parlament erst nach dem Zustandekommen – wenn bereits 100’000 Unterschriften für das Anliegen gesammelt worden sind. Verletzt der Initiativtext “die Einheit der Form und der Materie oder zwingende Bestimmungen des Völkerrechts, so erklärt das Parlament die Initiative für ganz oder teilweise ungültig”, heisst es bei der Bundeskanzlei.

In der Schweiz ist die Todesstrafe seit 1942 im zivilen Strafgesetzbuch abgeschafft. Im Kriegsfall blieb die Todesstrafe bis 1992 bestehen – für Delikte wie Landesverrat, Feind-Begünstigung, Mord und Plünderung. Die letzte Hinrichtung erfolgte 1944.

Auch auf internationaler Ebene verpflichtete sich die Schweiz, auf die Todesstrafe zu verzichten: Sie ratifizierte 1987 und 2002 die Protokolle Nr. 6 und 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), mit denen die Todesstrafe in Friedens- und Kriegszeiten abgeschafft wird. Heute praktiziert in Europa nur noch Weissrussland die Todesstrafe.

swissinfo.ch

Das Initiativkomitee für die Wiedereinführung der Todesstrafe hat sein Volksbegehren am 25. August 2010 zurückgezogen.

Die Initiative sei die einzige Möglichkeit gewesen, sich Gehör zu verschaffen und die Bevölkerung auf die Missstände aufmerksam zu machen, begründet das Komitee sein Vorgehen.

Die Initiative verlangt die folgenden Änderungen der Bundesverfassung:

Art. 10 Abs.1 und 3

1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Wer in Kombination mit einer sexuellen Handlung mit einem Kind, sexueller Nötigung oder Vergewaltigung eine vorsätzliche Tötung oder einen Mord begeht, verliert sein Recht auf Leben und wird mit dem Tod bestraft. In allen anderen Fällen ist die Todesstrafe verboten.

3 Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten. Ausgenommen ist die Todesstrafe.

Art. 123a Abs. 4 (neu)

4 Wer in Kombination mit einer sexuellen Handlung mit einem Kind, sexueller Nötigung oder Vergewaltigung eine vorsätzliche Tötung oder einen Mord begeht, wird hingerichtet, unabhängig von Gutachten oder wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der Bund vollzieht die Hinrichtung. Die Hinrichtung wird innerhalb von drei Monaten, nachdem die Verurteilung rechtskräftig geworden ist, vollzogen. Das Gericht legt das Hinrichtungsdatum und die Hinrichtungsmethode fest.

Überdies verlangt die Initiative, dass die genannten Verbrechen auch rückwirkend mit dem Tod bestraft werden.

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