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Referendum gegen Mutterschaftsversicherung

SVP-Frauen finden, dass erwerbstätige Mütter nicht mit Lohnfortzahlungen bevorzugt werden sollen, während Hausmütter leer ausgehen. Keystone

Seit 1945 in der Verfassung, riskiert die Mutterschafts-Versicherung, weiterhin ein Auftrag ohne einheitliche gesetzliche Basis zu bleiben.

Schon länger hatte sich die SVP für ein Referendum gegen die jüngst verabschiedete Gesetzes-Fassung entschieden. Diese Woche beginnt die Unterschriftensammlung.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hat am Donnerstag mit der Unterschriftensammlung gegen die neue Mutterschaftsversicherung begonnen. Beschlossen wurde dieses SVP-Referendum schon früher. Klar zeichnete es sich ab, nachdem in der vergangenen Herbstsession der Ständerat, die Kleine Parlamentskammer, einem 14-wöchigen bezahlten Mutterschaftsurlaub für arbeitende Mütter zugestimmt hatte.

Der Ständerat hatte Anfang Oktober noch die Unterstützung für Adoptivmütter aus der Vorlage gestrichen und damit die letzten Differenzen mit dem Nationalrat, der Grossen Kammer, beigelegt.

Zweisinniger Freisinn

Die Botschaft des SVP-Referendumskomitees lautet, dass sich die Schweiz einen “überrissenen Sozialausbau” nicht leisten könne. Mehrere freisinnige Politiker unterstützen das Referendum der SVP, zwei sind sogar Mitglieder des Komitees.

Freisinnig ist jedoch auch einer der Mitbegründer dieser Mutterschafts-Vorlage, gegen die sich das Referendum wendet. Die Vorlage, die letzten September vom Parlament abgesegnet wurde, geht auf Pierre Triponez zurück. Der freisinnige Direktor des Gewerbeverbands hatte sie nach dem Volksnein von 1999 als parlamentarische Initiative mitlanciert. Deren Kosten wurde mit rund 500 Mio. Franken beziffert – viel weniger als der 1999 bachab geschickte Vorschlag.

Jeder weitere Ausbau der Sozialleistungen sei jedoch für das SVP-Referendums-Komitee “völlig verantwortungslos”, solange nicht einmal die bestehenden Sozialwerke finanziell gesichert sind.

SVP-Frauen stehen wie ein Mann hinter dem Referendum

Die Mutterschafts-Vorlage, die vom Ständerat im September akzeptiert wurde, sieht vor, dass nur leibliche und nur erwerbstätige Mütter im Rahmen der Erwerbsersatz-Ordnung (EO) während 14 Wochen 80 Prozent ihres Lohns erhalten. Diese Entschädigung erfolgt, wenn die Mutter vorher mindestens fünf Monate erwerbstätig gewesen war.

Die SVP-Frauen stehen “wie ein Mann” hinter dem Referendum ihrer Partei. Es sei nicht allein Männersache, gegen die Mutterschaftsversicherung zu sein. Einstimmig sei der Entscheid der SVP-Frauen Mitte Woche gefällt worden. Zumindest bei den rund 20 Anwesenden.

Denn drei SVP-Parlamentarierinnen, die der Mutterschafts-Vorlage in der letzten Session zustimmten, hätten an der Partei-Sitzung nicht teilgenommen, wie SVP-Parteisekretärin Ilse Kaufmann mitteilte. Damals hatten auch drei SVP-Männer die Vorlage gutgeheissen.

Mutter-Sein als Privat-Angelegenheit

Bisher existierte im Nationalrat eine Frauen-Front in Sachen Mutterschafts-Versicherung. Sämtliche Parlamentarierinnen hatten sie unterstützt. Mit dem Einzug der Neo-Nationalrätin Jasmin Hutter, St. Gallen, zieht nun eine überzeugte Mutterschafts-Gegnerin in die Grosse Kammer ein.

Die SVP-Frauen kritisieren am Mutterschaftsurlaub den Umstand, dass der Staat damit direkt ein bestimmtes Familienmodell födern wolle. Jasmin Hutter, 25, empfindet es “aus der Sicht einer jungen Frau” als eine Ungerechtigkeit, dass der Lohnersatz auf erwerbstätige Mütter beschränkt sei.

Jene Mütter, die sich ganz der Familie und den Kindern widmeten, würden einmal mehr bestraft. Im übrigen müsse “Muttersein eine private Angelegenheit bleiben.”

Verfassungsauftrag mit drei anderen Gesetzen erfüllt



Der Zürcher Freisinnige Rolf Hegetschweiler ist der Auffassung, der von den Befürwortern zitierte Verfassungsauftrag von 1945 für eine Mutterschafts-Versicherung sei de facto in drei anderen Gesetzen längst erfüllt: Die direkten Kosten der Mutterschaft seien durch die Krankenversicherung gedeckt. Und der Schwangerschaftsurlaub sei im Obligationenrecht und im Arbeitsgesetz geregelt.

Auch der neu gewählte freisinnige Nationalrat Filippo Leutenegger sagt, die Lohnfortzahlung bei Mutterschaft sei nicht Sache des Staates, sondern der Unternehmen und der Sozialpartner. 80 bis 85 Prozent der Unternehmen nähmen diese Verantwortung mit zeitgemässen Lösungen bereits wahr.

Dem Komitee missfällt ausserdem, dass die Finanzierung der Mutterschaft via Erwerbsersatzordnung (EO) vorgesehen ist. Das bedeutet höhere Lohnkosten für die Unternehmen, schade demnach dem Wirtschaftsstandort.

SVP macht “Drecksarbeit”

Kein Wirtschaftsverband habe bisher Unterstützung zugesichert, bedauert Ueli Maurer. Der SVP-Präsident befindet, dass “man die Drecksarbeit der SVP überlässt”. Es werde schwierig sein, die nötigen 50’000 Unterschriften innert drei Monaten zusammen zu bringen.

swissinfo und Agenturen

1984: Ablehnung der Volksinitiative für einen “Schutz der Mutterschaft”.

1987: Ablehnung eines Taggeldes für Mütter während 16 Wochen.

1998: Annahme eines Bundesgesetzes über die Mütterschaft durch das Parlament. Ablehnung durch das Volk im Juni 1999. Der Vorschlag war von Bundesrätin Ruth Dreifuss getragen und sah eine Finanzierung über obligatorische Lohnbeiträge (Erwerbsersatzordnung) oder Mehrwertsteuer -Prozentanteile vor.

Vergleich zu Europa: Alle europäischen Länder schreiben Mutterschafts-Urlaub gesetzlich vor. Minimum 15 Wochen in Belgien, maximum 480 Tage in Schweden. Die meisten Länder kennen auch eine Lösung im Sinne eines Elternurlaubs.

Der im September vom Parlament verabschiedete Vorschlag hätte Kosten von jährlich rund 500 Mio. Franken zur Folge.
Die Finanzierung würde über die Erwerbsersatz-Ordnung und ihren Reservefonds von 3,5 Mrd. Fr. (Lohnprozente) erfolgen.
Dann müssten die Beitragssätze erhöht werden.

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