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Rendez-vous mit der direkten Demokratie

Eine Lösung für die Verkehrsprobleme in der Bundestadt: Tram statt Bus nach Bern-West? Keystone

Am 16. Mai wird in der Schweiz nebst den eidgenössischen Vorlagen auch über regionale Fragen abgestimmt. Die Vielfalt der Themen zeigt die Lebhaftigkeit der direkten Demokratie.

Es geht um öffentliche Finanzen, Infrastruktur-Projekte, Wirtschaftsförderung und interkantonale Zusammenarbeit.

Heisser Frühling für die Schweizer Politik: Am 16. Mai wird auf eidgenössischer Ebene über das Steuerpaket, die 11. Revision der Alters- und Hinterbliebenen-Versicherung (AHV) und die Erhöhung der Mehrwertsteuer für Sozialversicherungen abgestimmt.

Es handelt sich dabei um Geschäfte, die vom Parlament noch in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedet wurden. Gleichzeitig finden in mehr als der Hälfte aller Schweizer Kantone Abstimmungen über Vorlagen statt, welche die Leute sehr beschäftigen.

Tessin: Die Rechte am Scheideweg

Im Kanton Tessin kommt es zu einem wichtigen Test für die Politik der freisinnigen Finanzministerin Marina Masoni. Während die finanzielle Situation im Südschweizer Kanton in den 90er-Jahren solid schien, rechnet man in diesem Jahr mit einem Defizit von 288 Mio. Franken.

Jetzt sollen die Stimmberechtigten über die von der Kantonsregierung vorgeschlagenen Sparmassnahmen im öffentlichen Haushalt befinden. Gespart werden soll im Schul- und Sozialbereich.

Falls die vorgesehenen Sparmassnahmen vom Souverän abgelehnt werden – wie das die Linke und die Lehrkräfte wünschen – würde das Defizit auf 300 Mio. Franken ansteigen. Die Linke kritisiert die Euphorie in den 90er Jahren, welche die bürgerliche Parlamentsmehrheit zu mehrmaligen Steuersenkungen veranlasste.

Weniger Steuern für Pensionierte und Erben

Die Finanzen sind nicht nur im Tessin ein Thema: Das Steuersenkungspaket des Bundesrates könnte in allen Kantonen zu einer Ebbe in der Kasse führen. Deshalb sind die Diskussionen über alle lokalen Steuerreformen derart hitzig.

In Zürich zum Beispiel wird über generelle Steuererleichterungen für Pensionierte abgestimmt. Die grossen Parteien lehnen eine entsprechende Initiative indessen ab. Heute, so heisst es von dieser Seite, seien die Alten nicht unbedingt am meisten benachteiligt.

Im Kanton Waadt – auch hier handelt es sich um eine Volksinitiative – entscheidet der Souverän über die Abschaffung der Erbschaftssteuer. Dazu gibt es einen Gegenvorschlag der Regierung, der weniger harte Konsequenzen für den öffentlichen Haushalt vorsieht.

Interkantonale Zusammenarbeit

Die beiden Halbkantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft sind seit 1833 getrennt. Fast zwei Jahrhunderte nach dem Bürgerkrieg zwischen den Bauern der Landschaft und den Aristokraten der Stadt, der den Kanton entzweite, sehen die Probleme heute grundsätzlich anders aus.

Zwei Volksinitiativen – eine über die Sicherheit und eine über die Verwaltung der Spitäler – fordern eine Zusammenlegung von Polizei und Spital-Planung der beiden Halbkantone. Anhänger der Initiativen ist vor allem der Stadtkanton, wo sich die Probleme der modernen Gesellschaft konzentrieren. Skeptischer gibt sich Basel Landschaft, insbesondere aus finanziellen Gründen.

Im Kanton Freiburg geht es um die ganzen internen Strukturen: Der Kanton stimmt über neue eine Verfassung ab.

Die umstrittensten Themen in diesem ländlichen, erzkatholischen Kanton sind eine Mutterschaftsversicherung, die auch für nicht erwerbstätige Mütter gilt, die registrierte Partnerschaft für homosexuelle Paare und das Stimm- und Wahlrecht auf Gemeindeebene für Ausländer, die seit fünf Jahren im Kanton wohnen.

Öffentliche Infrastruktur

Weil sich die Schweizer Stimmberechtigten auch über Kredite äussern können, besteht für sie die Möglichkeit, bei allen wichtigen öffentlichen Infrastruktur-Projekten mitzubestimmen.

So auch in Bern, wo es um einen kantonalen Kredit von 47,5 Mio. Franken geht für den Bau einer Tramlinie vom Zentrum der Berner Altstadt in den sich rasch entwickelnden Stadtteil Bern-West. Die Gegner des Projektes sprechen von “übertriebenem Luxus” und “Fehlinvestition”.

Ähnlich tönt es im Kanton Graubünden. Dort wird über den bedeutendsten Kredit abgestimmt, den es im Bereich der öffentlichen Erziehung je gab: Die Regierung will für 98 Mio. Franken einen neuen Campus für das Gymnasium in Chur errichten.

Nicht um neue Schulhäuser, sondern um neue Schulprogramme geht es im Halbkanton Obwalden bei der Abstimmungsvorlage über ein neues Schulgesetz. Es sieht ein zehntes obligatorisches Schuljahre vor, ferner Klassen mit maximal 26 Schülerinnen und Schülern sowie Sonderprogramme zur Integration von Ausländerkindern und Sonderangebote für Hochbegabte.

Kantonale Regierungswahlen

In den drei Kantonen Uri, St. Gallen und Schwyz kommt es am 16. Mai zur zweiten Wahlrunde für die Exekutive. Das derzeitige politische Klima wird laut Experten kaum zu Veränderungen führen; dies auch dank einigen taktischen Manövern zwischen den jetzigen Regierungsparteien.

Im Kanton Schwyz kandidieren die Vertreter der vier wichtigsten Parteien auf einer einzigen Liste. Lediglich ein Gastwirt aus dem Muotatal trübt mit seiner wilden Kandidatur die taktische Ruhe der Regierungsparteien.

Im Kanton Freiburg hingegen gibt es Konkurrenz. Für die Ersatzwahl eines zurückgetretenen Exekutivmitglieds kandidieren Vertreter von verschiedenen Parteien.

swissinfo, Daniele Papacella
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

Finanzen, Verfassungsänderungen, interkantonale Zusammenarbeit, verschiedene öffentliche Projekte, neue Schulgesetze: Das Schweizer Stimmvolk ist auch auf kantonaler und Gemeinde-Ebene politisch gefordert.

Die Abstimmungen vom 16. Mai in 14 Kantonen zeigen es: Oft handelt es sich um Vorlagen, die direkten Einfluss auf das tägliche Leben der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben.

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