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Rettung der ausgestorbenen Freiburger Kuh?

Agronom Fernando Baeriswyl hofft auf ein Projekt zum Schutz dieser Rasse in Chile. Dante Baeriswyl Latuz

In der Schweiz ist sie seit 30 Jahren ausgestorben. Nun versucht man mit Blutproben zu erforschen, ob die Kuh in der Gegend von Punta Arenas überlebt hat. Dort, im äussersten Süden Chiles, trafen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten Schweizer Einwanderer ein.

Man glaubte, sie sei vollständig von der Erdoberfläche verschwunden, bis im letzten Jahr der Schweizer Roger Pasquier während einer seiner Reisen nach Punta Arenas auf Bauernhöfen der Gegend angeblich einige Exemplare fand.

Der pensionierte Entwicklungshelfer reiste auf den Spuren seiner Vorfahren, die aus dem Kanton Freiburg nach Chile ausgewandert waren.

Fernando Baeriswyl ist Mitglied der Vereinigung der Nachkommen der Freiburger Einwanderer in Magallan und erinnert sich: “Als ich Pasquier beim Besuch einiger Molkereien begleitete, fiel ihm auf, dass die Kühe denjenigen auf dem Bauernhof seines Grossvaters verblüffend ähnlich waren.”

Pasquier fotografierte sie und begann, wieder zu Hause, mit seinen Nachforschungen.

“So fand er heraus, dass José Davet, Sohn von Einwanderern, 1930 ungefähr 20 Stück Fleckvieh aus Freiburg importiert hatte”, erzählt Baeriswyl. Letzterer ist nicht nur Diplomlandwirt, sondern auch Leiter der Abteilung für erneuerbare Ressourcen des Landwirtschaftsministeriums.

Freiburger Symbol

Mit seinen Informationen gelangte Pasquier an Philippe Ammann von der Stiftung Pro Specie Rara . Er wollte die Rettung dieser Rasse erreichen, die einst das Symbol des Kantons Freiburg war.

Ende 1975 war sie endgültig verschwunden, da sie nach und nach durch die holländische Holsteiner Kuh ersetzt worden war. Diese ist ebenfalls schwarz-weiss gefleckt, ergibt aber einen höheren Milchertrag.

Ammann ging auf das Anliegen ein und reiste im vergangenen September für 10 Tage in die Gegend von Punta Arenas. Ungefähr 25 Stück Vieh, die mit der herkömmlichen Rasse am meisten gemeinsam hatten, entnahm er Blutproben.

“Fast alle Tiere stammten von den Kühen José Davets ab. Alle Milch, die wir während unserer Kindheit tranken, kam aus der in der ganzen Gegend bekannten Molkerei der Familie Davet”, erläutert Baeriswyl gegenüber swissinfo.

Ammann habe während seines Aufenhalts ein Register Davets aus dem Jahre 1945 entdeckt, fährt er fort. Darin waren sämtliche Kühe mit ihren Namen aufgeführt.

“Das ist ein typischer Schweizer Brauch, der hier verloren gegangen ist. Als Philippe Ammann eine Liste der analysierten Kühe machen wollte, hatte nicht eine einzige einen Namen”, erzählt er weiter.

Freiburger Kuh in Chile

Während das Freiburger Symbol in der Schweiz durch ertragsreichere Rassen ersetzt wurde, war die Kuh in Chile weiterhin von grossem und dreifachem Nutzen: für die Milch- und Fleischverwertung und als Zugtier. Zudem passte sie sich gut ans Klima an.

“Es ist eine sehr edle Rasse, denn sogar im Winter bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ist sie auf freiem Feld. Im Gegensatz zu anderen Rassen wie der Holsteiner ist sie genügsam und erträgt das hiesige Klima”, erklärt Baeriswyl.

Er gibt zu, dass es eine derbe Rasse ist, die weniger Milch gibt als andere. “Doch bei uns in Magallan wird dies dadurch wettgemacht, dass man ihr im Winter keinen Futterzusatz geben und sie auch nicht im Stall halten muss”, meint er weiter.

Verschiedentlich versuchte er, sie mit anderen Rassen, z.B. dem Schweizer Braunvieh, zu kreuzen, um die Erträge zu verbessern. Die Versuche schlugen fehl, da die Kreuzungen dem Klima nicht gewachsen waren und starben.

Dies ist ein Hoffnungsschimmer für all diejenigen, die glauben, dass die Kühe in Magallan noch die Gene der ursprünglichen Rasse besitzen.

Wertvolle Gene

“Es ist sicher schwierig, ein reinrassiges Tier zu finden, doch es sollte noch genügend genetisches Material dieser an extreme Klimabedingungen gewöhnten ursprünglichen Freiburger Kuh vorhanden sein,” schätzt der Agronom.

Das letzte Wort haben die DNA-Analysen, die im kommenden März bereit sind.

“Sollten es wirklich die letzten Exemplare sein, so wäre dies ein aussergewöhnlicher Fund, gerade für Stiftungen wie Pro Specie Rara, die Rassen zu schützen versucht, welche während Jahrhunderten mit uns zusammengelebt haben”, betont Baeriswyl.

“Heute leben auf der ganzen Welt dieselben Hühner, Schweine und Kühe. Herkömmliche Rassen verschwinden immer mehr. Wenn die Gene einmal verloren gehen, können sie nie mehr zurückgewonnen werden”, bedauert er.

Sollten die Untersuchungen positiv ausfallen, so möchte Baeriswyl ein Projekt zum Schutz dieser Rasse starten. Auch in Punta Arenas ist sie inzwischen äusserst selten.

“Es wäre sehr schade”, meint er zum Schluss, “wenn diese Kühe, die während 80 Jahren die Bevölkerung dieser Gegend mit Milch versorgten, auch hier aussteben würden”.

swissinfo, Mariel Jara, Santiago de Chile
(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)

Die schwarz-weiss gefleckte Rasse kennzeichnete sich aus durch ihren muskulösen Körper und ein trichterförmiges Euter und passte sich gut an raues Klima an.

Robust und gross, efüllte sie für die Bauern einen dreifachen Zweck: zur Milch- und Fleischverwertung und als Zugtier.

1940 lebten in der Schweiz noch 40’000 Stück; 1946 waren es noch 25’000. Das letzte Exemplar, der Stier Heron, wurde 1975 geschlachtet.

Der Sozialwissenschafter und pensionierte Entwicklungshelfer ist Autor des Buches “Die Freiburger und ihre Nachkommen in chilenisch Patagonien”. Es wurde in Chile und der Schweiz veröffentlicht.

Zwischen 2005 und 2007 reiste er dreimal nach Magallan, um nach den Nachfahren seiner Familie zu forschen, die ab 1876 nach Chile ausgewandert war.

swissinfo.ch

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