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Schweiz kommt punkto Einbürgerungen in Europa an

Eine der Einbürgerungs-Hürden: Staatskundeunterricht für Anwärter auf den roten Pass. Keystone

Das ehemalige Schlusslicht Schweiz ist punkto Einbürgerungen ins europäische Mittelfeld aufgerückt. Dies aber nicht aufgrund vereinfachter Verfahren, sondern weil Einwanderer sich heute im Land niederlassen dürfen, sagt ein Spezialist.

Im vergangenen Jahr lebten knapp 1,7 Mio. Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz, wie der am Montag publizierte Migrationsbericht 2009 ausweist.

Knapp 45’000 oder 2,8% von ihnen konnten 2009 einen roten Pass in Empfang nehmen, der sie zu Schweizer Bürgerinnen und Bürgern macht.

Damit liegt die Schweiz im europäischen Mittelfeld. Bei den Einbürgerungen im Vergleich zur ausländischen Wohnbevölkerung liegt Schweden mit 5,8% an der Spitze, gefolgt von Grossbritannien, Frankreich, Belgien, Norwegen und den Niederlanden.

“Damit ist die Schweiz in Europa angekommen, denn sie war lange Zeit dasjenige Land mit den wenigsten Einbürgerungen im Verhältnis zur Einwanderung”, sagt Etienne Piguet, Professor für Humangeographie an der Universität Neuenburg, gegenüber swissinfo.ch.

In Zahlen ausgedrückt: Innerhalb der letzten 20 Jahre erhöhte die Schweiz diesen Wert von einem auf knapp drei Prozent.

Europas Einwanderungsland Nr. 1

In einer anderen Relation, nämlich dem Verhältnis der Einbürgerungen pro 100 Bewohner, steht die Schweiz gar an der Spitze eines Zwölf-Länder-Vergleichs: Mit 0,6 Einbürgerungen kommt die Schweiz auf doppelt so viel wie Belgien und Schweden mit je 0,3 Einbürgerungen pro 100 Bewohner.

“Die Spitzenposition kommt daher, dass die Schweiz das grösste Einwanderungsland Europas ist”, sagt Migrationsexperte Piguet. Er sieht die Einbürgerungen als logische Konsequenz der Einwanderung derjenigen Menschen, die in der Schweiz bleiben wollen.

Wenn man in Betracht zieht, dass von den knapp 1,7 Mio. Ausländern gut eine Million aus den umliegenden EU-Ländern stammt, kommt die Vermutung auf, dass die Option roter Pass für diese Gruppe kaum von Bedeutung ist.

Für Wirtschaft unerheblich

“Das ist richtig. Eine unserer Untersuchungen ergab, dass Einwanderer aus EU-Ländern entweder weniger lang in der Schweiz bleiben. Oder sie sind deshalb weniger an der Schweizer Staatsbürgerschaft interessiert, weil sie mit dem EU-Pass vom freien Personenverkehr profitieren können.”

Personen aus Europa, meist mit sehr guten Qualifikationen, würden zwar wesentlich zum wirtschaftlichen Leben beitragen. Aber eine Langzeitperspektive zum Leben in der Schweiz entwickeln sie laut dem Experten kaum.

“Die Frage der Nationalität ist etwas für Kaderpersonen, die hier für ein paar Jahre in einem multinationalen Unternehmen arbeiten, ohne grosse Bedeutung.”

Dasselbe gilt für die Sicherung der Sozialwerke wie AHV und IV, weil Arbeitnehmende in der Schweiz ungeachtet der Nationalität Beiträge einzahlen.

“Die Einwanderung ist nicht so sehr eine ökonomische als vielmehr eine soziale Frage”, hält der Migrationsexperte fest. Dafür stehen die Flüchtlinge, die teilweise ihre Nationalität verloren haben und nicht mehr in ihr Herkunftsland zurückkehren können.

“Sie wollen mit ihren Kindern hier leben und sich integrieren. Deshalb ist der Wunsch, Schweizer Staatsbürger zu werden, bei dieser Gruppe am grössten.”

Ein gewichtiger Faktor sind die Einbürgerungen für die Demografie, die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur. “Eingebürgerte tragen wegen höherer Geburtenquoten zur Verjüngung der Gesellschaft in der Schweiz bei”, stellt Piguet fest.

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Alters- und Hinterlassenen-Versicherung (AHV) ist eine Grundversicherung, die den Existenzbedarf garantiert für Rentnerinnen und Rentner ab 65 Jahren, Waisen, Witwen und Hilflose. Sie ist obligatorisch und wird zu rund 80% von Beiträgen der Erwerbstätigen und Arbeitgeber finanziert. Den Rest übernehmen der Bund und die Kantone.

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Nach wie vor hohe Hürden

Die Zahlen aus dem aktuellen Migrationsbericht sind ein ziemlich exaktes Abbild der offiziellen Schweizer Migrationspolitik, die auf dem so genannten Drei-Kreise-Modell basiert.

Dieses besagt, dass sich fast ausschliesslich nur noch Personen aus EU- und EFTA-Ländern niederlassen dürfen. Wer von weiter her kommt, erhält höchstens eingeschränkte Aufenthaltspapiere.

Neben diesem äusseren “Abwehrbollwerk” sind es aber vor allem hausgemachte Hürden, die den roten Pass für Ausländer zu einem raren Gut machen.

“Das Verfahren bleibt ein Hindernis”, stellt Piguet fest. Vor allem mit der Bedingung, dass Antragsteller zwölf Jahre in der Schweiz gelebt haben müssen, während andere Länder eine teils deutlich kürzere Anwesenheit verlangten.

Eine weitere Besonderheit: In der Schweiz ist die Erlangung der Staatsbürgerschaft eine komplexe Sache, in die alle drei Ebenen der öffentlichen Hand involviert sind, also Gemeinde, Kanton und Bund.

Bei der ausgeprägt föderalistischen Struktur der Schweiz bedeutet dies, dass Gemeinden und Kantone im Ansetzen der Massstäbe ziemlich frei sein können.

“Zwar haben in den letzten Jahren zahlreiche Gemeinden und Kantone ihre Einbürgerungsverfahren vereinfacht”, anerkennt der Neuenburger Experte. Trotzdem seien die Unterschiede immer noch beträchtlich: “In gewissen Gemeinden ist die Einbürgerung sehr einfach, in anderen dagegen sehr schwierig.”

Abkehr vom prekären Saisonnier-Statut

Die Erklärung für die Steigerung der Schweizer Einbürgerungsquote liegt laut Piguet in der lapidaren Erkenntnis, dass sich Migranten lange in der Schweiz aufhalten können und somit den Wunsch entwickeln können, hier zu bleiben.

“Die Frage der Einbürgerung hat mit der Lebensperspektive eines Menschen zu tun. Es braucht also den Willen, mit den Kindern in der Schweiz zu bleiben und hier seinen Lebensunterhalt zu bestreiten”, wie es Piguet formuliert.

Das war nicht immer so, Stichwort Saisonniers: “Vor 20 Jahren machten die so genannten Gastarbeiter einen wichtigen Teil der Bevölkerung aus. Sie durften nur für kurze Zeit ins Land kommen und konnten die Schweizer Staatsbürgerschaft nicht beantragen”, erinnert sich Piguet.

Nicht zuletzt auch wegen internationaler Kritik schaffte die Schweiz den prekären Status der Saisonniers ab, aber gänzlich erst 2002.

Renat Künzi, swissinfo.ch

2009 erhielten 44’948 Personen die Schweizer Staatsbürgerschaft, 357 Personen weniger als 2008.

Die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller stammten wie in den letzten Jahren vor allem aus Kosovo, Italien, Deutschland
und der Türkei.

Seit August 2007 verlieren Deutsche ihre Staatsangehörigkeit nicht mehr, wenn sie die Staatsangehörigkeit der Schweiz erwerben.

Die Einbürgerungen von deutschen Staatsangehörigen haben um rund 40% zugenommen (von 3056 Personen 2008 auf 4272 Personen 2009).

Zunahmen gab es auch bei Personen aus Portugal (35%, von 1725 auf 2324 Personen) und Frankreich (10%, von 1819 auf 2010 Personen).

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