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Schweiz sollte Haltung im Steuerstreit mit Brüssel ändern

Die Schweiz muss mit Brüssel sprechen, sagt Laurent Goetschel zum Steuerstreit. Keystone

Die Schweiz müsse irgendwann mit Brüssel über die kantonalen Steuervergünstigungen für ausländische Unternehmen sprechen, sagt der Schweizer Europa-Spezialist Laurent Goetschel im Gespräch mit swissinfo.

Sanktionen erwartet er keine, doch drohten Verzögerungen in den nächsten bilateralen Verhandlungen.

Am Dienstag hatte die Kommission der Europäischen Union (EU) von der Schweiz offiziell Verhandlungen über Steuervergünstigungen für ausländische Holding-Gesellschaften verlangt.

Die EU-Kommission forderte namentlich, diese ihrer Ansicht nach illegale Steuerpraxis aufzuheben oder abzuändern.

Bundesrat Hans-Rudolf Merz wies den Entscheid der Brüsseler Behörde umgehend als “völlig unbegründet” zurück. “Es gibt keinen Anlass für Verhandlungen”, so die Antwort des Finanzministers, welcher die Position der Schweizer Regierung vertrat.

Laurent Goetschel, Professor am Europainstitut der Universität Basel, geht im Gespräch mit swissinfo aber davon aus, dass die Schweiz “irgendwann” mit Brüssel über die Steuerpraxis einzelner Kantone wird sprechen müssen.

swissinfo: Verletzen die kantonalen Steuervergünstigungen für ausländische Holdings das Freihandelsabkommen von 1972 tatsächlich, wie dies die EU-Kommission kritisiert?

Laurent Goetschel: Das ist eine umstrittene Frage. Aus Schweizer Sicht ist dies ganz klar nicht der Fall. Das müsste man letztendlich gerichtlich klären lassen. Tatsache ist aber, dass der Streit über das Freihandelsabkommen den Ausgangspunkt für diese Debatte darstellt. Letzten Endes geht es aber um ein politisches Interesse und ein Kräftespiel.

swissinfo: Geht es nicht einfach um den Kampf um Wirtschaftsstandorte, in dem die Schweiz stark ist? Innerhalb der EU gibt es ja auch Länder, die Unternehmen grosse Steuervorteile bieten, wie Irland, Zypern, Luxemburg.

L.G.: Ja, aber politische Interessen können wirtschaftliche Hintergründe haben. Es ist legitim und kommt relativ häufig vor, dass man Politik betreibt, um beispielsweise auch Standortvorteile für die Wirtschaft zu fördern oder verteidigen.

Es geht um das Prinzip, dass wenn sich in einer Beziehung ein Partner an etwas stört, der andere bereit sein muss, auch darüber zu sprechen.

Die EU empfindet die Steuervergünstigungen als sehr störend. Sie will diesen Bereich, der vielleicht nicht allzu offensichtlich durch ein bilaterales Abkommen geregelt ist, zu einem Gesprächsthema mit der Schweiz machen, auch wenn die Schweiz nicht unbedingt dieser Ansicht ist.

swissinfo: Was steht auf dem Spiel? Droht die EU nur oder muss die Schweiz tatsächlich mit Sanktionen rechnen, etwa mit Strafzöllen?

L.G.: Ich denke nicht, dass der Schweiz je Sanktionen drohen, das liegt weder im Interesse der EU noch der Schweiz. Es ist ein politisches Kräftemessen, in dem jede Seite grobes Geschütz auffährt und eine harte Haltung markiert: Die EU droht mit Sanktionen, die Schweiz sagt, es ist nur ein Kommunikationsproblem. Der weitere Verlauf hängt vom Verhalten beider Seiten ab.

swissinfo: Welche Strategie ist für die Schweiz angezeigt?

L.G.: Das ist schwer zu sagen, denn man müsste mehr Kenntnisse haben, was hinter den Kulissen abläuft. Aber wenn die EU darüber sprechen will, muss auch die Schweiz irgendwann darüber sprechen. Die Verteidigung des Standpunkts “Wir reden nicht einmal darüber” ist mittelfristig keine gute Strategie.

swissinfo: Könnte der Steuerstreit die nächste Runde der bilateralen Verhandlungen beeinträchtigen? Immerhin geht es um wichtige Dossiers wie das Strommarktabkommen oder das Agrarfreihandelsabkommen.

L.G.: Jedes dieser Dossiers steht in seinem eigenen Kontext, sie hängen noch von ganz vielen anderen Punkten ab. Aber schwelt ein Streit im Hintergrund, werden bilaterale Verhandlungen dadurch eher erschwert und verzögert, wie wir in der Vergangenheit gesehen haben.

swissinfo: Reicht es zur Lösung, wenn die Schweiz der EU-Komission ihr Steuersystem mit den kantonalen Hohheiten erklärt?

L.G.: Es ist jetzt ein Verhandlungspoker, in dem es sicher nicht nur ums Erklären geht. Die EU-Kommission hat sich in der Vergangenheit immer als sehr gut informiert erwiesen, was das Funktionieren des Schweizer Systems betrifft. Die Brüsseler Vertreter wissen sehr genau, worum es geht.

swissinfo-Interview: Renat Künzi

Artikel 23.iii des Freihandelsabkommens Schweiz-EU von 1972 sagt, “dass jede Hilfestellung der öffentlichen Hand, welche die Konkurrenz unter Unternehmen oder der Produktion von Waren beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht, mit dem Geist des Abkommens unvereinbar ist”.

Das Abkommen von 1972 regelt ausschliesslich den Handel mit bestimmten Gütern (Industriegütern und Agrarprodukten).

Die Schweiz vertritt die Haltung, dass die Steuervergünstigungen in gewissen Kantonen für Auslandgeschäfte von Holdings, Verwaltungsgesellschaften und gemischen Gesellschaften nicht unter das Freihandelsabkommen mit der EU fallen.

Die EU-Kommission hat am Dienstag die Steuer-Privilegien, die einige Kantone Unternehmen gewähren, als unvereinbar mit dem Freihandelsabkommen von 1972 zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) bezeichnet.

Sie fordert die Schweiz auf, diese Steuer-Praxis zu ändern und dem Abkommen anzupassen. Sie verlangt von ihren Mitgliedstaaten ein Mandat, das ihr erlaubt, Verhandlungen mit der Schweiz aufzunehmen, um eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden”.

Die europäische Exekutive stört sich an den Steuerprivilegien, die einige Kantone Unternehmen gewähren, die bei ihnen den Sitz ihrer Holdings eingerichtet haben, ihre Gewinne jedoch im Ausland realisieren.

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