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Schweizer Gemeinde besorgt über Unruhen in Bolivien

Die jüngsten Ausschreitungen haben bereits einige Dutzend Menschenleben gefordert. Keystone

Die Schweizer Kolonie in Bolivien ist beunruhigt über die Zunahme der Gewalt im Land. Nach den Unruhen der letzten Tage hängt die Hoffnung auf einen konstruktiven Dialog noch an einem dünnen Faden.

Bolivien hat eine lange Tradition an Staatsstreichen und politischer Instabilität. Die letzten Wochen sind von den schwersten Unruhen in der dreijährigen Präsidentschaft von Evo Morales gekennzeichnet. Mehrere Dutzend Tote in verschiedenen Landesteilen sind zu beklagen.

In der autonomen Provinz Pando haben die zentralstaatlichen Behörden die Armee eingesetzt und den Ausnahmezustand ausgerufen, um den Gewalttätigkeiten zwischen Gegnern und Anhängern von Evo Morales ein Ende zu setzen.

Am 10. August sicherten in einer Volksabstimmung 67% der Bevölkerung Morales ihre Unterstützung zu. Doch seit einigen Wochen wird seine Autorität von den Präfekten in fünf Provinzen in Frage gestellt. Diese wollen keine Änderung der Verfassung, weil diese in ihren Augen dem vorgesehenen Autonomiestatut ihrer Regionen nicht Rechung trägt.

Dabei geht es um eine Agrarreform, welche den Grossgrundbesitz künftig auf maximal 10’000 Hektaren beschränken will. Im weiteren geht es um die Verteilung der Einnahmen aus der Erdgas- und Erdölförderung.

Entzweites Land

Das Andenland scheint heute in zwei Lager gespalten zu sein. Einerseits jene, die Morales unterstützen, grossenteils Indio-Kleinbauern aus überwiegend verarmten Berggebieten. Auf der anderen Seite die Gegner aus der konservativen Opposition, meist Mestizen und die weisse Minderheit, Grossgrundbesitzer aus der Amazonas-Ebene.

Morales hat letzte Woche seine Bereitschaft durchblicken lassen, mit seinen Gegnern zu verhandeln. Doch hat er in den letzten Tagen die Absicht bestätigt, seine Verfassungs-Projekte und die Agrarreform durchsetzen zu wollen.

Unterstützung erhielt Morales vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez. Dieser liess gar den US-Botschafter in Caracas ausweisen.

Verhärtete Positionen der Konfliktparteien

Die Schweizer Diplomatie in La Paz verfolgt die Situation in Bolivien aufmerksam und mit einer gewissen Sorge. Im Land leben rund 900 Schweizer Staatsangehörige, viele davon Doppelbürger.

“Die Schweizer Gemeinde hier ist gewöhnt an diese Art von Turbulenzen”, heisst es in der Schweizer Botschaft. “Um für jeden Fall gewappnet zu sein, haben viele bereits begonnen, Nahrungsmittel und sonstige Güter des täglichen Gebrauchs aufzustocken.”

Botschafter Eros Robbiani hat laut eigenen Aussagen keine Kenntnis über Gefahren oder Bedrohungen von Schweizer Bürgern, die in Bolivien leben. Touristen jedoch rät er, sich beim Reisen durchs Land von jenen Regionen fernzuhalten, in denen es in den letzten Tagen zu Ausscheitungen kam.

Was hingegen zu Sorgen Anlass gebe, so Robbiani, sei die ungewöhnliche Härte, mit der die beiden Parteien ihren Konflikt austragen. Trotz allem bleibe der Grossteil der Schweizer Bürger, die in Bolivien bestens integriert seien, zuversichtlich, was die Chancen einer Verhandlungslösung betreffe.

Einmischung von aussen

Laut dem Auslandschweizer George Petit dürfte die laufende Krise komplizierter sein als die früheren. Petit lebt seit 40 Jahren in Bolivien.

Bisher hätten die Bolivianer ihre Probleme immer alleine gelöst, so Petit. “Dieses Mal jedoch mischt sich Hugo Chavez von aussen ein. Der venezolanische Präsident beeinflusse die bolivianische Politik in einer Weise, die nicht unbedingt den Interessen des Landes entspreche.

Auch Mariane Hochstäter hat die Hoffnung auf einen Dialog noch nicht aufgegeben. Sie arbeitet, aus Solidarität mit den Armen, in einem Spital in La Paz. “Die Krise betrifft vor allem die wenig begünstigten Bevölkerungs-Schichten, allen voran die Kleinbauern.”

swissinfo, Félix Espinoza, La Paz
(Übersetzung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

Bolivien gilt als ärmstes Land Südamerikas. Mehr als 60% der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.

Das Brutto-Nationalprodukt beträgt etwa 900 US-Dollar pro Kopf und liegt unter dem Niveau von 1980.

Das Land war Austragungsort unzähliger politischer Konflikte und Unruhen, unter anderem im Zusammenhang mit der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, beispielsweise von Erdgas.

Evo Morales ist seit Dezember 2005 Präsident Boliviens. Er verstaatlichte die Erdgas-Vorkommen und handelte mit den Gas-Multis neue Verträge aus.

Morales ist der erste bolivianische Indio, der das Präsidentenamt innehält. Er lancierte auch ein neues nationales Programm für Entwicklung, wobei prioritär gegen die Armut vorgegangen werden soll.

Bolivien gehört zu den prioritären Ländern der Schweizer Entwicklungs-Zusammenarbeit.

2008 stellen die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) 13,4 Mio. Franken für Projekte in Bolivien zur Verfügung.

Ziel der Kooperation in Bolivien ist es, die Armut zu bekämpfen. Mittel dazu sind zusätzliche Beschäftigung und Kapitalrendite, besonders in den landwirtschaftlichen Gebieten.

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