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Sehnsucht nach Walliser Fendant und gegrillten Würsten

Wer in Nicaragua Schweizer Züpfe, Weggli oder Gipfeli sucht, wird von Gerard Trendle gut bedient. LATINphoto

Über eine halbe Million Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland. Sie vergessen, lieben, hassen und vermissen die Schweiz. Und schreiben Briefe an die Heimat.

“ich schreibe dir, weil ich nicht bei dir bin” heisst das von Madeleine Weishaupt herausgegebene Buch mit Briefen von Auslandschweizerinnen und –schweizern.

Wer im Ausland lebende Freunde besucht und feststellt, dass die sich zu regelmässigen Jass-Abenden mit anderen Schweizern treffen und den 1. August mit Bratwurst und Feuerwerk feiern – sei es in Moskau, Berlin oder am Mittelmeer – ist vielleicht erstaunt.

Was es auf sich hat mit diesen Schweizer Ritualen, versteht wohl nur, wer selbst eine Weile im Ausland gelebt hat. Wie die seit elf Jahren in Nürnberg lebende Schriftstellerin Madeleine Weishaupt.

33 Briefe von Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern hat sie nun als Buch herausgegeben.

Es geht in diesen Briefen nicht ausschliesslich ums Essen. Und doch fällt auf, wie wichtig gerade in diesem Bereich der Geschmack und Duft des Vertrauten ist, wenn man sich über längere Zeit mit viel Neuem und Fremden auseinandersetzt.

So schwärmt Christian Hurni in Kanada: “Den ersten August feiern wir Helvetianer auf der ganzen Welt, wir tanzen dann zum Schwyzerörgeli, singen aus frischer Kehle (es Burebübli mag i nöd), schwärmen von unserem Walliser Fendant und der grillierten Cervelat.”

Abschiedsbrief nach 17 Jahren Trennung

Die 33 Briefe geben sowohl stilistisch wie von ihrer Haltung und Absicht her ganz unterschiedliche Ansichten zur Schweiz.

So klingt der Brief “Liebe Schweiz!” der in Neuseeland lebenden Hausfrau Simone Freeman wie eine Rede an einen Ex-Ehemann: “Zwar leben wir nun seit über 17 Jahren getrennt, du und ich, du noch immer im Herzen Europas (wofür ich dich unheimlich beneide), ich hier und dort und manchmal nirgends so richtig.”

Die Beziehung zur Schweiz wird nicht unbedingt schwieriger, wenn man im Ausland lebt, aber sicher häufiger reflektiert. “Du wirst es kaum glauben, liebe Schweiz”, schreibt Simone Freeman weiter, “aber seit ich eine unübertreffbare räumliche Distanz zu dir geschaffen habe, scheine ich mich dir wieder angenähert zu haben.”

Und doch ist dies ein Abschiedsbrief: “Ich bin überzeugt, dass wir Freunde bleiben werden, ich weiss aber auch, dass du dich unwiderruflich von mir entfernt hast. Ich bin zur Fremden geworden. Aber mach dir keine Sorgen, in der Fremde bin ich nicht mehr fremd, da bin ich einfach ich.”

Heimweh und Melancholie

Der seit langem am Rand von Berlin lebende Churer Schriftsteller Silvio Huonder schreibt seinem Vater eine “Anleitung für eine Deutschlandreise” für den geplanten Besuch und mahnt ihn: “Wenn du am Morgen einen meiner Nachbarn siehst, frage ihn nicht, ob er krampfen gehen muss. Der Arbeitsethos ist hier einiges lockerer als bei euch.”

Besuche aus der Heimat erinnern den Auslandschweizer daran, dass er im Ausland lebt und zerstören seine “Illusion, es würde keine Rolle spielen, ob ich hier bin oder dort”. Denn diese “Illusion schützt mich vor Heimweh, Melancholie und ähnlich störenden Gefühlen.” Die Schweiz tut manchmal weh, besonders wenn man ohne sie unterwegs ist.

Das weiss auch die Herausgeberin des Briefe-Buches, Madeleine Weishaupt. Gefunden hat sie die 33 Briefautoren und –autorinnen zum Teil durch persönliche Kontakte und daneben durch Ausschreibungen in Botschaften, Schweizer Clubs und international präsenten Schweizer Zeitungen.

“Vieles aus diesen Briefen hat mich stark berührt, weil ich es aus eigener Erfahrung kenne”, sagt Madeleine Weishaupt gegenüber swissinfo. “Das weckt Gefühle.”

Wie Distanz verbindet

Auch ihr eigenes Schweiz-Bild hat sich im Lauf ihres bisher elfjährigen Aufenthalts in Deutschland verändert: “Einerseits wird die Sehnsucht, wieder in der Schweiz zu leben, immer grösser, andererseits wird die Schweiz auch immer fremder, weil der aktuelle Tagesbezug fehlt, der Alltag.”

Madeleine Weishaupt fühlt sich in Deutschland angekommen, dennoch weiss sie, dass sie eines Tages in die Schweiz zurückkehren wird. “Das ist mein grosser Wunsch.” Nicht nur das Bild der Schweiz verändere sich im Lauf der Zeit, sondern auch das des Auswanderungslandes.

Das Buch richtet sich nicht nur an Auslandschweizerinnen und –schweizer, sondern gerade auch an Menschen, die hier in der Schweiz leben. “Viele sind etwas blauäugig, was das Auswandern angeht und glauben, das sei ganz einfach, was ein grosser Irrtum ist”, sagt die Autorin und Herausgeberin.

Paradoxerweise verbindet die Distanz zur Schweiz. Wie Madeleine Weishaupt geht es vielen Landsleuten im Ausland: “Hier in Deutschland feiere ich den 1. August, was ich in der Schweiz nie getan hätte.”

swissinfo, Susanne Schanda

Das Buch: “ich schreibe dir, weil ich nicht bei dir bin – Briefe an die Schweiz”, herausgegeben von Madeleine Weishaupt. Verlag Thomas Rüger Nürnberg, Edition Knurrhahn, 16.90 Franken.
Die Präsentation des Buches findet in der Schweizerischen Landesbibliothek Bern statt, am 8. November 2006 um 18 Uhr. Mit Lesungen von Gabrielle Alioth, Silvia Gillardon, Silvio Huonder u.a.
Das Buchprojekt wurde unterstützt von Doris Aeschlimann, der Schweizerischen Post, der ASN Zürich, der Appenzeller Alpenbitter AG, Emmentaler Switzerland, Victorinox AG und swissinfo / Schweizer Radio International SRI.

635’000 Schweizerinnen und Schweizer leben zur Zeit im Ausland. Sie repräsentieren die so genannte Fünfte Schweiz.

Die Mehrheit von ihnen lebt in Europa, nämlich 395’397. Die grösste Auslandschweizer-Gemeinschaft befindet sich in Frankreich (169’437), gefolgt von Deutschland (71’115), Italien (46’327), Grossbritannien (26’441), Spanien (22’041) und Österreich (13’207).

Ausserhalb Europas leben die meisten Auslandschweizer in den USA (71’773), Kanada (36’204), Australien (21’004), Argentinien (14’931), Brasilien (13’878), Israel (11’570) und Südafrika (8758).

Seit 1992 können Auslandschweizer brieflich an Abstimmungen und Wahlen in der Schweiz teilnehmen.

Nach entsprechenden Pilotprojekten im E-Voting in einzelnen Kantonen hat der Bundesrat die schrittweise Einführung von elektronischen Abstimmungen beschlossen.

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