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Serbien rügt Schweiz wegen Kosovo

Micheline Calmy-Rey wird von ihrer Haltung in der Kosovo-Frage nicht abweichen. Keystone

Belgrad hat den Schweizer Geschäftsträger in Serbien-Montenegro zu sich zitiert und gegen die Haltung der Schweiz in der Kosovo-Frage protestiert.

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey werde ihre Politik gleichwohl nicht ändern, sagte ihr diplomatischer Berater gegenüber swissinfo.

Das serbische Aussenministerium protestierte am Mittwoch offiziell gegen das seiner Ansicht nach unangemessene Vorpreschen der Schweiz in der Frage nach dem künftigen Status der serbischen Provinz Kosovo.

Calmy-Reys Stellungnahme für eine formelle Unabhängigkeit der Provinz verletze die Resolution 1244 des UNO-Sicherheitsrats, sagten die Behörden in Belgrad, und die Schweiz nehme damit den künftigen Status von Kosovo vorweg, ohne dass die internationale Gemeinschaft Verhandlungen zu diesem Thema begonnen habe.

Seit 1999 steht die Provinz Kosovo unter UNO-Protektorat. Zuvor hatten internationale Verbände unter Führung der NATO damals der serbischen Schreckens-Herrschaft gegenüber den ethnischen Albanern mit einem zwei Monate dauernden Luftkrieg ein Ende gesetzt. Kosovo gehört heute noch offiziell zu Serbien.

Schweiz sorgt für Verstimmung

Bei ihrem viertägigen Besuch in Kosovo hatte Aussenministerin Calmy-Rey am Wochenende erneut eine formelle Unabhängigkeit für die Provinz angeregt und damit eine diplomatische Verstimmung zwischen der Schweiz und Serbien-Montenegro ausgelöst.

Erst vor zwei Monaten hatte der serbische Präsident Boris Tadic Calmy-Rey zu Verstehen gegeben, dass er nicht bereit sei, über die Unabhängigkeit Kosovos zu diskutieren.

Roberto Balzaretti, diplomatischer Berater im Departement für auswärtige Angelegenheiten, stellt gegenüber swissinfo klar, dass es der Schweiz nicht darum geht, einen endgültigen Status für die bisherige Provinz Kosovo zu definieren.

swissinfo: Sind sie überrascht, dass Micheline Calmy-Reys Stellungnahme in der Kosovo-Frage zu diplomatischen Unstimmigkeiten geführt hat?

Roberto Balzaretti: Ich würde nicht sagen, dass ich überrascht bin. Dass die Haltung der Schweiz auf diese Weise kritisiert wird, fand ich aber doch erstaunlich. Denn was Frau Calmy-Rey in Pristina sagte ist genau dasselbe, was sie vor einigen Monaten in Belgrad gesagt und was der Schweizer UNO-Botschafter in New York an einer Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrates im Mai erläutert hatten. Unsere Position hat sich nicht verändert.

swissinfo: Wollen Sie damit sagen, dass Calmy-Reys Aussagen missverstanden oder aus dem Kontext herausgelöst worden sind?

R.B.: Ich weiss nicht, ob es sich um ein Missverständnis handelt; das müssten sie die Behörden in Belgrad fragen. Die Verhandlungen über den Status von Kosovo beginnen demnächst. Da ist es verständlich, dass die beteiligten Parteien keine Gelegenheit auslassen, ihre Positionen zu bekräftigen. Das könnte die Reaktion aus Belgrad erklären.

Natürlich wäre es einfacher, wenn wir alle dasselbe wollten. Das ist aber nicht immer möglich, und deshalb haben wir eine diplomatische Vertretung in Belgrad und die Serben jemanden in Bern. Entscheidend ist, dass wir die Gespräche darüber weiterführen.

swissinfo: Aber Belgrad betont, dass die Position der Schweiz die UNO-Resolution 1244 verletze und Bern Gesprächen vorgreife, die noch nicht einmal begonnen hätten.

R.B.: Es ging uns nicht darum, eine Staatsform für Kosovo zu definieren. Wir möchten dafür sorgen, dass die Rechte der Minderheiten in Kosovo – die serbischen wie die anderen Minderheiten auch – berücksichtigt werden

Zweitens möchten wir, dass die betroffenen Parteien einen Dialog über den künftigen Status aufnehmen. Und drittens glauben wir, dass eine Rückkehr Kosovos unter serbische Souveränität nicht möglich ist. Die Lösung wäre daher irgendeine Form von Unabhängigkeit für diese Provinz. Was das heisst, müssen die Parteien selbst ausarbeiten. Unsere Haltung widerspricht in keinem Punkt der Resolution 1244.

swissinfo: Ist diese Auseinandersetzung nicht gleichwohl beschämend für die Schweiz?

R.B.: Natürlich tut uns Leid, was geschah. Aber wir sind nicht die offiziellen Vermittler – die EU hat diese Rolle. Wir versuchen nur, den Dialog zu vereinfachen. Es war höchste Zeit, dass jemand sagte, Gespräche über die neuen Staatsfundamente für Kosovo seien nutzlos, wenn der künftige Status der Provinz ausgeblendet werde.

Neue Visionen zum künftigen Status können den Parteien vielleicht helfen, die richtige Lösung zu finden. Belgrad denkt offensichtlich anders darüber. Wir sind jedoch überzeugt, dass die Parteien nur Erfolg haben, wenn sie den Dialog aufnehmen und sich dafür konkrete Ziele setzen.

Unsere Position wird sich nicht verändern, aber – und das muss ich betonen – es liegt an den Parteien, mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft über ihre Zukunft zu entscheiden und nicht an der Schweiz.

swissinfo-interview: Ramsey Zarifeh
(Übertragung aus dem Englischen: Nicole Aeby)

Kosovo steht seit 1999 unter UNO-Verwaltung. Formell gehört die Provinz immer noch zu Serbien.

Seit dem Ende des Krieges zwischen den serbischen Streitkräften und albanischen Separatisten (1998-1999) hat Serbien in Kosovo faktisch aber nichts mehr zu sagen.

Die albanische Mehrheit in Kosovo fordert die Unabhängigkeit. Belgrad lehnt dies kategorisch ab.

Der UNO-Sicherheitsrat beschloss im letzten Mai zu prüfen, ob die albanische Regierung Kosovos die vom Westen diktierten demokratischen Standards erfüllt.

Diese gelten als Voraussetzung für die Aufnahme von Verhandlungenen über den endgültigen Status der Provinz.

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