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Staatsintervention soll Alstom retten

Das "Flaggschiff" Alstom dank Regierungsintervention gerettet Keystone

Der französische Verkehrstechnik-Konzern Alstom steckt in Schwierigkeiten. Nun beteiligt sich die Regierung an einer Kapitalerhöhung.

Die Situation des Konzerns hat Auswirkungen auf ganz Europa, auch auf Alstom Schweiz mit über 5000 Angestellten.

Der Verkehrstechnik-Konzern Alstom ist hochverschuldet. Nun konnte Alstom dank massiver Hilfe des französischen Staats eine Finanzierungsvereinbarung mit rund 30 Banken schnüren, das eine 50-prozentige Beteiligung des Staates an einer Kapitalerhöhung von rund 600 Mio. Euro umfasst. Dies gab Alstom am Mittwoch in Paris bekannt.

Das Finanzierungspaket umfasst insgesamt 2,8 Mrd. Euro (rund 4,2 Mrd. Franken). Bereits Angang Woche hatten Pariser Medien über die Möglichkeit berichtet, dass sich der Staat an der Rettungsaktions beteiligen könnte.

Flagschiff der Grande Nation in Schieflage

Die französischen TGV-Hochgeschwindigkeitszüge gelten als Symbole des Fortschritts und der Dynamik. Sie sind eines der weltweit bekannten Produkte und nationalen Imageträger, die vom globalen französischen Transport- und Energie-Giganten Alstom produziert werden.

Doch der Konzern, eines der wirtschaftlichen “Flaggschiffe” der Grande Nation, ist angeschlagen. Das Unternehmen mit Sitz in Paris beschäftigt in 70 Ländern über 100’000 Angestellte.

Grossunternehmen auch in der Schweiz

In der Schweiz sind es über 5000 Mitarbeiter, die in den Bereichen Herstellung, Übertragung, Verteilung und Transport von Energie einen Umsatz von über fünf Mrd. Franken erarbeiten. Hier geht es vor allem um Kraftwerke und Gasturbinen.

Der Standort Neuhausen ist ein alter Schweizer Industrieplatz: Alstom übernahm dort die Werke von SIG für Schienenfahrzeuge (Fahrwerke fürs Cobra-Tram).

Alstom Schweiz: “Entlassungen wie geplant”

Schon Ende April hatte Alstom in der Schweiz Schlagzeilen gemacht, als bekannt wurde, dass der Konzern europaweit 3000 Stellen streichen wolle, wovon in der Schweiz 470.

Alstom-Schweiz-Sprecher Volker Dragon bestätigt gegenüber swissinfo am Mittwoch, dass “die Freistellungen wie geplant laufen”. Bis Ende Jahr sollen die 470 Arbeitsplätze abgebaut sein.

“Zu den neusten Plänen der Pariser Zentrale kann man noch nichts sagen”, sagt Dragon im weiteren. “Vieles hängt vom Geschäftsgang ab. Alstom Schweiz ist stark von der Konjunktur im Gasturbinen- und Powersektor abhängig.” Und der werde sich vor Mitte/Ende 2004 nicht erholen.

Die Gewerkschaft SMUV begrüsste den Rettungsplan für Alstom. Kurzfristig werde sich der Konzern so stabilisieren. Der SMUV sieht aber auch Gefahren für den Standort Schweiz. In Zukunft könnten politische Argumente höher gewichtet werden als ökonomische, die Schweizer Angestellten könnten daher das Nachsehen haben.

Vorübergehend von der Börse genommen

Anfang Woche waren die Alstom-Aktien auf Wunsch des Unternehmens an den grossen Weltbörsen vom Handel abgesetzt worden (in der Schweiz nicht gelistet). Der hoch verschuldete Konzern wollte damit vermeiden, dass Gespräche über die nötige Stärkung der Finanzbasis die Notierungen zu stark beeinflussen.

Innert zwei Jahren waren die Alstom-Papiere um rund 90% ihres Wertes gesunken – auf etwas über drei Euro letzten Freitag.

Weltweit 5000 Mitarbeiter abbauen

Der neue Alstom-Chef Patrick Kron möchte einen Teil der Verbindlichkeiten von insgesamt 5 Mrd. Euro (rund 7,5 Mrd. Franken) umschulden, Geschäftsfelder verkaufen, das Kapital erhöhen und rund 5000 Arbeitsplätze abbauen – in der Grössenordnung sind das gleichviel Leute wie Alstom in der ganzen Schweiz beschäftigt.

In der Schweiz operiert Alstom an sieben Produktionsstätten: Baden, Birr, Dättwil, Turgi, Oberentfelden, Neuhausen und Lausanne. Alstom (Switzerland) Ltd gilt nicht nur als eine der wichtigsten Töchter des Konzerns, sondern auch als einer der wichtigsten Industriebetriebe in der Schweiz überhaupt.

Verlust von 1, 4 Mrd. Euro und Kapitalerhöhung

Im vergangenen Geschäftsjahr hatte der Konzern einen Verlust von 1,4 Mrd. Euro ausweisen müssen. Nun soll eine Kapitalerhöhung von 600 Mio. Euro Luft schaffen. Davon übernimmt die französische Regierung nun die Hälfte und wird damit zur wichtigsten Aktionärin.

Zusammen mit einer Milliardengarantie (60% der Bürgschaften von Alstom in der Höhe von 3,5 Mrd. Euro) der Regierung sind auch 30 Gläubigerbanken an der erhofften “Rettung in letzter Minute” beteiligt. Der laufende Rettungsplan ist der dritte innert zwei Jahren.

Brüssel will Bescheid

Einerseits könnte eine Pleite von Alstom das Finanzsystem in ganz Europa durcheinanderbringen, andererseits sind Verstaatlichungen auch in der Frankreich gegenwärtig wenig “en vogue”. Doch die lange französische Tradition der staatlichen Einflussnahme überwiegt. Gemäss dem Finanzpaket wird der Staat 31,5% von Alstom übernehmen und damit Hauptaktionär werden.

EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti hatte denn Frankreich auch schon am Dienstag dringend dazu aufgefordert, das ganze Rettungspaket für Alstom noch in diesem Monat der EU zur Genehmigung vorzulegen. Brüssel befürchtet, dass das Einsteigen des Staats als Hauptaktionärin eine Form von versteckter staatlicher Subventionierung des Kozerns sein könnte.

Banken und Staat teilen sich das Risiko

Nur wenn Frankreichs Regierung zeigen könne, dass sie als Investorin ihr Geld zu denselben Konditionen verzinst erhält wie ein Privatinvestor, wäre der Verdacht von Beihilfe nicht begründet, heisst es in Brüssel.

Der französische Finanzminister Francis Mer verteidigte derweil den geplanten Einstieg des Staates bei Alstom. Es handle sich weder um “eine Verstaatlichung der Verluste noch um industriellen interventionismus”, beteuerte der Minister. Der Beitrag der Öffentlichen Hand zum milliardenschweren Sanierungspaket sei “bescheiden, aber symbolisch”.

Die involvierten Banken, BNP Paribas, Société Générale und Crédit Agricole, verlangten von der Regierung ein Engagement, bevor sie selbst ihre Kredite an Alstom in Eigenkapital umwandeln würden.

swissinfo, Alexander Künzle

Alstom-Konzern: Hochgeschwindigkeitszüge, Kreuzfahrtsschiffe, Turbinen
Hauptsektoren: Energie (49%), Transport (27%)
Verschuldung: rund 7,5 Mrd. Franken
Verlust 2002: 2 Mrd. Franken
Alstom Schweiz: rund 5000 Arbeitsplätze, sieben Produktionsstätten, 5 Mrd. Franken Umsatz
Schweizer Standorte: Baden und Birr für Kraftwerke (früher BBC, dann ABB, nach 2001 Alstom), Oberentfelden für Energie (früher Sprecher + Schuh, dann Sprecher Energie, dann zusammen mit AEG zu Alstom), Neuhausen für Schienenfahrzeuge(früher SIG, dann Fiat-SIG).

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