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Stahl zu Goldpreisen

Die chinesische Wirtschaft boomt ohne Ende und verbraucht 25 Prozent der weltweiten Stahlproduktion. Keystone Archive

Als boomende Wirtschaftsnation hat sich China zu einem Rohstoff-Fresser ersten Ranges entwickelt. Die Folge: Die Industrieländer im Westen müssen mit einem eklatanten Anstieg des Stahlpreises kämpfen.

Die Stahlkrise bringt auch in der Schweiz diverse Branchen, darunter die Bauwirtschaft, in Schwierigkeiten.

Das Reich der Mitte erwacht und hat grossen Hunger nach Rohstoffen. Vor allem verbraucht China Unmengen von Stahl, was die Weltmarktpreise in die Höhe treibt.

“Die Preise sind seit Januar extrem angestiegen. Und die Tendenz hält weiter an”, sagt Arthur Schläpfer, der bei Debrunner & Acifer, dem grössten Schweizer Stahlimporteur, für den Einkauf zuständig ist.

Innerhalb von sechs Monaten sei der Stahlpreis um 60% angestiegen. “Einige Stahlarten für die Baubranche haben sogar einen Anstieg von 100% verzeichnet. So eine Entwicklung hat es noch nie gegeben.”

Hamsterkäufe

“Als Folge der schwachen Konjunktur in den 1990-er Jahren hat man wenig Investitionen in die Kapazitäten für Metall-Rohstoffe gesteckt”, meint Robert Chardon, Experte für Industriewertschriften bei der Bank Lombard Odier Darier Hentsch & Cie (LODH).

“Der konjunkturelle Aufschwung in den westlichen Ländern, aber insbesondere der wirtschaftliche Boom in China, haben die Reserven aufgebraucht und die Preise in die Höhe getrieben”, sagt der Experte.

Dabei scheint das Schlimmste noch bevorzustehen. In Anbetracht der Marktentwicklung haben sich viele europäische und amerikanische Firmen mit Stahl eingedeckt, um nicht auf dem Trockenen zu bleiben.

Die Hamsterkäufe betreffen nicht nur grosse Teile wie Träger, Röhren und Blech, sondern auch Kleinteile wie Nägel oder Schrauben.

“Aus Angst, bald noch höhere Preise bezahlen zu müssen, füllen viele Kunden ihre Lager auf”, weiss Arthur Schläpfer.

Baufirmen in Nöten

Aber nicht alle Firmen haben rechtzeitig gehandelt. In einigen Ländern wie Frankreich mussten Unternehmen bereits in Folge der Stahlpreis-Explosion schliessen.

“Viele Baufirmen, die letztes Jahr Verträge mit Kunden abgeschlossen haben, müssen heute mit finanziellen Problemen kämpfen, weil der Ankauf des Materials wesentlich teurer geworden ist und so die Kostenvoranschläge gesprengt werden”, so Schläpfer.

Der Anteil der Stahlkosten an einem Gebäude liege in der Regel nicht über 5% der Gesamtkosten. Doch ja nachdem gehe es geichwohl um Hunderttausende von Franken.

“Der Preisanstieg fällt logischerweise für Stahl- und Glaskonstruktionen besonders ins Gewicht. Aber auch bei Brückenbauten ist er nicht unerheblich”, so Schläpfer.

Münzgeld wird rar

Neben der Bauwirtschaft hat die Stahlkrise auch andere Wirtschaftszweige erfasst, beispielsweise die Werkzeugmaschinen-Industrie. Sogar die Europäische Zentralbank hat das Problem zu spüren bekommen.

So haben sich Euro-Münzen, die Stahl enthalten, in den letzten Wochen rar gemacht. Denn bei der Prägung gibt es in Folge des Stahlmangels erhebliche Verzögerungen.

Die Deutsche Zentralbank hat im Juni angekündigt, eine vorgesehene Anzahl von einer Milliarde Münzen nicht in Umlauf schicken zu können.

Die Schweizer Nationalbank hat die Stahlkrise weniger zu spüren bekommen, denn das Schweizer Münzgeld enthält hauptsächlich Kupfer und Nickel. Deren Preise sind nicht so stark angestiegen.

Wirtschaftsboom

Zwei Jahrzehnte Wirtschaftsreformen in China hinterlassen tiefe Spuren in der Weltwirtschaft.

Die ersten Signale der Umwälzungen durch die Aktivitäten der chinesischen Wirtschaft waren schon vor Jahren zu spüren, als die ersten chinesischen Produkte die westlichen Märkte erreichten und sich westliche Firmen in China niederliessen.

Doch der Preisanstieg der Rohstoffe ist ein neues, bisher nicht bekanntes Phänomen.

Zur Zeit kommt China nur auf einen Anteil von 4% an der Weltwirtschaft. Aber die Wachstumsraten sind eindrücklich. So eindrücklich, dass sie Angst machen. Der Konsum an Stahl verschlingt inzwischen 25% der weltweiten Produktion und übertrifft sogar den Verbrauch in den USA.

“Der Druck aus China wird zusehends auch im Edelmetallsektor spürbar, wie bei Silber, Gold oder Platin. Und der chinesische Boom hat auch entscheidend zum Anstieg des Erdölpreises beigetragen”, sagt Robert Chardon.

Anhaltende Tendenz

In den vergangenen zwei Monaten hat die chinesische Regierung versucht, das Risiko einer Überhitzung der Ökonomie und das damit verbundene Risiko der Inflation einzudämmen. Doch die Massnahmen waren bisher wenig effizient.

“Die verschärfte Geldpolitik, mit einer Erhöhung der Zinsen, um die Kreditaufnahme einzudämmen, wird das Wirtschaftswachstum, wie es China momentan kennt, kaum stoppen”, ist Robert Chardon überzeugt.

Dies gilt vor allem bei einem anhaltend tiefen Dollar-Kurs, der den Ankauf von Erdöl und anderen Rohstoffen begünstigt.

“In den kommenden Jahren wird China wohl kaum mehr zweistellige Wachstumsraten verzeichnen. Doch sie werden nahe an 10% bleiben”, so Analyist Robert Chardon.

Und was wird erst einmal passieren, wenn jeder zweite oder dritte Chinese sich ein Auto kaufen kann? Diese Frage stellen sich im Moment viele Wirtschafts-Wissenschafter.

swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Der Stahlpreis ist seit Jahresbeginn 2004 um 26% gestiegen

Nickel kostet momentan mehr als das Doppelte im Vergleich zum Vorjahr

Auch der Preis für Kupfer ist um 75% gestiegen

Der Anteil der chinesischen Wirtschaft an der Weltwirtschaft beträgt zirka 4%.

Im Jahr 2003 lag Chinas Anteil am globalen Wirtschaftswachstum bei 16%.

Das Reich der Mitte verbraucht zur Zeit zirka 20 bis 30% der Weltproduktion bestimmter Rohstoffe, darunter Stahl.

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