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Starker Euro treibt Italiener in die Schweiz

Der Einkaufstourismus hat die Richtung gewechselt: Aus Italien ins Tessin. Keystone

Jahrelang galt Italien als günstiges Einkaufsparadies für Schweizer. Mit dem zunehmend starken Euro wendet sich das Blatt zugunsten des Schweizer Standorts.

Mit spektakulären Aktionen wollen italienische Geschäftsleute im Grenzgebiet zum Tessin die verlorene Klientel zurück gewinnen.

Porta d’Europa: Tor Europas. Das riesige Shopping Center liegt direkt an der Autobahnausfahrt Como-Süd, 10 Kilometer südlich des Grenzübergangs Chiasso.

Ein hässliches Gewirr aus Strassen führt in diese unwirtliche Gegend – einem Agglomerat aus schnell hochgezogenen Läden, Shopping Malls, McDonalds und einer schier unendlichen Zahl von Parkplätzen.

Bennet, eine führende italienische Supermarktkette, lädt zum Einkaufen ein. Die Kunden schieben ihre überdimensionalen Einkaufwägen durch die Gänge. 40 parallel aufgereihte Kassen warten auf sie.

Porta d’Europa war lange ein beliebtes Einkaufsziel für Tessiner. Die günstigen Preise lockten die Eidgenossen dank eines starken Frankens und einer schwachen Lira über die Grenze. Gerne machte man hier den Wocheneinkauf, zumal die Autobahn bis Como-Süd kostenlos ist.

Weniger Tessiner in Italien



Doch die Zeiten sind vorbei. Seit der Euro in Italien die Preise in die Höhe treibt, ist den Tessinerinnen und Tessinern die Lust aufs Shopping jenseits der Grenze vergangen. Die Folge: Immer weniger Autos mit Tessiner Kennzeichen auf den riesigen Parkplätzen.

„Ich kaufe nur noch ganz bestimmte Produkte hier ein“, sagt eine Rentnerin aus Mendrisio am Eingang zu Bennet. Für Fleisch beispielsweise lohne es sich nach wie vor, auch für Wein und Spirituosen. Und natürlich gebe es immer interessante Aktionen. Die Formel „3×2“ ist in Italien besonders beliebt. Drei Konfektionen nehmen, zwei bezahlen.

Genau umgekehrt präsentiert sich die Situation auf der anderen Seite der Grenze. Serfontana ist ein klassisches Shopping-Center im Tessin, direkt neben der Autobahn bei Chiasso, unweit des Grenzübergangs: Migros, Coop und C&A sind hier mit grossen Läden vertreten. Migros hat ihr Sortiment ganz bewusst auf die italienischen Kunden zugeschnitten.

Mehr Italiener im Tessin

Einen Zustrom aus dem Nachbarland registriert der Detailhändler vor allem, seit der Euro so stark angezogen hat. „Kleider und bestimmte Lebensmittel sind für uns hier sehr interessant und günstig“, sagt eine Hausfrau aus Como, die für ihre Tochter gerade Jeans gekauft hat. „In Italien wäre die Hose doppelt so teuer.“ Und wie könnte es anders sein: Sie lobt die Qualität der Produkte und die Sauberkeit der Anlage.

Alle befragten Italiener jammern über den Euro, denn mit der Einführung der Einheitswährung haben sich viele Preise im Nachbarland verdoppelt. Statt 1000 Lire in 50 Euro-Cents haben etliche Geschäftsleute 1000 Lire in einen Euro umgerechnet.

„Einige wollten bei uns die Schlaumeier machen, aber es ist schlecht raus gekommen“, klagt die erwähnte Hausfrau. Und eine italienische Studentin doppelt nach: „Es ist wirklich ein grosses Problem für uns.“ Sie sei gerade in Frankreich gewesen und könne einen Vergleich ziehen. Dort habe die Umstellung nicht diesen katastrophalen Anstieg der Preise zur Folge gehabt.

Klagelieder auf beiden Seiten



Das Verhältnis Franken/Euro rührt an den Lebensnerv im kleinen Grenzverkehr. Je nach Wechselkurs klagen die Geschäftsleute dies- oder jenseits der Grenze. Viele Jahre klagten die Tessiner, weil nach der Einführung von staatlich verbilligtem Benzin im italienischen Grenzraum die Italiener nicht mal mehr zum Tanken in die Schweiz kamen. Und auch Klassiker wie Zigaretten und Brühwürfel blieben in den Schweizer Regalen liegen.

Doch das Blatt hat sich gewendet. Benzin ist in der Schweiz wieder billiger als in den Provinzen Varese-Como – trotz staatlicher Subventionen im italienischen Grenzgürtel. Jetzt klagen die Geschäftsleute in Italien.

Der beliebte italienische Einkaufsort Ponte Tresa, unmittelbar hinter der Schweizerischen Grenze am Luganer-See, hat unter dem starken Euro besonders gelitten. 220 Geschäfte gibt es hier, mehrere Dutzend Coiffeurs. „Der Ort durchlebt eine wirkliche Krise“, meint Osvaldo Guarnieri, Besitzer eines schicken Möbelladens.

Franco d’oro soll Geschäft retten

Guarnieri ist treibende Kraft einer Initiative, die weit über Ponte Tresa hinaus für Furore sorgt. Er fordert, mit der Aktion „Franco d’oro“ (Goldener Franken) verlorene Kunden mit einem Wechselkurs von einem Franken für einen Euro zurück zu gewinnen. Normalerweise bezahlt man heute fast 1,60 Franken für einen Euro.

Im Dorf allerdings herrscht Skepsis. „Neun von zehn Geschäftsleuten sind dagegen“, sagt Drogerist Riccardo Mina. Ein solcher Wechselkurs bedeute einen Preisnachlass von 40%, was bei den handelsüblichen Margen nicht drinliege.

Guarnieri fühlt sich missverstanden. Er fordere nicht eine lokale Freihandelszone mit eigenem Wechselkurs, sondern einen indirekten Abschlag auf ganz bestimmte Waren. „Statt Rabatten von 50 bis 70%, die viele Geschäftsleute jetzt in Sonderaktionen anwenden, zeichnen wir Ware aus, für die der Wechselkurs 1:1 gilt.“ Dies werde mit Werbekampagnen jenseits der Grenze publik gemacht.

Während in Ponte Tresa noch diskutiert wird, haben andere schon gehandelt. Die italienische Supermarktkette „Esselunga“ hat das Tessin mit leuchtend roten Werbeplakaten tapeziert. „50 %“ lautet die simple Botschaft.

swissinfo, Gerhard Lob, Chiasso

Seit Jahrzehnten ziehen Tessiner Konsumenten in Scharen über die Grenze nach Italien, um dort günstig einzukaufen.

Mit dem starken Euro hat sich die Situation geändert: Jetzt kaufen die Italiener in der Schweiz ein.

Für den kleinen italienischen Grenzort Ponte Tresa mit seinen 220 Geschäften ist die Lage gravierend.

Mit einer Aktion “1 Euro für 1 Franken” wollen die Gewerbetreibenden von Ponte Tresa die Schweizer Kundschaft zurückgewinnen.

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