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Steiniger Weg für das Süsskraut Stevia

Viel Aufruhr um eine unscheinbare Pflanze: Stevia. Pro Stevia Schweiz

Stevia ist ungleich süsser als Weisszucker, und das ohne Kalorien und ohne Karies. Doch in der Schweiz tun sich die Behörden schwer mit der Zulassung.

Dabei ist das Kraut in Asien seit Jahrzehnten ein verbreitetes Süssmittel. Stevia-Befürworter vermuten wirtschaftliche Gründe.

Schweizerinnen und Schweizer mögens gerne süss; 32 Kilo Weisszucker beträgt der Pro-Kopf-Konsum. Zu über 85 Prozent wird der Bedarf auf hiesigen Äckern produziert. So will es das Gesetz. Der Anbau wird vom Bund jährlich mit 45 Mio. Franken gefördert.

Die Zuckerrübe gehört deshalb zu den lukrativsten Ackerfrüchten der Schweizer Bauern; 9000 Franken beträgt der Rohertrag pro Hektar.

Ein abgeschotteter Zuckermarkt bietet Nischenprodukten wenig Chancen. Zum Beispiel Stevia, diese hochpotente Süsspflanze käme für viele Produkte infrage. Stevia-Blätter sind 30 Mal, deren Extrakte bis 250 Mal süsser als Weisszucker. Ihr Riesenvorteil: keine Kalorien und keine Karies.

Südamerika ist die Heimat der Stevia. Die Guaraní-Indianer in Paraguay verwendeten die Blätter der unscheinbaren Pflanze bereits lange vor der Entdeckung durch den Tessiner Naturforscher Moises Bertoni 1887 zum Süssen von Getränken und Speisen.

Stevia – nur für Kriegszeiten?

In England wurden während des Zweiten Weltkriegs zur Überwindung der Zuckerknappheit eifrig Steviagärten angelegt. Das Stigma des “Kriegskrautes” schien der Pflanze allerdings nicht zuträglich zu sein – sie geriet später wieder in Vergessenheit.

Nicht so in Japan; dort ist Stevia seit den 1970er Jahren eine grosse Erfolgsgeschichte. Der Süssstoff Steviosid gehört zu den wichtigsten Süssmitteln: Rund ein Drittel der Esswaren und Getränke sind Stevia-gesüsst. Sogar Konzerne wie Coca Cola oder Nestlé setzen in Japan auf den natürlichen Süsstoff.

In den 1980er Jahren versuchten Schweizer Drogisten, das Kraut auch hier bekannt zu machen – ohne Erfolg. Der Verein Pro Stevia macht jetzt einen neuen Anlauf. Doch der Weg ist steinig. Vor allem medizinische Zweifel werden immer wieder laut – doch Belege für eine Schädlichkeit fehlen bis jetzt.

Schweizer Behörden tun sich schwer

In Asien wurden bislang keine negativen Erfahrungen mit dem Süssmittel bekannt, wie eine Fachtagung des Vereins Pro Stevia Schweiz im Botanischen Garten in Bern deutlich machte. Die Schweizer Instanzen tun sich schwer mit dem Kraut. Sie verweisen auf die EU, welche Stevia als neuartiges Lebensmittel und als Lebensmittelzutat (Novel-Food) nicht akzeptieren will.

Stevia wird vom Bundesamt für Gesundheit nur in bestimmten Formen geduldet: Steviablätter in getrockneter oder pulverisierter Form dürfen kommerziell nicht verkauft werden. Die erstaunliche Begründung lieferte der Berner Kantonschemiker Urs Müller Ende März gegenüber Radio DRS: In einer Teemischung sei Stevia von der “Giftigkeit” her zwar unbedenklich, da es hier nur ein bis zwei Prozent ausmache. Sobald Stevia als Zusatzstoff, zu reinen Süssmittelzwecken, verkauft werde, sei sie nicht mehr zulässig.

In den vergangenen Jahren kam es in verschiedenen Kantonen immer wieder punktuell zu Verfügungen gegen den Verkauf von Stevia-Produkten. Tatsache ist: in vielen Schweizer Drogerien ist der Süsstoff als flüssiges Extrakt (Steviosid) in Fläschchen erhältlich. Und Gärtnereien bieten Stevia als Topfpflanze an.

“Schiefes Risikodenken”

Die Haltung der Behörde stiess bei Fachleuten und Kräuterspezialisten im Botanischen Garten in Bern auf Unverständnis. Für Klaus Ammann, Direktor des Botanischen Gartens, ist das Verhalten der Behörden eine “völlig schiefe Risiko-Perzeption”.

Er weist darauf hin, dass allein im Genussmittel Kaffee 16 karzinogene Stoffe nachgewiesen seien; ein Verbot bestehe deshalb aber nicht. “Wir wissen heute genug über Stevia, um sie bedenkenlos in der Nahrung zu verwenden.”

Das Bundesamt für Gesundheit sah übrigens von einer Teilnahme an der Tagung ab; es bezog sich in einem Schreiben auf “fehlende toxikologische Daten” des Krauts bei WHO und EU; die gesundheitliche Unbedenklichkeit sei “nicht zweifelsfrei” belegt.

Wirtschaftliche Gründe

Spielen am Ende wirtschaftliche Gründe an der zögerlichen Zulassung von Stevia eine Rolle? Für Pro Stevia-Präsident Kurt Steiner ist dies zumindest eine mögliche Erklärung. “Die Hersteller künstlicher Süssmittel, aber auch die Landwirtschaft, sehen in Stevia offenbar ein Konkurrenz-Produkt.”

swissinfo, Stefan Hartmann

Stevia-Blätter sind 30 Mal, deren Extrakte bis 250 Mal süsser als Weisszucker.

Pro Kopf konsumieren Schweizerinnen und Schweizer jährlich 32 kg Weisszucker.

Weltweit liegen rund 900 Studien zu Stevia vor.

Laut der “Food an Drug Administration” (USA) haben dabei 19 Studien negative Ergebnisse etwelcher Form ergeben.

Die EU liess den Anbau von Stevia in Europa erforschen.

In Südspanien unterstützte sie ein Projekt, das die Mechanisierung bei der Stevia-Ernte prüfte.

Stevia gilt als ein möglicher Ersatz für Südeuropas Tabakpflanzer.

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