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Die dunkle Seite der südafrikanischen Kohle

Quelle von Kohle und Kopfschmerzen: Bergwerk in Südafrika. swissinfo.ch

Kohle ist in Südafrika Hauptenergieträger und wichtiger Exportartikel zugleich. Die Regierung will den Sektor weiter ausbauen. Doch die Menschen, die sie in den Gruben abbauen, profitieren nicht davon. swissinfo.ch warf einen Blick auf die Schattenseite dieser Ressource.

Der rote Staub brennt in meinen Augen, auch ohne dass Werktagverkehr ihn aufwirbelt. Doch ich habe Glück, denn ich kann ein paar Mal die Augen öffnen und schliessen – oder wegfahren – und ich bin das Problem los. Nicht so die Menschen, die in der Nähe von Belfast, im nordöstlichen südafrikanischen Bundesstaat Mpumalanga, ihr Leben verbringen.

Maria Mtsweni, Grossmutter und Hausbesitzerin, lebt nur wenige Minuten zu Fuss vom nächsten Kohlebergwerk entfernt. Betrieben wird die Onverdacht-Mine von der südafrikanischen Bergbaugesellschaft Genet, die einen Vertrag mit dem Schweizer Rohstoff-Unternehmen Glencore hat. Als das Werk 2006 in Betrieb genommen wurde, begannen Sprengungen, um zur Kohleader vorzustossen.

Nach Angaben von Mtswenis Anwalt Koos Pretorius waren die Sprengungen derart stark, dass ein Teil ihres aus getrocknetem Schlamm und Lehm gebauten Hauses einstürzte. In ihrem Hof klafft eine Lücke, wo einst ein Zimmer war. Und in den Wänden entstanden grosse Risse, an einigen Stellen so breit wie eine Hand. Der Anwalt, der in der Umgebung eine Kirschenfarm besitzt, hilft Mtsweni und ihren Nachbarn, wenn er kann – und tut dies kostenlos.

Maria Mtsweni: “Ich habe keine andere Unterkunft – das hier ist alles. Sie fällt langsam in sich zusammen, im Grunde stecke ich hier fest. Jedes Mal, wenn ich die Leute der Mine sehe, möchte ich sterben. Es ist eine stete Stressquelle. Dein Verstand verändert sich – und funktioniert nicht mehr. Vielleicht wird Gott helfen, aber daran glaube ich nicht mehr wirklich.” swissinfo.ch

Auf eine Anfrage von swissinfo.ch, wie Glencore die Situation sehe, antwortete ein Sprecher per E-Mail, Abklärungen hätten ergeben, dass “Sprengungen bei unserer Grube zu keinen Schäden an der betreffenden Liegenschaft beigetragen” hätten.

Mtsweni ist nicht befriedigt vom Angebot Glencores, den Schaden an ihrem Haus mit Maschendraht und einer frischen Schicht Lehm zu beheben.

Anders als das Kohlebergwerk ist das Büro, in dem Mtsweni ihre monatliche Rente abholen muss, nicht zu Fuss erreichbar. Dies ist ein Problem, wenn die Strasse während der Regensaison nicht passierbar ist.

“Die Lastwagen, welche die Kohle transportieren, ruinierten die Strasse. Sie wird im Sommer vom Regen überschwemmt, der Schulbus kann die Kinder nicht mehr abholen. Und Rentner können ihre monatlichen Renten nicht abholen”, erklärt Pretorius gegenüber swissinfo.ch.

Kohle – bares Geld

Eine Anfrage von swissinfo.ch für einen Ortstermin im Bergwerk oder einen Termin in einem Büro der Firma in Südafrika lehnte Glencore ab.

Die Milliarden-Industrie Kohle hat für beide Seiten Priorität: Für jene, die sie haben, und für jene, die sie wollen. Zugang zu Kohle bedeutet Zugang zu Elektrizität; ohne Energie können sich Staaten weder wirtschaftlich noch sozial entwickeln.

Und manchmal tragen Bergbau-Firmen zur Entwicklung lokaler Gemeinden bei, indem sie deren Infrastrukturen verbessern. Glencore sagt, das Unternehmen tue dies, indem zum Beispiel eben der Zustand von Strassen verbessert werde, sowie durch Unterstützung von Gesundheits- und Erziehungsprojekten.

Nach Angaben der Welt-Kohle-Vereinigung deckt Kohle etwa 30% des weltweiten Primär-Energiebedarfs und generiert etwa 41% der Elektrizität. Kohle wird auch für 70% der weltweiten Stahlproduktion verwendet.

Jedes Jahr werden etwa 7800 Millionen Tonnen Kohle aus der Erde abgebaut. Fast die Hälfte (3500 Millionen Tonnen) davon in China, das einen Grossteil selbst verwendet. Südafrikas Kohlebergwerke produzieren im Vergleich pro Jahr etwa 260 Millionen Tonnen Kohle, etwa ein Viertel davon wird exportiert. Etwa drei Viertel des Energiebedarfs in Südafrika werden durch Kohle gedeckt.

Kai Reusser / swissinfo.ch

Die Kohleindustrie bietet nach Angaben der Welt-Kohle-Vereinigung mehr als sieben Millionen Arbeitsplätze weltweit. In Südafrika beschäftigen die Kohlebergwerke mehr als 65’000 Arbeiter, der Wert ihrer Löhne pro Jahr wird auf mehr als 913 Mio. Franken geschätzt. Die Kohle-Vereinigung sagt, eine Stelle im Bergbau in Südafrika reiche generell, um Essen und Kleider für zehn Menschen, also auch für Kinder und ältere Verwandte, sicherzustellen.

Nicholus Mabena hat einen dieser Arbeitsplätze, er ist Techniker im Goedehoop-Bergwerk des Unternehmens AngloAmerican, ebenfalls im kohlereichen Bundesstaat Mpumalanga. Wenn er nicht arbeitet, versuchen er und Anwalt Pretorius, sich um die Herausforderungen zu kümmern, mit denen sich seine Familie und Verwandtschaft konfrontiert sieht: Es sind dies Probleme im Zusammenhang mit dem Optimum-Bergwerk in der Nähe von Middelburg.

Totes Vieh, lecke Toiletten

Die Probleme begannen 2009, als Optimum die Mabenas und deren Nachbarn aufforderte umzuziehen, um Platz zu machen für ein neues Kohlebergwerk. Nicholas Mabena sagt, die Umsiedelung an sich sei nicht das Problem gewesen, sondern die Tatsache, dass sie ihr Vieh nicht in die Township von Rockdale mitbringen konnten. Und das vom Bergbauwerk angebotene Weideland sei schlecht gewesen. In der Folge starben etwa 80 Tiere an Unterernährung, wie im Bericht eines Veterinärs steht, der vom staatlichen Landwirtschaftsdepartement angestellt war.

Nach Gesprächen Ende 2012 schickte Optimum der Gemeinschaft ein paar Monate später einen Brief, in dem stand, das Unternehmen sei nicht verantwortlich für den Tod der Tiere. Optimum offerierte aber, die Besitzer für die Hälfte der Tiere zu entschädigen – wenn sie beweisen könnten, dass ihnen die Tiere gehört hatten. Ein schwieriges Unterfangen, waren die Tiere doch schon lange tot.

Zudem schlug Optimum vor, dass die Bauern all ihre noch lebenden Kühe dem Bergwerk verkaufen sollten. Dies würde dem umständlichen System ein Ende setzen, den Bauern “Besuchsrechte” für das Weideland neben dem Bergwerk einzuräumen. Mabena sagt, das sei eine Abzockerei.

Nicholus Mabena: “Wir müssen behalten können, was wir vor dem Umzug besassen. Für uns Schwarze ist Vieh ein Teil unserer Investitionen, denn wir betreiben kein Geschäft. Ich denke, das Bergwerk haut uns in gewissem Sinn übers Ohr. Wenn sie unser Vieh aufkaufen, nehmen sie uns unsere Investition weg, dann haben wir nichts mehr, mit dem wir Geld verdienen können.” swissinfo.ch

Ein weiteres Problem für die Mabenas ist der Wohnraum. Als sie umsiedelten, stellte das Bergwerk zwar neu erstellte Häuser zur Verfügung, einen Grundbucheintrag erhielt die Familie aber nicht. Zudem gibt es in einigen Häusern Probleme mit den Wasserleitungen. So gibt es teilweise kein warmes Wasser, und manchmal verstopfen die Toiletten und dann läuft Abwasser in die Badezimmer. In anderen Häusern fehlen in der Küche die Schränke.

Weg von der Kohle

Die schädlichen Auswirkungen von Kohle auf die Umwelt sind riesig. Kohle verursacht nicht nur Luftverschmutzung, sondern lässt die CO2-Werte steigen und trägt so zur Klimaerwärmung bei. Für den Kohleabbau und den Betrieb der Bergwerke braucht es auch riesige Mengen an Wasser.

Ist die Kohle einst abgebaut und abtransportiert, und wird das Bergwerk geschlossen, kommt das Problem mit dem Abfluss von saurem Wasser, (Acid Mine Drainage, AMD), hinzu, worauf unter anderem die staatliche amerikanische Umweltagentur EPA und die Organisation Greenpeace hinweisen.

Dabei verschmutzt das mit Salz, Sulfaten und Schwermetallen belastete Sickerwasser den umliegenden Boden oder das Grundwasser – und diese Schadstoffe können Menschen und Tiere krank machen, wie es mit den Kühen der Mabena-Familie geschah. Aus diesen Gründen drängen Umweltschützer auf nachhaltigere Energieformen.

“Wir kämpfen für eine Energierevolution in Südafrika – eine Abkehr von der Kohlenutzung”, erklärt Melita Steele von Greenpeace Africa gegenüber swissinfo.ch. Sie verweist darauf, die Pläne der Regierung zum Bau von drei neuen Kohlekraftwerken seien nicht vereinbar mit den angeblichen Bemühungen, von der Kohle abrücken zu wollen.

Der “Integrierte Ressourcen-Plan” des Energiedepartements sieht vor, dass der Energiebedarf Südafrikas bis 2030 durch einen neuen Mix aus Ressourcen gedeckt wird. Ziel ist, dass 42% der neuen Kapazitäten aus erneuerbaren Quellen stammen sollen.

Nach Angaben des staatlichen Energiekonzerns Eskom werden heute etwa 72% des Energiebedarfs in Südafrika durch Kohle gedeckt. Und das dürfte sich in nächster Zeit kaum ändern. Der Welt-Energierat schätzt, dass es weltweit etwa 860’000 Millionen Tonnen Kohlereserven gibt – genug für 140 Jahre. Für Südafrika liegt die Zahl bei 30’000 Millionen Tonnen – was dem Land gewissen Schätzungen zufolge für 200 Jahre reichen würde.

Melita Steele anerkennt die Bedeutung einer stabilen Energieversorgung. “Die weitläufigen Stromausfälle hatten einen grossen Einfluss auf unsere Wirtschaft.” Doch Umweltschützer wie sie verweisen darauf, es brauche mehr Investitionen, um sicherzustellen, dass Kohlekraftwerke mit der Technik zur Abtrennung von Kohlenstoffen ausgestattet werden, um die CO2-Emissionen zu reduzieren.

Kein Ausweg in Sicht

Für Sprinkaan Masango, einen Landarbeiter, der nicht lesen und schreiben kann, ist Strom nicht so eine Sorge. Er muss sich abrackern, um seine grosse Familie, zu der Schulkinder, eine alternde Mutter und arbeitslose Brüder gehören, über die Runden zu bringen. Dazu muss er seine 48 Kühe, Schafe und Ziegen bei guter Gesundheit halten.

Ein Bergwerk mit Verbindungen zu Glencore kaufte nach Angaben von Masangos Rechtsberater das Land, auf dem dieser seit den 1980er-Jahren lebte, illegal auf. Als Folge davon leben jetzt zu viele Leute und Tiere dicht gedrängt auf kleinem Gebiet, Weideland und Wasser sind knapp geworden.

Sprinkaan Masango: “Ich werde die Zahl der Tiere verringern müssen, sonst werden sie sterben. Das lastet auf mir, denn sie sind meine Rente, mein Sparkonto. Ich nehme es meinen neuen Nachbarn nicht übel, aber dem Bergwerk. Als sie das Land kauften, fragte ich sie, was mit mir geschehen würde, doch sie ignorierten mich einfach. Ich stecke hier fest.” swissinfo.ch

Trotz der scheinbar hoffnungslosen Situation scheint Masango bereit, für sein Recht zu kämpfen, sich auf dem von Buschfeuern vernarbten Land durchzuschlagen. Seine Weigerung, einen Rückzieher zu machen, kam ihn jedoch teuer zu stehen. Das Bergwerk liefert den Nachbarbauern gratis Heu für deren Tiere, Masango hingegen geht leer aus, “zur Strafe”, weil er sich weigert, wegzuziehen.

Und trotzdem hat der Mann Träume. So möchte er zum Beispiel für seine Familie auf dem Land, auf dem er 30 Jahre gelebt hat, ein Haus aus Backstein bauen. Da seine Zukunft unsicher ist, hat er es bisher aber nicht gewagt.

Ein Projekt, das teilweise vom Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) finanziert wird, hat südafrikanischen Firmen geholfen, energieeffizienter zu werden. Das 2010 ins Leben gerufene Projekt “Industrie-Energieeffizienz” bietet Unternehmen, die ihre Energiekosten senken wollen, kostenlose Gutachten an. Daneben bietet das Projekt kostengünstige Schulungen zum Thema an.

Bisher konnten im Rahmen des Projekts etwa 268’000 kWh Elektrizität und fast 250’000 Tonnen CO2-Emissionen eingespart werden. Angesichts der steigenden Energiepreise in Südafrika ist das Projekt für das Schwellenland ein Segen bei den Bemühungen, seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Das Projekt soll noch bis März 2014 laufen.

Derweil hat eine Delegation der Schweizer Wirtschaft, die jüngst den Schweizer Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann nach Südafrika begleitete, Möglichkeiten für Schweizer Unternehmen ausgelotet, die ans Kap expandieren möchten, zum Beispiel im Energiesektor.

Daniel Küng, der Geschäftsführer von Switzerland Global Enterprise (ehemals OSEC), erklärte gegenüber swissinfo.ch, dass Energie ein besonders vielversprechender Sektor sei für Schweizer Firmen, die in Südafrika einsteigen möchten, dabei aber die Bereiche Gewinnung von Bodenschätzen oder Bergbau meiden möchten. 

“Ich denke, dies sind Industrien, die zur Zeit einen schweren Stand haben, sei es wegen Überkapazitäten, Mangel an Rohstoffen, oder einfach, weil sie in einem Umfeld stehen, das einen regulatorischen Wandel braucht”, sagte Küng.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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