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Verlassen weitere Milliarden die Schweiz?

Wieviele Milliarden wird der Schweizer Finanzplatz noch verlieren? RTS

Die Regierung Berlusconi hat eine Neuauflage der Steueramnestie angekündigt. Ziel ist es, heimlich ins Ausland transferiertes Kapital nach Italien zurückzuholen.

Werden Schweizer Banken das “Dekret Tremonti bis” spüren? Oder gar andere Länder dem Beispiel Italiens folgen?

Die von der Regierung Berlusconi offiziell in Aussicht gestellte Neuauflage einer Fluchtgeld-Amnestie soll vom 1. Januar bis am 30. Juni 2003 durchgeführt werden. Es soll damit ein “Recycling” mafioser Kapitalien verhindert werden.

Finanzminister Giulio Tremonti hofft, dass durch diesen zweiten so genannten “scudo fiscale” (Steuerschild) weitere 30 bis 35 Mrd. Euro ins Land zurück fliessen.

Beim neuen Programm will der Fiskus für die Legalisierung von Fluchtgeldern eine Sonderabgabe von 4% verlangen. Beim ersten “scudo fiscale”, der den Behörden 1,5 Mrd. Euro eintrug, war noch ein 2,5%iger Obolus zu entrichten.

“Rein ökonomisch ist eine Steueramnestie durchaus sinnvoll”, meint Stéphane Garelli vom Institut IMD in Lausanne. “Wiederaufgetauchtes Kapital erhöht das Steueraufkommen, der Transfer der Gelder schafft Arbeit in der Finanzbranche. Das wahre Problem ist die Gleichbehandlung: Personen, die ihr Geld am Fiskus vorbeigeschmuggelt haben, werden bevorzugt behandelt.”

“Es geht um die Glaubwürdigkeit der italienischen Regierung”, meint Giorgio Ghiringhelli, Präsident der Tessiner Bankiervereinigung (ABT). “Eine Amnestie ist eine Ausnahmeregelung. Man kann eine solche Massnahme nicht laufend ergreifen.”

Zweifel an Effizienz einer Neuauflage

So oder so. Das “Dekret Tremonti bis” wird offensichtlich kommen. Mit welchen Folgen für den Schweizer Finanzplatz?

“Wir müssen uns nicht allzu grosse Sorgen machen”, beschwichtigt Thomas Suter, Sprecher der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBV). “Mit der ersten Amnestie sind zirka 5 bis 10% aller italienischer Gelder zurück geflossen, die auf Schweizer Banken lagen. Wer sein Kapital nach Italien bringen wollte, hat dies wohl schon getan.”

“Es steht ausser Frage, dass unser Sektor mit Problemen zu kämpfen hat”, gibt Giorgio Ghiringhelli zu. “Doch die grössten Schwierigkeiten ergeben sich für uns aus der Abwärtsbewegung der Finanzmärkte, nicht aus der italienischen Steuerpolitik.” Die Steueramnestie falle einfach in einen bereits schwierigen Moment für die Branche.

Findet Italien Nachahmer?

Auch andere Staaten denken laut oder leise über Steueramnestien nach, unter anderen Deutschland: Doch ist Bonn von einer Massnahme nach dem Vorbild Italiens noch weit entfernt. Eine von der rot-grünen Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes hat aber dafür gesorgt, dass die Diskussion um die Entkriminalisierung von Schwarzgeldern richtig entbrannt ist.

Bundeskanzler Gerhard Schröder steht zwar voll hinter der Kommission, hält aber daran fest, dass Schwarzgelder nur unter strengen Bedingungen und “nicht ohne Busse” ins Land zurück geholt werden könnten. Auch in Belgien und Spanien spricht man seit einiger Zeit von Steueramnestien. Handelt es sich um Luftblasen oder ernst zu nehmende Massnahmen?


“Alles ist möglich, vor allem weil Regierungen und Politiker ständig wechseln”, meint Thomas Suter. “Gleichwohl halte ich es für unwahrscheinlich, dass andere Staaten eine so grosszügige Regelung wie Italien vorschlagen werden.” Dies macht es schwer vorhersehbar, ob ähnliche Amnestien einen ebenso grossen Erfolg hätten wie die italienische.

Deutschland: bis 900 Mrd. Euro

Für Deutschland wird das unversteuerte Auslandvermögen auf eine viel höhere Summe als für Italien geschätzt: rund 800 bis 900 Mrd. Euro. Davon liegt bestimmt ein hoher Anteil ebenfalls auf Schweizer Banken.

Eine deutsche Unionsregierung hätte gemäss Einschätzung des Finanzplatzes Schweiz eher zur Steueramnestie gegriffen, um einen Teil dieser Summe wieder unter die eigene Steuerhoheit zu locken. Eine Unionsregierung, so Friedich Merz, Fraktionschef CDU/CSU hätte zu diesem Zweck auch eine anonyme Quellensteuer akzeptiert, wie sie die Schweiz vorschlägt.

Anonyme Quellensteuer als Gegenmittel?

Damit blieben die Gelder zwar auf Schweizer Banken, und das anonyme Bankgeheimnis bliebe ebenfalls, aber in Sachen Zinsbesteuerung wäre man den Ländern entgegengekommen. Doch Brüssel als EU-“Regierung” pocht auf die Informationspflicht, wie Schröders Finanzministerium ebenfalls. Und das will die Schweiz nicht akzeptieren.

Auf alle Fälle kann die Schweiz nichts gegen autonome Entscheid anderer Staaten unternehmen.

Was ist demnach zu tun? “Wir müssen auf unsere Trümpfe setzen, das heisst insbesondere auf die Qualität der Dienstleistungen”, meint Thomas Suter. Wer eine Schweizer Bank wähle, profitiere von Stabilität, Kompetenz und Diskretion. Diese sind laut Bankiervereinigung bleibende Vorteile – unabhängig von der Attraktivität der Steueramnestien.

swissinfo, Marzio Pescia
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Die italienische Regierung hat eine erneute Steueramnestie angekündigt. Eine erste Amnestie für nicht deklariertes Kapital lief im Mai 2002 aus. Zirka 59 Mrd. Euro flossen nach Italien zurück.

Mit 58% stammte der grösste Anteil dieser Gelder von Schweizer Bankinstituten, insbesondere vom Finanzplatz Tessin.

Das Dekret “Tremonti bis” scheint die Bankbranche kaum zu beunruhigen. Der anhaltende Negativtrend an den Börsen bildet die Hauptsorge.

Letzte Steueramnestie in der Schweiz : 1969
Letzte Steueramnestie in Italien: 2002
Repatriiertes italienisches Kapital: zirka 59 Mrd. Euro
Anteil aus Schweizer Banken: 58%
Geschätztes steuerflüchtiges Kapital aus Deutschland in der Schweiz: 800 bis 900 Mrd. Euro

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