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Von Kleinsparern zu kleinen Spekulanten

Zirka ein Viertel der Bevölkerung investiert in Wertpapiere. Keystone

In der Schweiz grassiert erneut das Börsenfieber: Infolge positiver Entwicklung der Finanzmärkte investieren wieder viele Personen in Aktien und Fonds.

Nach den bitteren Erfahrungen vor wenigen Jahren sind die Kleininvestoren jedoch vorsichtiger geworden.

Viele Schweizer erlebten zwischen 2001 und 2003 die harten Gesetze der Börse. Vor allem Sparer, die erstmals in Wertpapiere investiert hatten, mussten eine herbe Enttäuschung und empfindliche Verluste hinnehmen. Die Werte der börsenkotierten Titel brachen auf breiter Strecke ein.

In den 1990er-Jahren hatte die Euphorie an den Börsen angesichts des Booms bei Titeln neuer Technologien (Internet) auch bei Kleinsparern Appetit auf schnelle Gewinne ausgelöst. Doch die Träume nahmen mit den Kurseinbrüchen ein abruptes Ende.

Nach einigen Jahren der Ruhe ist seit letztem Sommer wieder ein neuer Boom an den Börsen festzustellen. Die Lust auf schnelle Gewinne hat sich erneut eingestellt.

Ein Volk von Investoren

Tatsächlich war 2005 ein Superjahr für die Börsen. Der Swiss Market Index (SMI) erreichte ein Wachstum von sagenhaften 31% und hat selbst die rosigsten Prognosen übertroffen.

Die Marktkapitalisierung der Schweizer Börse hat in den letzten Monaten den Wert von 1000 Mrd. Franken überschritten. Da keine Wolken am Konjunkturhimmel zu sehen sind, könnte bald der historische Wert aus dem Jahr 2000 übertroffen werden.

Dieses positive Börsenklima hilft einmal mehr, Kleinsparer in kleine Spekulanten zu verwandeln. “Die Zahl der Schweizer, die in Aktien investieren, liegt zwischen 20 und 25%, je nach Marktverlauf”, sagt Marc Bürki, Direktor von Swissquote. Damit übertrifft die Schweiz ihre Nachbarländer bei weitem.

Tatsächlich liegt die vergleichbare Quote in Deutschland bei etwa 13%, in Frankreich bei 10%. Swissquote als grösste Online-Bank der Schweiz konnte vergangenes Jahr 24% mehr Kunden gewinnen und das investierte Vermögen sogar um 48% vermehren.

Vertrauen in Grossfirmen

Und das Wachstum geht weiter. “Die Schweizer nähern sich in ihrem Verhalten den Sparern in angelsächsischen Ländern, wo es eine lange Tradition bei Investitionen in die Finanzmärkte gibt”, erklärt Bürki.

Das grassierende Börsenfieber ist ein eher überraschendes Phänomen für die Schweiz. Denn die Eidgenossen sind für ihre Vorsicht bei Investitionen und Finanzgeschäften bekannt.

“Die Schweiz kennt aber eine hohe Konzentration an multinationalen Unternehmungen. Und diese geben nicht nur vielen Menschen Arbeit, sondern sind auch im sozialen und gesellschaftlichen Leben sehr verwurzelt. Die Schweizer haben Vertrauen in diese Unternehmungen”, hält Bürki fest.

Die 26 multinationalen Unternehmungen, die im Schweizer Börsenindex SMI vertreten sind, machen allein 80% der Marktkapitalisierung der gesamten Börse aus.

Enttäuschung vorprogrammiert?

Doch was bringt die Zukunft? Riskieren die Schweizer Kleininvestoren nicht einmal mehr eine grosse Enttäuschung? Kann sich der Börsencrash nicht wiederholen?

“Die heutige Börsenentwicklung ist wesentlich gesünder als vor einigen Jahren, denn sie beruht auf dem real guten Geschäftsgang von Unternehmungen. In der Zeit um 1999/2000 gab es eine übermässige Börsenspekulation. Alle dachten, die Aktien steigen von allein und wenn man nur das Internet berührt”, so Marc Bürki.

Viele Kleininvestoren hätten zudem den Crash am eigenen Leib erlebt und seien heute entsprechend vorsichtiger.

Marktbeobachter stellen übereinstimmend fest, dass das Investitionsverhalten heute wesentlich zurückhaltender ist als vor einigen Jahren. “Viele Kunden verkaufen ihre Anlagen, wenn sie keine Gewinne machen, um allzu grosse Risiken zu vermeiden”, sagt der Direktor von Swissquote.

Fit für Fonds

Die Sparer suchten eine Diversifizierung ihrer Anlagen. Und dabei wählten sie vor allem stabile Investitionen. Entsprechend gestiegen ist die Nachfrage nach Informationen über den Wirtschaftsverlauf, den Geschäftsgang einzelner Fimren und die Entwicklung der Finanzmärkte.

Dieses Phänomen spiegelt sich auch im wachsenden Erfolg der so genannten Fondsmesse von Zürich oder der Investissima in Lausanne/Genf. Diese Messen bieten Kurse im Investmentbereich an und erfreuen sich steigender Beliebtheit.

“Auch wer ‘nur’ 20’000 oder 30’000 Franken investiert, will heute genau wissen, was mit diesem Geld geschieht”, sagt Olivier Ferrari, der für die Messe Investissima verantwortlich ist.

Viele Kleinsparer hätten keine Lust, ihr Kapital blind anzulegen. Aber sie wollten auch nicht ihr Leben lang warten, um das Kapital wachsen zu sehen.

swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Eine Million Personen in der Schweiz oder ein Viertel der Erwachsenen investieren ihre Ersparnisse in Aktien, Fonds oder Derivate.

Fast 600 Mio. Franken sind auf schweizerischen oder ausländischen Investmentfonds deponiert

Die Marktkapitalisierung der Schweizer Börse hat im letzten Monat 1’070 Mrd. Franken erreicht.

Der historische Höchststand war im Dezember 2000 mit einem Wert von 1’257 Mrd. Franken erreicht worden.

Bis März 2003 war die Kapitalisierung der Schweizer Wertpapiere auf 567 Mrd. Franken gesunken.

Der Swiss Market Index (SMI), in der 26 grosse Schweizer Aktiengesellschaften vertreten sind, ist im Jahr 2005 um 31% gestiegen.

Klassische Sparbücher brachten im Jahr 2005 durchschnittlich Zinsen zwischen 0, 5 und 1,0%.

Seit Jahresbeginn ist der SMI um 6% gestiegen.

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