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Boom bringt Immobilienmarkt an seine Grenzen

Volles Haus, voller Mond: Wohnblock in Zürich. Ex-press

Steigende Mieten und Preise für Rendite-Objekte und Wohneigentum sowie gleichzeitig tiefere Renditen für institutionelle Anleger: Der Schweizer Immobilienmarkt boomt und kommt an seine Grenzen. Am angespanntesten ist die Lage in den grossen Agglomerationen.

“Wir hatten immer wieder einen knappen Markt, das ist nicht neu. Gravierend sind jedoch die so genannten Leerkündigungen”, sagt Regula Mühlebach, Geschäftsführerin des Schweizerischen Mieterverbandes, gegenüber swissinfo.ch.

“Das heisst, den Mietern von Mehrfamilienhäusern wird aufgrund von Sanierungen zur Optimierung der Renditen gesamthaft gekündigt. Anschliessend werden die Wohnungen sehr viel teurer vermietet.”

In Genf steige die Miete einer Wohnung um durchschnittlich 13.5%, nur weil das Objekt wieder auf dem Markt sei, sagt der CEO des Immobilien-Beratungsunternehmens IAZI, Donato Scognamiglio. “In Neuenburg sind es 12%, in Zürich 6.3%.” In den Kantonen Aargau oder Solothurn beträgt die Differenz zwischen Bestandes- und Neumiete hingegen nur gut 1%.

Scognamiglio bezieht sich dabei auf eine Erhebung seiner Firma zum Immobilienmarkt Schweiz und auf Mieterwechsel, bei denen die Mieter von sich aus kündigen: “Wenn Mieter den Hafen des Mietrechts verlassen, sind sie den Stürmen des Marktes ausgesetzt”, so Scognamiglio.

Treue wird belohnt

Der Wechsel einer Mietwohnung kommt vor allem in den Agglomerationen teuer zu stehen. Treue Mieterinnen und Mieter hingegen müssen heute laut  Scognamiglio im Schnitt lediglich 7% mehr Miete bezahlen, als vor zehn Jahren.

Die Immobilienfirma Wüest & Partner stellt in ihrem neusten Marktbericht fest, der Mietwohnungsmarkt sei “zweigeteilt zu betrachten”, denn “während die Angebotsmieten in den vergangenen Quartalen in allen Marktregionen gestiegen sind, haben sich die Mieten im Bestand auf Grund der Anbindung an den Referenzzinssatz stabil oder sogar leicht rückläufig entwickelt”. Solange die Hypothekarzinsen auf dem aktuell tiefen Niveau verharrten, dürfte “dieser Trend weiter anhalten”, so der Bericht.

Am stärksten angespannt ist der Wohnungsmarkt am Genfersee, in der Stadt Genf, in Zürich, im Oberengadin und in der Stadt Basel. In ländlichen Regionen – etwa im Kanton Uri oder im Jura – ist die Situation entspannter, was für den Mieterverband lediglich ein kleiner Trost ist, denn “70% der Bevölkerung wohnen in den Städten und grossen Agglomerationen”, so Mühlebach.

Kein Markt

Laut einem Bundesgerichtsurteil müsste die Schweiz einen Leerwohnungsbestand von 2% oder mehr haben, damit überhaupt von einem funktionierenden Markt die Rede sein könnte. Am 1. Juni 2011 betrug der Leerwohnungsbestand im landesweiten Schnitt gerade mal bei 0,94%. In der Stadt Zürich standen lediglich 57 Wohnungen leer.

Das sei “volkswirtschaftlich und sozial eine gravierende Entwicklung”, sagt Mühlebach, die dazu führe, “dass die Vermieter bei einem Mieterwechsel absolut die Möglichkeiten des Marktes ausschöpfen”. Zinserhöhungen von “13% und mehr” seien üblich, “in vielen Fällen sind es sogar sehr viel mehr”.

Der Mieterverband fordert deshalb vermehrte staatliche Interventionen in den gemeinnützigen Wohnungsbau und raumplanerische Massnahmen, wie etwa eine Vorschrift, wonach die Gemeinden einen bestimmten Anteil ihrer Bauzonen dem gemeinnützigen Wohnungsbau vorbehalten müssten.

Weniger Rendite für Pensionskassen

Gleichzeitig führen Immobilienboom und Nachfragedruck zu steigenden Preisen bei den Renditeobjekten. “Die Investoren leiden. Wir haben einen Anlagenotstand, denn es hat praktisch keine Objekte auf dem Markt. Die Wertsteigerung beträgt 40% in zehn Jahren”, sagt Scognamiglio.

“Die Versuchung bei den Pensionskassen ist gross, auch Objekte mit 4% Bruttorendite – also mit einer schlechten Rendite – in ihr Portfolio aufzunehmen.” 2009 betrug die durchschnittliche Bruttorendite noch 6.6%.

Munter und zusehends stärker am Steigen sind auch die Preise für Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser. Im Schnitt stiegen die Preise  laut der IAZI-Studie in den vergangenen zwölf Monaten im Schnitt um 5.8% bei den Einfamilienhäusern und um 6.5% bei den Eigentumswohnungen.

Auch hier sind die regionalen Unterschiede gross. So stiegen die Preise bestehender Einfamilienhäuser im selben Zeitraum in der Stadt Zürich um 20%, jene der Neubauten sogar um 90%.

Warnungen vor Blasenbildung

Seit einiger Zeit häufen sich die Warnungen vor einer möglichen Blasenbildung im Immobilienmarkt. So hat die Ratingagentur Moody’s kürzlich die Raiffeisen Bankengruppe wegen ihrem “aggressiven Wachstum im Bereich Hypothekarausleihungen” herabgestuft. Der Hypothekarmarkt zeige “frühzeitige Anzeichen einer Überhitzung in gewissen Regionen”, so Moody’s.

Es bestehe mit Blick auf den Hypothekarmarkt noch kein Grund zur Panik, sagt Oliver Würsch, Leiter Strategische Grundlagen bei der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma).

Dennoch sei die Finma aus verschiedenen Gründen beunruhigt: “Anstatt, dass die Banken auf die Bremse stehen, geben sie derzeit eher noch Gas.” Zurzeit gebe es keinen systematischen Überblick über den Schweizer Hypothekarmarkt. Darum müsse das Monitoring verbessert werden, so Würsch.

Kompetenz beim Bundesrat

Einige Banken seien bereits vorsichtiger geworden und hätten ihre Strategie geändert, so Würsch. Das heisst: Sie verlangen in den Boom-Regionen in einzelnen Fällen höhere Eigenkapitalanforderungen und nehmen Abschläge auf den Verkehrswerten vor.

Andere Banken wiederum hätten die Eigenkapitalanforderungen in gewissen Fällen von 20 auf 15% gesenkt. Die Durchsetzung der Eigenmittelanforderungen oder höhere Eigenmittelquoten bezeichnet Würsch als “hochpolitische Frage”, deren Regelung in der Kompetenz des Bundesrates liege.

Als einen der Hauptgründe für die ungebremste Nachfrage nach Wohnraum in der Schweiz nennt das Monitoring der Immobilienfirma Wüest&Partner die Einwanderung.

Die Auswirkungen seien facettenreicher, als zunächst erwartet: Zwar sei ein wesentlicher Teil der “neuen” Einwanderer gut qualifiziert. Es seien aber nicht nur Manager, die eine grosszügige Stadtwohnung oder eine Villa am See suchten, so das Monitoring.

Aufgrund der stark steigenden Zahl von ausländischen Studenten aus aller Welt nimmt beispielsweise an den Unistandorten auch die Nachfrage nach günstigem Wohnraum zu.

Stark an Bedeutung gewinnen auch die Grenzgänger. Die Immobilienmärkte flössen grenzübergreifend immer mehr ineinander. In Genf etwa werde die geplante Bahnlinie nach Annemasse die Wohnimmobilienmärkte weiter zusammenwachsen lassen.

Insgesamt zeige der Schweizer Immobilienmarkt trotz der Turbulenzen an den Börsen und Kapitalmärkten, Schuldenkrise und Frankenstärke keine auffälligen Schwächen. Gründe seien neben der Einwanderung die Flaute bei alternativen Anlageklassen und die Flucht in so genannte Realwerte.

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