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Die Wirtschaft sorgt für weitere Unsicherheiten

Deutschland, Frankreich und Grossbritannien sind sich alles andere als einig, wie die Schuldenkrise im Euroland gelöst werden soll. Keystone

2012 dürfte für die Schweiz wohl ein Jahr der wirtschaftlichen Stagnation werden. Denn ihre wichtigste Exportregion, die Eurozone, ist ausser Stande, ihre öffentliche Haushaltskrise zu lösen.

Die einzig wirklichen Fragen, die sich aufdrängen, betreffen die Dauer dieser unruhigen Zeit, die Tiefe, mit der sie die Schweizer Wirtschaft trifft und die Opferzahl unter der Arbeitnehmerschaft.

Obschon die Schweizerische Nationalbank (SNB) und der Bund im zweiten Semester 2011 Massnahmen ergriffen, um die Effekte des nachlassenden Wachstums abzufedern, liegt das Schicksal der Schweizer Wirtschaft gegenwärtig hauptsächlich im Bereich von Kräften, die sich ausserhalb einer nationalen Kontrolle befinden.  

Die Sorge Nummer eins ist die zunehmende Konfusion rund um die Rettungsaktion der schwächeren Mitgliederstaaten der Eurozonen-Peripherie, besonders Griechenland. Frankreich, Deutschland und Grossbritannien sind nicht einig, wie sie mit dem Problem umgehen sollen. Viele Beobachter sorgen sich darum, wie hoch der Schaden schliesslich ausfallen wird.

Die Finanzkrise von 2008 und die darauf folgende Abkühlung hatte die Schweiz dank einem stabilen Immobilienmarkt, einem starken Inlandkonsum und tiefer Verschuldung relativ gut überstanden.  

Drückender Franken

Doch am Häusermarkt zeigen sich inzwischen Besorgnis erregende Anzeichen einer Teilüberhitzung, besonders in den grossen Städten und den Tourismusdestinationen. Demgegenüber schnallen die Verbraucher langsam ihre Gürtel enger.

Dieses gute Abschneiden der Schweiz hatte sich aber auch als Problem herausgestellt: Denn von überall her haben Anleger die Schweiz einmal mehr als sicheren Hafen in Beschlag genommen, in den sie vom Dollar- und vom Euroraum her geflüchtet sind.   

Die darauf folgende Verteuerung des Frankens hat Schweizer Exporte und Ferien in der Schweiz ziemlich verteuert, was sie für die Nachfrage aus dem Ausland weniger attraktiv gemacht hat. 

Dieser Währungsdruck, kombiniert mit einem Nachfragerückgang seitens der europäischen Konsumenten, die immer knapper bei Kasse sind, und der immer sparsamer agierenden Regierungen zeigt erste Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft. Immerhin gehen zwei Drittel der Schweizer Ausfuhren in die EU.

Letzten Februar schon hatte die Hälfte aller befragten Schweizer Exporteure im Maschinenbau- und Elektrosektor die Frankenstärke als ernst zu nehmende Bedrohung für die Margen eingeschätzt. Bis zum November 2011 erhöhte sich dieser Anteil auf zwei Drittel.

Neue Märkte

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) revidierte kürzlich die Wachstumsprognose für die Schweizer Wirtschaft auf nur noch +0,5% für 2012. Viele Ökonomen erwarten gar zwei Winter-Quartale mit negativen Wachstumsraten – eine technische Rezession also. 

Massnahmen sind zwar eingeleitet, um sich von diesen besorgniserregenden Entwicklungen zu schützen. So bemühen sich die Unternehmen, neue Märkte in Entwicklungs- und vorallem den BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China zu erschliessen.

Die SNB setzte die Eurountergrenze im September auf 1.20 Fr. fest, nachdem der Euro und Franken beinahe schon Parität erreicht hatten. Dieses Wechselkursziel ist seither erfolgreich verteidigt worden, weil die Notenbank versichert hat, diesen Kurs durchzuhalten, koste es was es wolle (Notenpresse!).

Im Herbst hat die Regierung ein 870-Mio. Fr.-Stimulierungspaket in Aussicht gestellt – das in erster Linie Arbeitsplätze erhalten respektive überbrücken helfen soll. Dennoch wird zugegeben, dass solche Massnahmen eher Rettungsinseln als wirkliche Schutzdämme gegen rezessive Flutwellen von aussen darstellen. 

Beschäftigung

Bisher haben sich die negativen Wirtschaftstrends nicht gross auf die Beschäftigungssituation ausgewirkt. Doch die Gewerkschaften haben bereits gewarnt, dass die Eurountergrenze von 1.20 Fr. nicht ausreicht, um die Arbeitsplätze von möglichen Auslagerungen abzuschirmen. 

Laut den offiziellen Statistiken sind rund 3% der beschäftigten Bevölkerung arbeitslos. Doch die Gewerkschaften schätzen die Quote eher auf 4%, würde man die Situation in der Schweiz mit EU-Methoden berechnen.

  

Das Seco hat gewarnt, dass die offizielle Arbeitslosenrate bis Ende 2012 durchaus auf 3,9% steigen dürfte. Und dass sie noch höher ausfallen könnte, falls das EU-Schuldenproblem zu einer ausgewachsenen Banken- und Kreditkrise führen sollte.

KOF sagt der Schweizer Wirtschaft einen harzigen Start ins neue Jahr voraus. Das Konjunkturbarometer sank im Dezember um 0,33 Punkte auf

0,01 Zähler, wie die KOF am Mittwoch mitteilte.

Das ist der tiefste Stand seit über zwei Jahren. Die KOF geht gar von einer kurzen Rezession aus. Gemäss den Prognosen dürfte das Wirtschaftswachstum im vierten Quartal 2011 und im ersten Quartal 2012 im negativen Bereich liegen.

Das Bruttoinlandprodukt (BIP) ist gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) und BAK Basel Economics 2011 um 1,8% gewachsen. 

Das Seco schätzt das Wachstum des Bruttoinlandprodukts für 2012 auf 0,5%, das KOF geht von 0,2 und das BAK von 0,4% aus. 

Alle drei sagen eine Verbesserung ab Mitte 2012 voraus, die sich bis ins Jahr 2013 erstrecken sollte.

Das Seco schätzt die Arbeitslosenquote, zur Zeit beträgt sie 3,1%, bis Ende 2012 auf 3,9%.

Das KOF geht für 2012 von 3,3% aus, das BAK von 3,5%.

Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle

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