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Polemik um eine Ladebewegung

Durchgeladen oder nicht? Die Waffe im militärischen Wachtdienst. Keystone

Seit dem 1. Januar verlangt die Schweizer Armee, dass die Soldaten ihren Wachtdienst mit einer Kugel im Lauf ihrer Waffe absolvieren. Diese Entscheidung stösst auf heftigen Widerstand.

Zahlreiche Stimmen haben sich gegen die Massnahme erhoben, und zwar aus Sicherheitsgründen. Aufgrund der Kritiken hat die Armee die Regelung abgeschwächt.

Die Tatsache, dass die Schweizer Armee Wachtdienst vor Depots, Kasernen und ähnlichen Anlagen mit geladenen Waffen absolviert, ist nicht neu. Aber bis zum vergangenen 31. Dezember war es verboten, dies mit einer Kugel im Lauf der Waffe zu tun.

Die Ladebewegung selbst – das Zurückziehen des Ladehebels, um ein Geschoss in den Gewehrlauf zu befördern – war Teil der Abschreckungstaktik gegen einen allfälligen Angreifer. Das charakteristische Geräusch dieser Bewegung zeigte zweifelsfrei, dass die Wache bereit war zu schiessen.

Doch die Situation hat sich verändert. Ab jetzt können die Soldaten mit durchgeladener Waffe Wache stehen. Die von Verteidigungsminister Samuel Schmid Anfang Dezember beschlossene Massnahme ist seit 1. Januar dieses Jahres in Kraft.

Der neue Wachtdienst mit durchgeladener Waffe soll die Sicherheit der Soldaten verstärken. Früher musste der Wachmann im Fall eines Angriffs die Ladebewegung ausführen und dann die Waffe entsichern, um schiessen zu können. Jetzt muss er nur noch entsichern. Dieser Zeitgewinn kann ihm das Leben retten, meint die Armee.

Wenig überzeugende Argumentation

Diese Legitimierung verteidigt auch der neue Armeechef Roland Nef, der am 1. Januar sein Amt angetreten hat. “Die frühere Vorgehensweise hat den Soldaten in Gefahr gebracht”, sagte er an seiner ersten Pressekonferenz.

Dennoch fällt es der Armee schwer, mit ihrer Argumentation zu überzeugen. Tatsächlich kann sie keinen einzigen Fall anführen, bei dem ein Soldat während des Wachtdiensts bedroht oder angegriffen worden wäre.

Bleibt das Argument der Terrorbedrohung. Die Truppe muss bereit sein sich zu verteidigen, etwa im Rahmen des Botschaftsschutzes oder grosser Ereignisse wie des Wirtschaftsforums Davos.

Für diese Art von Auftrag ist die Milizarmee den zivilen Behörden unterstellt. Sie sind es, die im Notfall entscheiden würden, ob der Wachtdienst mit geladener Waffe durchgeführt werden sollte.

Widerstand auch aus der Romandie

Der Widerstand ist von Affoltern am Albis im Kanton Zürich gekommen. Dort haben die Behörden entschieden, dass sie aus Sicherheitsgründen den Wachtdienst mit der Waffe auf Gemeindeboden ablehnten.

Tatsächlich befinden sich die Armeequartiere mitten im Dorf. Die Gemeinde ist in dieser Frage umso sensibler, als eine Einwohnerin vor rund 20 Jahren durch einen Soldaten während des bewaffneten Wachtdienstes verletzt worden war.

Doch nicht nur in der Deutschschweiz, sondern auch in der Romandie hat die jüngste Massnahme der Armee Wellen geworfen. So hat der Sozialdemokrat Jean Studer, Mitglied der Neuenburger Regierung, angemerkt, dass ihm das Verständnis für diese Entscheidung der Armee abgehe, besonders zu einem Zeitpunkt, in dem Armeewaffen in zahlreichen Dramen starke Emotionen geweckt hätten.

Die Polemik droht jetzt auch das Bundesparlament zu erreichen. Die Sozialdemokratische Partei hat für die März-Session eine Motion angekündigt, die verlangt, dass der Wachtdienst im allgemeinen mit einer ungeladenen Waffe durchgeführt werden solle.

Abgeschwächt

Angesichts dieses Hagels von Kritik schwächte die Armee ihre Entscheidung etwas ab. Sie informierte die Behörden von Affoltern am Albis, dass der Wachtdienst auf dem Boden der Gemeinde ab Februar ohne Munition stattfinden werde.

Armeechef Roland Nef deutete ausserdem an, dass vom Prinzip des Wachtdienstes mit geladener Waffe in Übereinstimmung mit den lokalen Behörden auch Ausnahmen gemacht werden können, etwa wenn es in der Umgebung Schulen gäbe.

Schliesslich versicherte Nef in der Sonntagspresse, dass die Soldaten in Ortschaften nichts mit geladenen Waffen zu bewachen hätten. Der bewaffnete Wachtdienst sei für die Überwachung von Waffen, Munition oder anderem heiklen Material vorgesehen. “Diese Art von Material können wir nicht in einem Armeequartier mitten in einem Dorf lagern”, sagte Nef.

swissinfo und Agenturen

Mit Ausnahme von Genf, wo die Waffen seit diesem Jahr im Zeughaus abgegeben werden können, bewahren die Schweizer Soldaten ihre Dienstwaffen zuhause auf. “Eine absurde Tradition”, meint die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GsoA).

Die GSoA, die Sozialdemokraten und die Grünen, insgesamt 60 Parteien, Kirchen und Organisationen habe daher eine Volksinitiative “Für den Schutz vor Waffengewalt” lanciert, die verlangt, dass die Waffen im Zeughaus aufbewahrt werden.

Bis März 2009 haben die Initianten Zeit, die benötigten 100’000 Unterschriften zu sammeln. 56’000 haben sie bereits.

Die Debatte über den bewaffneten Wachtdienst fällt in eine Zeit, in der die Bevölkerung den Dienstwaffen wegen wiederholter Dramen kritisch gegenüber steht.

Im Zusammenhang mit Armeewaffen kommt es jedes Jahr zu rund 300 Todesfällen.

Im November letzten Jahre hat ein Soldat mitten auf der Strasse im Kanton Zürich grundlos eine junge Frau mit seiner Dienstwaffe erschossen.

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