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Auslanditaliener wollen ihren Nationalstolz zurück

Im traditionellen Treffpunkt "Casa d'Italia" in Zürich debattiert die italienische Gemeinschaft über die Politik in ihrer alten Heimat. Keystone

Bei den italienischen Parlamentswahlen kandidieren auch zwei Dutzend Auslanditaliener mit Wohnsitz in der Schweiz. Abgesehen von den jeweiligen Ideologien verlangen sie eine neue politische Kultur für ihre Heimat. Sie wünschen sich ein Land, auf das sie wieder stolz sein können.

“Die Gemeinschaft der Italiener in der Schweiz ist in Vergessenheit geraten. Dabei stellt diese Gemeinschaft eine grosse Ressource dar, die besser geachtet und vertreten sein müsste.”

Filippo Burnelli (34), Kandidat für die italienische Protestbewegung “MoVimento 5 stelle”, bringt mit diesem Satz ein Gefühl auf den Punkt, das viele seiner Landsleute in der Schweiz teilen.

Es geht um eine Mischung aus Verbitterung und Peinlichkeitsempfinden für einen Staat, der häufig abwesend ist oder nur schlechte Schlagzeilen liefert. “Die Italiener der zweiten und dritten Generation verlangen daher von ihren politischen Repräsentanten vor allem eines: Dass sie sich nicht mehr für ihre Herkunft schämen müssen”, bestätigt Gugliemo Bozzolini (48), Spitzenkandidat auf der links-ökologischen Liste SEL.

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Nach der Ära Monti droht eine politische Sackgasse

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht “Die neue Regierung muss eine äusserst schwierige Situation lösen. Ex-Premier Mario Monti ist es mit seiner FInanzpolitik zwar gelungen, das Vertrauen der Märkte wiederherzustellen. Doch die reale Wirtschaft liegt danieder”, sagt die italienischstämmige Historikerin Marina Cattaruzza von der Universität Bern. “Italien befindet sich sogar in einer Rezession: Die Anzahl der Konkurse nimmt zu, und mehr…

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In der Schweiz leben rund 500’000 Italienerinnen und Italiener. Davon besitzen 400’000 das Stimmrecht. Rund 20 Kandidaten unterschiedlicher politischer Couleur kandidieren bei den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 24. und 25. Februar.

Sie treten im Wahlkreis Europa an, der über sechs Vertreter im Parlament verfügt (4 im Abgeordnetenhaus, 2 im Senat). Zurzeit werden vier dieser sechs Mandate von Parlamentariern aus der Schweiz wahrgenommen.

Wenige Tage vor den Wahlen hat swissinfo.ch eine kleine Umfrage bei den Kandidaten durchgeführt. Vor allem bei solchen Kandidaten, die noch nie gewählt wurden. Für welche Politik stehen sie ein? Welche Vorschläge haben Sie, um ihr Land aus der Krise zu führen?

Ende 2012 waren 294’359 italienische Staatsangehörige in der Schweiz niedergelassen. Mit einem Anteil von 16,1% stellen sie die grösste Gruppe an ausländischen Staatsbürgern in der Schweiz.

Nach den Italienern folgen die Deutschen (285’379 Personen; 15,6%) sowie die Portugiesen (238’432, 13,1%).

Im Jahr 2006 konnten die Auslanditaliener erstmals ihre eigenen Parlamentarier wählen. Von diesem Recht machten 160’000 Italiener in der Schweiz Gebrauch. Das entsprach einer der höchsten Wahlbeteiligungen weltweit. Insgesamt verfügen zirka 400’000 Italiener in der Schweiz über das Wahl- und Stimmrecht in ihrer Heimat.

Die Auslanditaliener wählen 18 von 945 Vertretern im Parlament. Der Wahlbezirk Europa umfasst 6 Mandate.

Bei den Wahlen von 2008 wurden vier Vertreter aus der Schweiz gewählt: Gianni Farina (Partito democratico Pd, Abgeordnetenhaus), Claudio Micheloni (Pd, Senat), Franco Narducci (Pd, Abgeordnetenhaus) und Antonio Razzi (Italia dei valori, Abgeordnetenhaus).

Leichter Vorsprung für Linke

“Italien muss wieder die Arbeit ins Zentrum des politischen und sozialen Lebens stellen. Das Land braucht einen radikalen Wandel, und deshalb muss die Linke wieder an die Macht kommen”, ist Guglielmo Bozzolini überzeugt. Mit welchen Schwerpunkten? “Es braucht einen Kampf gegen Rassismus. Zudem müssen die Rechte der Immigranten gestärkt werden.”

Die Liste SEL, für die Bozzolini kandidiert, ist Teil einer Mitte-Links-Koalition unter Führung der Demokratischen Partei (Pd) von Pier Luigi Bersani. In Umfragen liegt diese Koalition vorne, doch zuletzt nur noch fünf Punkte vor dem rechten Lager unter Führung von Silvio Berlusconi.

Von den vier gewählten Parlamentariern aus der Schweiz gehören drei dem Pd an. Für Emilia Sina, einzige Frau auf der Pd-Wahlliste, ist es wichtig, “dass die Jungen das Recht auf Ausbildung, Arbeit und Familie haben. Sie brauchen eine Zukunft, an die sie glauben können.”

In der politischen Mitte setzt sich Franco Aufiero (62), der seit 40 Jahren in der Schweiz lebt, für eine Fortsetzung der Regierungsgeschäfte unter Mario Monti ein.

Von der eisernen Sparpolitik, die Monti verfolgte, ist im Wahlkampf allerdings kaum die Rede. Aufiero spricht lieber “von den nicht verhandelbaren Werten wie Familie und Religion” sowie über eine gerechte Steuer für die Auslanditaliener. Gemäss den letzten Umfragen erreicht die Liste von Monti zwischen 11 und 14 Prozent der Wählerstimmen, das heisst acht Prozentpunkte weniger als Silvio Berlusconi.

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Berlusconi verführt Wähler mit Milliarden aus der Schweiz

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht “In der ersten Sitzung des Ministerrats werden wir die Rückerstattung der Immobiliensteuer auf das erste Eigenheim beschliessen. Innerhalb von weiteren fünf Jahren werden wir die Regionalsteuern (Irap) abschaffen.” Mit diesem Versprechen hat Silvio Berlusconi am 3.Februar, drei Wochen vor den Neuwahlen in Italien, einen Pflock eingeschlagen. Seine politischen Gegner sprechen von Luftschlössern. Doch wo nimmt…

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Die grossen Unbekannten

Die Börsen und viele europäische Spitzenpolitiker sehen einer möglichen Rückkehr von Silvio Berlusconi als Ministerpräsident Italiens mit Schrecken entgegen. Doch Simone Billi, Koordinator der Berlusconi-Partei “Volk der Freiheit” (Popolò della libertà, PdL) in der Schweiz, arbeitet genau darauf hin.

“Die internationale Presse zeichnet Berlusconi in den düstersten Farben, daher verstehen mich viele Leute nicht. Doch ich identifiziere mich mit den Werten der Rechten und mit Silvio Berlusconi.”

Doch was ist für Italien im Moment am wichtigsten? “Wir müssen vor allem gegen die aufgeblähte öffentliche Verwaltung vorgehen, einen Leistungslohn einführen und das Knowhow von nationalem Interesse exportieren”, sagt Billi. Der 37-jährige Ingenieur folgt seinem Parteiführer auch bei der Forderung nach einer Rückerstattung der Immobiliensteuer IMU.

Dieser Vorschlag hat in Italien eingeschlagen wie eine Bombe. Und er dürfte dem PdL einige Stimmen bringen. Doch wie soll das gehen? “Wir werden diverse Optionen prüfen, darunter auch das Steuerabkommen mit der Schweiz. Doch es braucht Zeit. Jedes Versprechen bedeutet eine Bringschuld für Berlusconi.”

Italien ist seit 1947 eine parlamentarische Republik. Das Land ist in 20 Regionen unterteilt, von denen 5 den Status einer autonomen Region besitzen.

Das Parlament besteht aus dem Abgeordnetenhaus (Camera dei deputati) mit 630 Mitgliedern, die auf 5 Jahre gewählt sind. Dazu kommt der Senat mit 315 Senatoren, die ebenfalls auf 5 Jahre gewählt sind, sowie die auf Lebenszeit ernannten Senatoren.

Der Präsident der Republik wird vom Parlament sowie 58 Delegierten der Regionen für eine Amtszeit von sieben Jahren gewählt. Seit 2006 hat dieses Amt Giorgio Napolitano inne.

Der Präsident der Republik ernennt wiederum den Ministerpräsidenten (Primo ministro), der die politischen Geschicke des Landes bestimmt.

Nach seiner Nominierung schlägt der Ministerpräsident dem Präsidenten der Republik die einzelnen Minister vor, mit denen er einen Ministerrat bildet.

Die Regierung in Italien untersteht dem Vertrauen beider Parlamentskammern. Die von der Regierung erlassenen Gesetze müssen innerhalb von 60 Tagen vom Parlament verabschiedet werden.

Abgesehen von den ideologischen Differenzen sind sich die italienischen Kandidaten aus der Schweiz einig, dass die politische Kultur des Landes unbedingt erneuert werden muss. Dieses Thema wird besonders von der Bewegung “MoVimento 5 stelle” bewirtschaftet.

Diese Bewegung, die vom Komiker Beppe Grillo gegründet wurde, könnte zur dritten politischen Kraft im Parlament werden und die Machtverhältnisse vollkommen durcheinander bringen. Filippo Burnelli als Sprecher der Bewegung verlangt generell mehr Transparenz und eine direkte Bürgerbeteiligung nach Schweizer Modell.

Wieder mehr Italiener in der Schweiz

Die Italiener im Ausland können zum dritten Mal ihre eigenen Vertreter im Parlament wählen. Das entsprechende Gesetz, das ihnen eigene Vertreter zugesteht, trat 2001 in Kraft. Erstmals wählten sie 2006. Damals gingen 160’000 in der Schweiz niedergelassene Italiener und Italienerinnen an die Urne.

Das war eine der höchsten Wahlbeteiligungen von Auslanditalienern weltweit. Die Stimmen der Schweiz-Italiener hatten damals den Ausschlag für den knappen Wahlsieg der Mitte-Links-Koalition unter Romano Prodi gegeben.

Über Jahre blieb die Zahl der Italiener in der Schweiz konstant. Doch 2012 sind infolge der Wirtschaftskrise wieder vermehrt Italiener in die Schweiz gezogen. “Diese Personen spiegeln die Schattenseite des europäischen Einigungsprozesses, sie sind Opfer prekärer Zustände”, hält Bozzolini fest.

Akademiker, Maurer oder Pizzabäcker seien auf der Suche nach neuen Perspektiven. “Doch der italienische Staat muss diese Menschen schützen und Zustände garantieren, welche die Emigration nicht notwendig, sondern zu einer freien Wahl machen.”

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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