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“Fremdlinge” auf dem Vormarsch

Der Saft des Riesenbärenklaus verätzt die Haut. Ein Ustermer Naturschützer kappt den Blütenstand einer Pflanze. Stefan Hartmann

Tausende fremder Pflanzen sind in den letzten 500 Jahren in der Schweiz eingeführt geworden. Einige dieser Neophyten bereiten zusehends Probleme, da sie die einheimische Flora bedrohen und Allergien verursachen.

Sie sind jetzt auf einer Schwarzen Liste “invasiver” Exoten erfasst.

Hans Stopper, pensionierter Lehrer, ist früh an diesem Morgen im Müliholz bei Uster auf Riesenbärenklau-Jagd. Auf dem verlassenen Landstück sind die übermannshohen Exemplare unübersehbar.

Stopper zieht sich trotz Hitze lange Werkkleider, Stiefel, Handschuhe sowie eine Schutzbrille über. Mit der Gartenschere kappt er die mächtigen Blütenstände und packt sie in einen Kehrichtsack. Nach der “Enthauptung” wird die Pflanze absterben.

Aus dem Kaukasus gelangte der Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum) vor 200 Jahren in Europas botanische Gärten. Später fand er auch Eingang in Privatgärten, von wo aus er auswildern konnte.

“Der Riesenbärenklau verdrängt in Randbereichen und auf Brachland die einheimische Flora, was zur Verarmung der Vielfalt führt”, sagt Hans Stopper. “Er ist aber auch ein Gesundheitsrisiko.”

Allergien und Verätzungen

Hautkontakt mit Blättern oder ein Spritzer des Pflanzensaftes sollten vermieden werden, weil sie schlecht verheilende Verätzungen auf blossen Hautstellen bewirken.

Zurzeit sorgt die Aufrechte Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) in den Kantonen Genf und Tessin für Aufregung. Die unscheinbare Pflanze, die an Wegrändern, auf Äckern und Schuttplätzen gedeiht, verursacht allergische Reaktionen bis hin zu schwerem Asthma.

In der Gegend von Lyon sollen 100’000 Menschen an den Allergenen von Ambrosia leiden. In Genf reagierte man rasch und bildete eine Task Force “Ambrosia”.

Auch Einheimische sind “invasiv”

Rund 12’000 fremde Pflanzen (Neophyten), so Schätzungen, haben seit der Zeit der Entdeckungen vor 500 Jahren den Weg nach Europa gefunden. Und bloss etwa drei Prozent der Neueinwanderer vermochten sich bei uns ein festes Plätzchen zu sichern; sie fügen sich mehr oder weniger unspektakulär in die Flora ein.

Nur etwa einer von tausend Neophyten entwickelt sich zur “invasiven” Problempflanze. Dabei ist nicht zu vergessen, dass auch einheimische Arten unter günstigen Rahmenbedingungen invasiv werden. So beispielsweise Brennnessel, Geissfuss (Baumtropfen), Schilf oder Spierstaude.

Schwarze Liste

Die Schweizerische Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen (SKEW) erstellte im vergangenen Jahr eine Schwarze Liste mit den zehn Problemfällen, die erwiesene negative ökologische Auswirkungen verursacht haben.

Vorab sind es die Kanadische und die Spätblühende Goldrute, das Drüsige Springkraut, der Japanische Knöterich und der Riesenbärenklau, ferner die Robinie, die Buddleja, die Armenen Brombeere oder der Götterbaum.

Eine Graue und eine Watch-Liste führen weitere 36 unerwünschte Exoten auf. Diesen Frühling beobachteten Fachleute im Kanton Bern erstmals einen ausgewilderten Amerikanischen Riesenaronstab.

Gefürchtet ist bei Fachleuten der Japanische Knöterich (Impatiens glanduliefera). Er bevorzugt feuchte Standorte und verbreitet sich nicht durch Samen, sondern durch unterirdische Ausläufer, also vegetativ. Aus kleinen Rhizomteilen, die etwa bei Erdbewegungen verschleppt werden, kann sich das Kraut wieder regenerieren.

Das Drüsige Springkraut ist vor allem an Waldrändern und in Flussauen stark im Vormarsch, die Goldrute macht sich in Schutzgebieten oder Kiesgruben breit.

Mit Invasiven leben

“Die Neophyten profitieren stark davon, dass sie kaum natürliche Frassfeinde oder Krankheitskeime vorfinden”, erklärt der freischaffende Biologe Günther Gelpke. “Problempflanzen gedeihen vorab in gestörten Habitaten, etwa auf kahlen Flächen, die durch bauliche Eingriffe, unsachgemässe Pflegearbeiten oder durch natürliche Dynamik (Hochwasser, Windwurf) entstehen.”

Mit dem reduzierten Unterhalt von Böschungen an Gleisen, Verkehrswegen oder Gewässern fänden die Problempflanzen optimale Bedingungen zur Ausbreitung.

An eine vollständige Ausrottung sei in den wenigsten Fällen zu denken, aber man könne sie in Schach halten. “Wir müssen uns mit den Neophyten einrichten.” Grosse Bedeutung komme der vorbeugenden Bekämpfung mit regelmässiger Kontrolle von extensiven Flächen zu, betont der Neophyten-Spezialist Gelpke.

Die Problempflanzen verursachen auch volkswirtschaftliche Kosten, vorab in Land- und Forstwirtschaft oder im Gewässerbau. Der Knöterich etwa macht bei massenhaftem Auftreten Uferböschungen erosionsanfällig oder verengt die Abflussprofile von Bächen.

Fehlende Strategie

Vorderhand gibt es in der Schweiz noch kein koordiniertes Vorgehen. Unter Leitung des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) bemühen sich verschiedene Interessengruppen, eine einheitliche Strategie zu entwickeln.

Die Initiative liegt derzeit bei den Naturschützern; in Uster etwa lokalisierte die örtliche Gesellschaft für Natur- und Vogelschutz rund 60 Problemstandorte mit Neophyten und bekämpft sie aktiv. Auch hat sie der Stadtbehörde Massnahmen vorschlagen; unter anderem sollen die Gemeindarbeiter für den Umgang mit den Problempflanzen instruiert werden. Zentral sei aber die Information der breiten Öffentlichkeit.

swissinfo, Stefan Hartmann

Ca. 12’000 Pflanzenarten haben in den letzten 500 Jahren den Weg nach Europa gefunden.
Bloss 3% davon überleben hier langfristig.
Nur etwa 1/1000 bereiten Probleme.

Auf der schweizerischen Schwarzen Liste sind diejenigen Pflanzen aufgeführt, deren negative ökologische Auswirkungen erwiesen sind.

Dazu gehören die Kanadische und die Spätblühende Goldrute, das Drüsige Springkraut, der Japanische Knöterich und der Riesenbärenklau, ferner die Robinie, die Buddleja, die Armenen Brombeere oder der Götterbaum.

Vollständig ausrotten kann man die Neophyten kaum. Regional werden die Pflanzen bekämpft, doch noch gibt es kein schweizweit koordiniertes Vorgehen.

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