Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Afrikas Gesicht in der Schweiz

Die afrikanische Diaspora hat sich zum ersten nationalen Kongress getroffen, eine Gelegenheit, sich kennenzulernen und Hoffnungen und Frustrationen zu teilen. africancouncil.ch

Sie sind über 60'000 in der Schweiz. Sie kommen aus Afrika und haben beschlossen, sich gemeinsam Gehör zu verschaffen. Erstmals in der Schweiz trafen sich afrikanische Immigranten an einem Kongress, um über Integration und Entwicklung zu sprechen.

Einige sind aus Ländern mit gewaltsamen Konflikten in die Schweiz geflüchtet, andere dem Traum von einer besseren Zukunft gefolgt: eine Arbeit, ein Haus, eine Familie.

Ende Dezember 2011 lebten 60’658 Afrikanerinnen und Afrikaner in der Schweiz. Nicht inbegriffen sind Bürger mit doppelter Staatszugehörigkeit sowie Asylbewerber ohne Flüchtlingsstatus.

Den grössten Anteil der Afrikaner in der Schweiz machen Eritreer aus (8377), gefolgt von Marokkanern (7270), Tunesiern (6489), Kongolesen (4707) und Kamerunern (4068). Mit Ausnahme des Südsudans, der erst seit Juli 2011 unabhängig ist, sind alle 54 Staaten des Kontinents mit der weltweit zweitgrössten Bevölkerung vertreten. Die Afrikaner machen knapp 3,5% der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz aus.

Ein neueres Phänomen

“Die afrikanische Einwanderung ist ein eher neueres Phänomen in der Schweiz, das in den letzten 20 bis 30 Jahren erstarkt ist”, sagt die Soziologin Denise Efionayi, Autorin einer Studie über die schwarzafrikanische Diaspora, die vom Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM) publiziert wurde.

“Es handelt sich um eine sehr heterogene Gemeinschaft mit äusserst unterschiedlichen kulturellen, sprachlichen und religiösen Zugehörigkeiten”, so Efionayi gegenüber swissinfo.ch. “Die ‘afrikanische’ Identität dieser Migranten definiert sich oft im Negativen, als Reaktion bezüglich Auswanderung, Diskriminierung und Ausgrenzung.”

In den Augen vieler Schweizer sind diese Immigranten einfach Afrikaner. Dabei spielt es keine grosse Rolle, woher sie stammen, ob es Christen oder Muslime sind, ob sie Französisch, Englisch oder Arabisch sprechen.

Auch die afrikanische Diaspora, die sich zuerst entlang diesen Unterschieden definierte, hat versucht, ihre nationalen Schranken zu überwinden, um endlich mit einer Stimme zu sprechen.

Anfang März haben sich deshalb mehrere hundert in der Schweiz lebende Afrikaner in Bern getroffen, um sich kennenzulernen, zu diskutieren, Hoffnungen und Enttäuschungen auszutauschen. Der Kongress wurde vom Afrika Diaspora Rat Schweiz (ADRS) organisiert. Eine Plattform, welche die Hunderten von Vereinen, kleinen Unternehmen und Kultorte in der Schweiz miteinander in Kontakt bringen möchte.

Ziel ist die Imageverbesserung dieser Migrantengemeinschaft, die oft in Verbindung gebracht wird mit Problemen wie illegale Einwanderung, Drogenhandel und Gewalt.

Einheit macht stark

“Die Initiative ist 2010 nach dem Tod eines nigerianischen Asylbewerbers bei einer Rückschaffungsaktion entstanden. Die afrikanische Gemeinschaft in der Schweiz stand unter Schock, aber dennoch nahmen nur wenige an den Protest- und Sensibilisierungs-Demonstrationen teil, die auf das tödliche Ereignis folgten”, sagt ADRS-Koordinator Celeste Ugochukwu gegenüber swissinfo.ch.

“Deshalb haben wir gedacht, wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg zum Propheten: Es lag also an uns, uns zu bewegen. So sind wir in die verschiedenen Regionen gegangen, um die Organisationen kennenzulernen und als Brücke zwischen ihnen zu fungieren.”

Die Schaffung eines afrikanischen Diaspora-Rates erweckte sofort das Interesse des Bundesamtes für Migration (BFM): “Für uns ist es wesentlich, einen institutionellen Partner zu haben, der uns erlaubt, den Bedürfnissen der Migranten eine Stimme zu verleihen”, sagt Eric Kaser von der BFM-Integrationsabteilung gegenüber swissinfo.ch.

Bis heute haben sich 30 Vereine der Initiative angeschlossen. Mit Ausnahme einiger ägyptischer Vertreter handelt es sich um schwarzafrikanische Migranten. Einige der Vereine setzen sich für die Integration der Afrikaner in der Schweiz ein, andere für die Entwicklung in den Ursprungsländern mittels Wissens- und Kompetenzaustausch oder Überweisung von Geldern. Es gibt politische Organisationen und Friedensforschungszentren.

Eine wichtige Rolle zur Integration der Migranten spielen religiöse Organisationen, Lebensmittelgeschäfte, Coiffeure oder Restaurants, die neben ihren Dienstleistungen auch wichtige Orte der Sozialisierung sind.

 “Im Unterschied zu den Spaniern oder Portugiesen konnten die Afrikaner nicht auf die Hilfe von Gewerkschaften zur Bildung einer starken Gemeinschaft und zur Verteidigung ihrer Rechte zählen”, erklärt Denise Efionayi. “Und dies wegen der Heterogenität der Gemeinschaft und eines wirtschaftlichen Umfeldes, das anders als jenes der Nachkriegszeit war.”

Kampf gegen Vorurteile

Laut der SFM-Studie sind über 50% der schwarzafrikanischen Einwanderer in der Schweiz unter 40 Jahren. Deshalb erstaunt es nicht, dass der Impuls für die Schaffung eines afrikanischen Rates der Diaspora von jungen Afrikanern kam.

“Trotz kultureller Unterschiede sind wir oft mit den gleichen Problemen konfrontiert: Zugang zu Bildung und Arbeit, Assimilation, Einsamkeit”, sagt die 31-jährige Joel Hakizimana aus Burundi, Sekretärin des ADRS. “Die Vorurteile wiegen in ihrem Leben schwer. Aber auch wenn das Gerede von Integration ermüden kann, kann der Austausch von Erfahrungen und Strategien dazu führen, die Zukunft positiv zu sehen.”

Die berufliche Diskriminierung ist vermutlich der wichtigste Aspekt in der Laufbahn dieser jungen Leute. Zwischen 2003 und 2007 übten zwei Drittel der afrikanischen Immigranten in der Schweiz einen wenig oder nicht qualifizierten Job aus (Handwerker, Arbeiter). Oder sie arbeiteten in den Sektoren Verkauf, Dienstleistungen und Gastgewerbe.

“Einige von ihnen haben einen Universitätsabschluss. Aber dieser wird nicht anerkannt, oder er verliert einfach seine Gültigkeit nach Monaten der universitären Inaktivität infolge der Asylverfahren oder der Arbeitslosigkeit, die bei den jungen Afrikanern in der Schweiz über 20% beträgt”, sagt Denise Efionayi.

Für die afrikanische Diaspora in der Schweiz ist die wirtschaftliche und soziale Partizipation der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration. Und der ADRS ist das Instrument zur Betonung der wichtigen Rolle der regionalen Vereine, aber auch zur Stärkung der eigenen afrikanischen Identität und zur Schaffung einer politischen Lobby, die gegen die zahlreichen Vorurteile gegen Schwarzafrikaner in der Schweiz kämpft.

“Die Integration ist wie ein Tango: Man kann ihn nicht allein tanzen.” Das haben die Teilnehmer des afrikanischen Diaspora-Kongresses mehrmals erklärt. “Wir sind bereit zu tanzen, und ihr?”

Ende Dezember 2011 lebten insgesamt 1’772’279 Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz, die meisten von ihnen stammen aus EU-/EFTA-Staaten.

Aus Afrika stammten 60’658 Personen, etwas weniger als 3,5% aller Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz.

Die Länder mit der höchsten Anzahl Personen sind Eritrea (8377), Marokko (7270), Tunesien (6489), Demokratische Republik Kongo (4707) und Kamerun (4068).

Angehörige der afrikanischen Diaspora leben grösstenteils im französischsprachigen Westen der Schweiz oder in grossen Zentren wie Zürich und Basel.

Doppelbürger erscheinen in dieser Statistik nicht, da sie als Schweizer registriert sind.

Auch Asylsuchende werden nicht mitgezählt, da sie nicht (oder noch nicht) als Flüchtlinge anerkannt sind und lediglich in den Asylstatistiken erfasst werden.

(Quelle: Bundesamt für Migration)

Der Afrika Diaspora Rat Schweiz (ADRS) wurde am 6. November 2010 gegründet.

Am 3. März 2012 führte der Rat in Bern seinen ersten Kongress durch, an dem mehrere hundert afrikanische Vertreter und schweizerische Persönlichkeiten, die im Migrationsbereich tätig sind, teilnahmen.

Der ADRS will die hunderten Organisationen, Vereine oder Kleinunternehmen von Afrikanern, die es heute in der Schweiz gibt, vernetzen.

Der Rat richtet sich nicht nur an die afrikanischen Staatsbürger mit Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung, sondern auch an Asylbewerber.

Der Aufenthalt in der Schweiz kann zwischen einigen Monaten und mehreren Jahren dauern, je nach Status, Herkunftsland und persönlicher Situation.

(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft