Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Bundesverwaltung ist eigentlich zweisprachig

Deutsch und Französisch sind die beiden dominierenden Landessprachen in der Bundesverwaltung. Keystone

Vier Landessprachen und drei Amtsprachen: Dafür ist die Schweiz im Ausland bekannt. Doch in der Bundesverwaltung dominiert Deutsch klar vor Französisch. Das Italienische existiert praktisch nur dank Übersetzungen. Dies zeigt eine neue Studie auf.

Die Mehrsprachigkeit und der nationale Sprachenfrieden sind Merkmale der Schweiz. Auch die Bundesverwaltung mit ihren rund 37’000 Mitarbeitenden muss der Mehrsprachigkeit Rechnung tragen und die unterschiedlichen Sprachgruppen berücksichtigen.

In der Mehrsprachigkeitsweisung des Bundesrats heisst es: “Die Departemente sorgen dafür, dass die einzelnen Sprachgemeinschaften in allen Tätigkeitsbereichen der Verwaltung und auf allen Hierarchiestufen entsprechend ihrem Anteil an der Wohnbevölkerung schweizerischer Nationalität vertreten sind.”

Und die Mitarbeitenden arbeiten gemäss dieser Weisung “in ihrer eigenen Sprache, sofern es sich um eine der Amtssprachen Deutsch, Französisch oder Italienisch handelt”. Rätoromanisch, die vierte Landessprache der Schweiz, ist keine offizielle Amtssprache.

Theorie und Praxis

Die Weisung des Bundesrats ist Theorie. Doch in der Praxis sieht es ganz anders aus, wie die neue Studie aus dem Nationalen Forschungsprojekt “Der mehrsprachige Bund: linguistische Repräsentativität und Sprachpraxis in der Bundesverwaltung” aufzeigt.

Die wichtigsten Erkenntnisse: Zwar sind die Sprachgemeinschaften auf dem Papier prozentual in etwa gemäss ihrer Wohnbevölkerung vertreten. Doch bei den Vertretern der Minderheitensprachen (Italienisch, Rätoromanisch) gibt es sehr viele zweisprachige Personen, die ihre Muttersprache im Arbeitsalltag praktisch nie einsetzen können.

Und: Je weiter oben in der Hierarchie, desto rarer machen sich Repräsentanten von Sprachminderheiten. Zudem ist die Originalsprache beim Abfassen von wichtigen Texten in der Bundesverwaltung vor allem Deutsch.

Italienische Muttersprachler als Übersetzer

Die Studie arbeitetet deutlich heraus, dass der Anteil Italienischsprachiger in der Bundesverwaltung vor allem auf eine starke Präsenz von Übersetzerinnen und Übersetzern zurückzuführen ist.

Dies zeigt sich markant bei den Mitarbeitenden der Bundeskanzlei, wo der Anteil Italienischsprachiger von 19,5 auf 7,6% absackt, wenn die Übersetzer ausgeklammert werden.

Eine Analyse der Gehaltsgruppen von Mitarbeitenden macht zudem deutlich, dass der Anteil Deutschsprachiger in den obersten Lohnklassen (32 bis 38) um 2 Prozentpunkte gegenüber dem Mittelwerte aller Gehaltsklassen ansteigt. “Es gibt eine klare Überrepräsentierung von Kadermitarbeitern deutscher Sprache”, folgern die Autoren.

Texte auf Deutsch und Französisch

Diese Situation spiegelt sich auch in der Sprache, in der Texte der Bundesverwaltung im Original verfasst werden. Seit 2001 wurden gut 77% aller offiziellen Texte der Bundesverwaltung auf Deutsch verfasst, gut 20% auf Französisch und nur 1,98% auf Italienisch.

Dabei betreffen letztere Texte vor allem die Kommunikation mit Gesprächspartnern oder Institutionen aus dem Tessin, Italienisch-Graubünden oder Italien. “Dass praktisch keine Texte in der Bundesverwaltung im Original auf Italienisch verfasst werden, hat mich persönlich am meisten überrascht”, sagt Co-Autorin Stéphanie Andrey gegenüber swissinfo.

Gesamthaft stellen die Autoren daher fest, “dass die Italienischsprachigen in der Bundesverwaltung zwar adäquat vertreten sind, der Gebrauch der italienischen Sprache aber praktisch inexistent ist”. Die Ausnahme bilden Übersetzungen sowie die erwähnte Kommunikation mit den italienischsprachigen Institutionen im Land.

Ursachen unklar

Die Studie ist Wasser auf die Mühlen jener Tessiner Politiker, die stets eine Untervertretung italienischsprachiger Mitarbeitender in der Bundesverwaltung – insbesondere in den Chefetagen – kritisieren. Die quantitative und statistische Auswertung gibt ihrer Vermutung Recht, dass das Italienische und die italienische Schweiz im Bundesbern zu kurz kommen.

Allerdings äusserst sich die Studie nicht zu den Ursachen dieses Zustands. Dabei ist bekannt, dass es häufig an qualifizierten Bewerbungen aus dem Tessin oder Italienisch-Graubünden fehlt. Viele junge Italienischsprachige suchen nicht unbedingt eine Anstellung in Bern, sondern wollen lieber in ihrer Heimat arbeiten.

Dies bestätigte kürzlich auch der Tessiner Mauro Dell’Ambrogio, seit Januar 2008 Staatssekretär für Bildung und Forschung, am Fernsehen TSI: Gerade für besonders qualifizierte Stellen gingen bei ihm praktisch keine Bewerbungen Italienischsprachiger ein.

swissinfo, Gerhard Lob

Um die Sprachregionen beziehungsweise Landessprachen der Schweiz angemessen in der Bundesverwaltung zu berücksichtigen, hat der Bundesrat einen so genannten Verteilschlüssel für die Mitarbeiter festgelegt.

Dieser richtet sich in etwa an dem Anteil der Wohnbevölkerung: 72,5% Deutsch (Wohnbevölkerung 63,3%), 21% Französisch (19,2%), 4,3% Italienisch (7,6%) und 0,6% Rätoromanisch (0,6%).

In Wirklichkeit sind die Mitarbeitenden mit Deutsch als Hauptsprache mit fast 75% (Mittelwert 2001-2007) leicht übervertreten, während die Französischsprachigen mit 18% leicht darunter liegen. Italienischsprachige liegen mit 5% leicht über den Vorgaben, während die Rätoromanen mit 0,2% ihr Soll nicht erreichen.

Unter den Italienischsprachigen gibt es auch viele Secondos: Es sind die Kinder von emigrierten Italienern, die in der Deutsch- oder Westschweiz aufgewachsen sind. De facto sind sie zweisprachig.

Fast 9% der in der Schweiz ansässigen Bevölkerung hat keine Schweizer Landessprache als Muttersprache, darunter Sprachen wir Türkisch, Kurdisch, Serbokroatisch oder Englisch.

Das Forschungsprojekt “Der mehrsprachige Bund: linguistische Repräsentativität und Sprachpraxis in der Bundesverwaltung” ist Teil des umfassenderen Nationalen Forschungsprogramms 56 “Sprachenvielfalt und Sprachkompetenz in der Schweiz”.

Fragen zur Mehrsprachigkeit in der Verwaltung wurden vor diesem Projekt kaum untersucht. Die Forschergruppe um den Politologen Daniel Kübler wählte ein exploratives Vorgehen.

Es umfasste unter anderem die Analyse von Statistiken zum Sprachhintergrund des Bundespersonals und zum Sprachgebrauch in amtlichen Publikationen sowie teilnehmende Beobachtungen.

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