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Der Beckenbauer von Bern

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1979 hätte Rolf Höfert vom legendären FC St. Pauli zum FC Bayern München wechseln sollen. Stattdessen landete er beim abstiegsbedrohten FC Bern. Nach mittlerweile 30 Jahren in der Schweiz kann er sich gut vorstellen, für immer hier zu bleiben.

“Hier”, sagt Rolf Höfert und zeigt auf einen Ausschnitt in der Bild-Zeitung vom 29. November 1978: “Bayern lockte Höfert”, steht da in fetten Lettern. Der deutsche Rekordmeister bot in der Rückrunde 1979 satte 500’000 DM Ablösesumme für den technisch versierten Libero vom Hamburger Bundesligisten FC St. Pauli.

Vieles deutete darauf hin, dass Höfert in die Fussstapfen von Franz Beckenbauer hätte treten können. Der damals 32-jährige “Kaiser” hatte nämlich kurz zuvor zu den New York Cosmos gewechselt. Höfert glaubt, die Bayern hätten ihn in einem Spiel vom 13. August 1977 entdeckt: “Wir verloren zwar mit 2:4, aber ich habe wohl ganz gut gespielt.”

Provinz statt Bayern München

Knapp 30 Jahre später krempelt Höfert im Restaurant Hirschen in Thörishaus bei Bern sein linkes Hosenbein hoch und zeigt eine Narbe oberhalb der Ferse. Ende 1978 musste der damals 29-jährige Hamburger die Achillessehne operieren lassen, der Wechsel zu Bayern scheiterte. Anstatt auf der grossen Fussballbühne landete Höfert 1979 in der Schweizer Nationalliga B beim FC Bern.

Er habe schon immer die Schweiz kennenlernen wollen, sagt Höfert: “Natürlich gab es auch den finanziellen Anreiz. Geld stinkt ja nicht.” Geld scheint auf den ersten Blick eine seltsame Motivation, um vom legendären St. Pauli in die Schweizer Fussballprovinz zum abstiegsbedrohten FC Bern zu wechseln.

St. Pauli befand sich aber damals in einer finanziellen Krise, und Bern hatte mit Walter Weegst den entscheidenden Trumpf in der Hand, um diesen sensationellen Transfer über die Bühne zu bringen. 50’000 Franken Ablösesumme blätterte der 1990 verstorbene FC Bern-Privatsponsor hin, um Höfert freizukaufen. Und nicht nur das: Für die nächsten anderthalb Jahre finanzierte Weegst Höferts Gehalt.

“Uns war dieser Transfer am Anfang ziemlich suspekt”, sagt Rico Jauner, der damals beim FC Bern spielte und bis heute ein guter Freund von Höfert geblieben ist. Allerdings habe die Mannschaft bald gemerkt, dass der Hamburger dem Team nicht nur sportlich, sondern auch menschlich viel bringe.

“Ich weiss mich zu wehren”

Bis 1988 blieb Höfert dem FC Bern als aktiver Spieler erhalten. Nebst dem Fussball baute sich der Vater zweier mittlerweile erwachsener Kinder als Vertreiber von Spezialdichtungen und Gummiringen in der Gemeinde Ueberstorf nahe Bern eine Existenz auf.

Seine Heimat sei zwar immer Hamburg geblieben, aber die Schweiz sei ihm ans Herz gewachsen. Nebst den geschäftlichen Beziehungen hat sich Höfert einen Freundeskreis aufgebaut, den er nicht mehr missen möchte. Mit einem grossen Teil der Mannschaft von damals spielt er noch heute jeden Donnerstag im Stadion Neufeld Fussball.

Für Höfert ist klar: “Der wichtigste Termin ist das gemeinsame Bier danach in der Beiz.” Dort musste er sich in den letzten Monaten wegen Steinbrücks und Münteferings Äusserungen zur Schweiz als Steueroase immer wieder Sprüche anhören. Man glaubt dem selbstbewusst und schlagfertig auftretenden Hanseaten aber gerne, wenn er sagt: “Ich weiss mich ja zu wehren.”

Politik und Fussball

Grundsätzlich hält Höfert nicht viel von Politikern. “Da musst du gut reden und lügen können.” Reden könne er gut, nur lügen nicht. Deshalb sei er nicht Politiker geworden. Das politische Geschehen in Deutschland verfolgt er zwar nicht mit derselben Leidenschaft wie die Entwicklung des FC St. Pauli, aber auch in der Politik bleibt er immer am Ball.

Grundsätzlich gibt Höfert fast jedes Thema Anlass, Parallelen zum Fussball zu ziehen: “Merkel sagt: Ihr müsst offensiv spielen, die SPD sagt: Spielt defensiv. So funktioniert das nicht!” Für die Bundestagswahl vom 27. September wünscht sich der Hamburger deshalb eine Neuzusammensetzung der Regierungskoalition. Anstelle der SPD könnte er sich die FDP als Partner der CDU/CSU vorstellen.

Die Schweizer Politik interessiere ihn weniger, so Höfert. Dass im letzten Jahr rund 30’000 Deutsche in die Schweiz kamen, findet er bedenklich: “Ich weiss nicht, ob die Wirtschaft hier so viele Arbeitsplätze hergibt.”

Hamburg, Bern, Sevilla

Der 60-jährige Höfert könnte sich gut vorstellen, auch nach seiner Pensionierung hier zu bleiben. “Die Schweiz ist gut, das kannst du als Überschrift nehmen”, sagt Höfert. Vor allem landschaftlich sei es das schönste Land überhaupt. Nebst der Landschaft und seinem Freundeskreis spreche auch die zentrale Lage für die Schweiz als Wohnort.

Neben Bern und Hamburg gibt es noch eine weitere Stadt, die dem Wahlschweizer ans Herz gewachsen ist: Sevilla, wo seine beiden Söhne leben und vor kurzem seine Enkeltochter zur Welt kam. Stolz präsentiert er die Ferienfotos: “Schau! Hier waren wir Paella essen!” Ob sie schon gehen kann, die Kleine? “Klar! So wacklig wie der Opa mit zwei Promille!”

David Mühlemann, swissinfo.ch

Ende August 2008 lebten über 1,6 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz. Das sind über 21% der Bevölkerung.

225’000 oder 14% davon sind deutsche Staatsangehörige. Damit sind die Deutschen nach den Italienern die zweit-grösste Ausländergruppe.

Seit August 2007 können die Deutschen Doppelbürger bleiben.

Seither haben die Gesuche um die Schweizer Staatsbürgerschaft markant zugenommen.

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