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Der Schweizer Schiedsrichter an der WM

Auf den Tessiner Massimo Busacca wartet an der WM in Deutschland eine wichtige Aufgabe. swissinfo.ch

Massimo Busacca ist als einziger Schiedsrichter aus der Schweiz für die Fussball-WM in Deutschland nominiert worden.

Für den jungen Unparteiischen aus dem Tessin bedeutet dies eine hohe Auszeichnung, wie er im Gespräch mit swissinfo sagt.

Ein herzliches Lachen, schwarze Augen, offener Blick: Wir treffen Busacca in seinem Wohnort Monte Carasso bei Bellinzona. Dort ist er momentan ein Star, wird umzingelt von Bekannten und Freunden. Doch Busacca bleibt mit beiden Beinen auf dem Boden.

swissinfo: Wie bereiten Sie sich auf die WM vor?

Massimo Busacca: Ich habe an meinen Vorbereitungen nichts geändert. Denn ich musste schon sehr hart und seriös arbeiten, um überhaupt ausgewählt zu werden.

Ich mache also mit meinem physischen und mentalen Training genauso weiter wie bisher.

swissinfo: Ist die Arbeit des Schiedsrichters an einer WM besonders schwierig?

M.B.: Die WM ist ein sehr wichtiges Sportevent. Da muss man auf jedes Detail und jeden noch so kleinen Aspekt eines Spiels achten, möglicherweise auch auf das, was neben dem Spielfeld stattfindet.

swissinfo: Was bedeutet Ihnen die WM? Haben Sie Angst vor dem äusseren Druck?

M.B.: Die WM ist – wie gesagt – das wichtigste Fussballereignis der Welt. Das schürt auch bei mir starke Emotionen. Ich bin stolz, dabei zu sein. Aus Erfahrung weiss ich aber, dass man die Gefühle kontrollieren muss. Ansonsten riskiert man, Fehler zu machen.

Ich muss ruhigen und klaren Verstandes bleiben, auch wenn mein Puls auf dem Spielfeld heftiger schlagen wird als gewöhnlich.

swissinfo: Sie sind der einzige Schweizer Schiedsrichter an der WM. Was bedeutet dies für Sie?

M.B.: Das freut mich natürlich sehr. Ich bin stolz, meine Nation bei der WM vertreten zu dürfen. Aber zum Glück gibt es nicht nur einen Schweizer Schiedsrichter, sondern auch die Schweizer Nationalmannschaft. Das bedeutet doch, dass wir im internationalen Fussball ein Wörtchen mitreden können.

swissinfo: Gibt es noch wahre Leidenschaft für den Fussball, oder ist heute alles Business geworden?

M.B.: Im Fussball gibt es beide Komponenten. Fussball ist der schönste und populärste Sport der Welt. Und weil er so grosse Emotionen weckt, ist er zum grossen Business geworden.

Dabei kommt es zu Situationen, die einen sprachlos machen und über die wir uns Gedanken machen müssen. Auch auf den Tribünen bräuchte es etwas mehr Anstand. Wir müssen dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden. Trotz allem ist aber die wahre Leidenschaft geblieben.

swissinfo: Was halten Sie vom neuen Hooligan-Gesetz, gegen das einige Fans das Referendum ergreifen wollen?

M.B.: Fussball braucht Fans; Leute, die mit Leidenschaft ein Spiel verfolgen, auch junge Menschen und Familien. Doch Gewalt – in welcher Form auch immer – hat in den Stadien nichts zu suchen.

swissinfo: Wie schwierig ist die Aufgabe eines Schiedsrichters?

M.B.: Unsere Aufgabe ist äusserst undankbar, weil man von einem Schiedsrichter immer eine perfekte Leistung verlangt und niemand verlieren will. Spieler, Mannschaftsfunktionäre, Fans: Niemand will verlieren.

Wir müssen mental sehr gut vorbereitet sein, weil wir unsere Entscheidungen sehr schell treffen müssen und wir auch mal Fehler machen. Der Druck, der auf uns lastet, kann sehr gross sein. Dessen muss man sich bewusst sein und sich entsprechend vorbereiten.

swissinfo: Gibt es besondere Verhaltensregeln?

Fussballerische Intelligenz und eine perfekte Kenntnis der Spielregeln sind für einen Schiedsrichter unabdingbar. Es braucht eine starke Persönlichkeit und Selbstkontrolle, insbesondere wenn man provoziert wird.

Wichtig ist auch, ein Vertrauensverhältnis zu den Spielern aufzubauen, damit die Entscheidungen akzeptiert werden. Ein diktatorisches Auftreten bringt gar nichts. Zudem muss ein guter Schiedsrichter in der Lage sein, Fehler einzuräumen.

Für mich gilt vor allem: voller Einsatz. Jedes Spiel muss so gepfiffen werden, als handle es sich um das wichtigste Spiel des Lebens.

swissinfo: Ihnen steht als Schiedsrichter die Pfeife zur Verfügung. Wie verschaffen Sie sich sonst noch Autorität?

M.B.: Auf dem Spielfeld ist die Körpersprache sehr wichtig, vor allem wenn es mit den Spielern keine gemeinsame Sprache gibt. Ein Blick oder eine Geste muss in diesen Fällen einen Entscheid klar und deutlich vermitteln.

swissinfo: Kann man auf dem Fussballplatz etwas fürs Leben lernen?

M.B.: Die Aufgabe als Schiedsrichter ist eine Lebensschule. Jeden Sonntag muss man auf dem Spielfeld Entscheidungen treffen und die Verantwortung dafür übernehmen. Dies hilft auch im realen Leben.

Allerdings kann man im wirklichen Leben einen Entscheid leichter nochmals überdenken oder rückgängig machen als auf dem Spielfeld.

swissinfo: Schiedsrichter stehen im Schatten der grossen Fussballer. Stört Sie das?

M.B.: Nein, aber ich bin der Meinung, dass die Spielleitung extrem wichtig ist und Schiedsrichter mehr Aufmerksamkeit bedürften. Die Spieler haben häufig ideale Bedingungen, während wir unter der Woche unserem Job nachgehen müssen. Wir stellen unsere Trainingspläne selber auf und organisieren die Vereinbarkeit mit dem Beruf.

swissinfo: Was bedeutet Ihnen die WM?

M.B.: Das steigende WM-Fieber spiegelt das enorme Interesse an diesem so populären Sport. Meine Teilnahme hat bei den Leuten Neugierde geweckt. Viele sprechen mich an. Es gefällt mir, meine Arbeit auf dem Spielfeld zu erklären.

Es gibt keine Panini-Klebebilder von Schiedsrichtern, und doch ist unsere Aufgabe bei der Weltmeisterschaft von zentraler Bedeutung.

swissinfo, Françoise Gehring, Monte Carasso
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Die Fussball-WM in Deutschland dauert vom 9. Juni bis 9. Juli. An der Endrunde nehmen 32 Mannschaften teil, darunter das Schweizer Nationalteam.

Die Schweiz ist während der WM auch durch Schiedsrichter Massimo Busacca vertreten. Der 37-jährige Tessiner erhielt vom Weltfussballverband (FIFA) gemeinsam mit seinen Assistenten Francesco Buragina (40) und Matthias Arnet (38) den Zuschlag.

Insgesamt hat die Fifa 23 WM-Schiedsrichter-Trios ausgewählt – davon zehn aus Europa. Jeder Schiedsrichter sowie dessen Assistenten erhalten für die Dauer der WM 40’000 Dollar sowie eine Tagesspesenpauschale von 100 Dollar.

Massimo Busacca ist von Beruf Wirt. Er spricht mehrere Sprachen und hat auch Panini-Abziehbilder von Weltmeisterschaften gesammelt. Hobbys: Gute Küche, Reisen und Skifahren.

Der 37-jährige Massimo Busacca wurde in Bellinzona, Hauptstadt des Kantons Tessin, geboren.

Er ist seit 1996 Schiedsrichter in der obersten Schweizer Spielklasse (Super League, ehemals Nationalliga A).

Seit 1998 ist Busacca internationaler Schiedsrichter.


Am 14. Juni leitet er in Leipzig das Gruppenspiel Spanien-Ukraine.

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