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Die futuristische Bibliothek auf dem ETH-Campus

Filigran, geschwungen und transparent: Das Rolex Learning Center. Keystone

Lausanne ist um eine architektonische Attraktion reicher: Das Rolex Learning Center des japanischen Architekturbüros Sanaa auf dem Campus der ETH Lausanne ist seit Montag offiziell in Betrieb.

Der 1978 eröffnete Campus der ETH Lausanne entwickelt sich immer mehr zu einem Zentrum der zeitgenössischer Architektur.

Zu den bisherigen spektakulären neuen Bauten wie dem Kommunikations-Gebäude von Rodolphe Luscher, dem Life-Science-Gebäude von Devanthéry & Lamunière und dem Wissenschaftspark von Richter & Dahl Rocha kommt nun die neue Bibliothek der japanischen Stararchitekten Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa (Sanaa) hinzu.

“Es sieht sehr waghalsig aus, aber das war unsere Absicht”, sagt der Präsident der ETH Lausanne, Patrick Aebischer. “Wir wollen eine der weltweit besten Hochschulen für Technologie werden. Dazu brauchen wir ein Flaggschiff-Gebäude mit globaler Strahlkraft.”

Das Rolex Learning Centre ist mit einer Fläche von 19’000 Quadratmetern doppelt so gross wie ein Fussballplatz. Im Innern befinden sich eine Bibliothek mit 500’000 Büchern, virtuelle Datenbanken, eine Mensa, Restaurants, eine Bank sowie Arbeitsräume für bis zu 900 Studentinnen und Studenten.

Keine Wände, keine Treppen

Die gewellte Betonschalen-Landschaft erinnert aus der Vogelperspektive an einen Emmentaler-Käse. An den Baukosten beteiligten sich zu je 50% die Eidgenossenschaft und private Sponsoren, namentlich die Uhrenfirma Rolex.

“Wir wollten eine Art Park bauen, ein Raum, in dem die Menschen zusammen kommunizieren können”, sagt die Architektin Kazuyo Sejima. Im Innern hat es weder Treppen, noch Wände, sondern Wellen, kleine Hügel, Täler und Hochebenen, welche die verschiedenen Arbeitsbereiche abtrennen.

“Menschliche Bewegungen erfolgen nicht immer gradlinig, sie sind organisch und haben Kurven”, sagt dazu der Architekt Ryue Nishizawa. “Mit geraden Linien können wir lediglich Kreuzungen bauen, mit Kurven sind hingegen vielfältige Wechselwirkungen möglich.”

Hochkomplexe Statik

Die spezielle Innenarchitektur ziele darauf ab, die interdisziplinare Forschung und informelle Begegnungen zu fördern sowie Barrieren abzubauen, sagt der ETH-Präsident.

Die organische und minimalistische Form, die Kurven, die schiefen Ebenen und Dächer täuschen darüber hinweg, dass der Bau die Ingenieure, Statiker und Bauphysiker vor grosse Probleme stellte.

Zuerst hielten die beteiligten Ingenieurbüros den Entwurf für nicht umsetzbar. Schlussendlich fanden Brückenbau-Spezialisten eine Lösung für die hochkomplexen Höhlen- und Hügelformen. Die Dächer werden nun von elf Unterspannbogen getragen, die ihrerseits durch unterirdische Spannkabel verankert sind.

Wie in einer Kathedrale

Energietechnisch erfüllt das Gebäude die Anforderungen des Minergie-Standards. Es wird zu grossen Teilen durch natürliche Ventilation gekühlt.

Der Westschweizer Architektur-Experte Francesco della Casa lobt das Learning Center als “sehr feminines, nicht hierarchisches Gebäude. Man befindet sich in einem begrenzten Raum und hat dennoch Kontakt mit den Nachbarn und mit der Welt draussen”.

Das Gebäude werde von einigen Architekten kritisiert und missverstanden, so della Casa weiter. “Sie brauchen Zeit, um es zu entdecken, denn es gibt bisher keine vergleichbaren Bauten. Auch der Eiffel-Turm wurde seinerzeit massiv kritisiert.”

Wie die 4000 Forscher und 7000 Studenten der ETH Lausanne die Bibliothek und die Studienräume erleben werden, bleibt abzuwarten. “Das Risiko, dass sie sich wie in einer Kathedrale fühlen, ist sicher vorhanden. Die Stimmung ist zauberhaft. Da braucht es Zeit, um sich daran zu gewöhnen”, sagt della Casa.

Simon Bradley, Lausanne, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Andreas Keiser)

Kazuyo Sejima (1956 geboren) und ihr zehn Jahre jüngerer Partner Ryue Nishizawa sind zusammen mit Toyo Itu, Shigeru Ban und Tadao Ando die weltweit bekanntesten japanischen Architekten.

1995 gründeten die beiden das Büro Sanaa.

Ihr erstes Gebäude ausserhalb von Asien bauten sie in Essen (2006: Zollverein School of Management and Design) und in New York (2007: New Museum of Contemporary Art).

Von 2005 bis 2006 waren die beiden Gastdozenten an der ETH Lausanne.

Das erste Gebäude von Sanaa in der Schweiz wurde 2006 fertig gebaut und steht auf dem Novartis-Campus in Basel.

Zurzeit entsteht in Weil am Rhein (Deutschland) eine Produktionshalle für den Möbelhersteller Vitra.

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