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“Iran spielte nie eine Rolle bei der Gründung von Terror-Organisationen”

Beschreibung für Blinde
IS-Attacke auf das iranische Parlamentsgebäude in Teheran am 7. Juni 2017. Keystone

Der Iran, Erzrivale des sunnitischen Königreichs Saudi-Arabien, hat bis jetzt immer stolz verkündet, das schiitische Land sei das sicherste im Nahen Osten. Nach einem Doppelanschlag sieht die Lage anders aus. 

Nach Angaben der Regierung waren die Selbstmordattentäter Iraner, die sich der Extremisten-Miliz IS angeschlossen hatten. Die Attentäter hatten das Parlament und das Grabmal von Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini angegriffen. Dabei starben nach Angaben der Behörden mindestens zwölf Menschen.

Die Situation in der Region hat sich in den letzten Tagen massiv verschärft: Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Ägypten und der Jemen hatten am Montag alle diplomatischen Kontakte zu Katar abgebrochen. Die arabischen Staaten beschuldigen Katar, Terrororganisationen wie den IS zu unterstützen. Gleichzeitig stossen sie sich an den angeblich guten Beziehungen Katars zum Iran. Das sunnitische Königreich Saudi-Arabien sieht in Teheran einen Erzrivalen in der Region. Der Iran hat Katar Hilfe angeboten.

Vor den Anschlägen in Teheran und den erhöhten Spannungen in der Region hat swissinfo.ch mit Mohammed-Reza DjaliliExterner Link, Honorarprofessor am HochschulinstitutExterner Link für Internationale Studien und Entwicklung in Genf, ein Interview geführt. Er schätzt, dass Iran davor steht, die Seite seiner Geschichte umzublättern, die 1979 mit der Khomeini-Revolution aufgeschlagen worden war.

Mohammad-Reza Djalili
Mohammad-Reza Djalili swissinfo.ch

swissinfo.ch: Da ist der offensichtliche Wunsch der US-Administration unter Präsident Donald Trump, Iran in Schach zu halten und dem Land eine verstärkte sunnitische Achse entgegen zu setzen. Wie wirkt sich das im Iran selbst aus?

M-R.D.: Die Wiederbelebung dieser militant anti-iranischen Politik ist die beste Hilfe, die man den Konservativen im Iran leisten kann. Noch dazu, indem man sich entscheidet, die konservativsten sunnitischen Länder zu unterstützen, welche die Entstehung von extremistischen Bewegungen wie die der Salafisten und anderen am meisten begünstigt haben. Iran spielte nie eine Rolle bei der Gründung von Al Kaida, Al Nusra oder dem Islamischen Staat IS. Das sind Dschihadisten-Gruppen, die alle anti-iranisch eingestellt sind. IS und den Iran auf die gleiche Stufe zu stellen und von einer Achse des BösenExterner Link zu reden, wie es Trump in Riad tat, ist daher schlicht eine Aberration.

swissinfo.ch: Wirkt dies auch der Öffnung Irans entgegen, vor allem auf wirtschaftlicher Ebene? Werden so ausländische Investoren, darunter Schweizer, vertrieben?

M-R.D.: Die Investoren meiden nicht Iran, sondern die US-Sanktionen. Asiatische und europäische Investoren haben grosses Interesse am iranischen Markt. Sie haben die notwendigen Kontakte bereits geknüpft. Um voranzukommen, müssen einerseits die Iraner ihre Beziehungen zu Westeuropa verstärken, das seinerseits Druck ausüben sollte auf die USA. Und zwar, damit Washington das Nuklearabkommen mit Iran nicht in Frage stellt und die europäischen Banken mit Iran arbeiten lässt. Die Schweizer Banken sind mit den gleichen Problemen konfrontiert wie die übrigen europäischen Banken, während die SchweizExterner Link sehr gute BeziehungenExterner Link zu Iran hat und in dem Land ein sehr positives, gutes Image geniesst. Und das schon seit langer Zeit.

swissinfo.ch: Aber vor allem die Golfländer bezichtigen Iran einer expansionistischen Politik.

M-R.D.: Nehmen wir den Fall der iranischen Raketen, neben den Menschenrechten und der Unterstützung des Terrorismus eines der drei Motive für die von den USA seit den Anfängen der Revolution verfügten Sanktionen. Die Iraner können in der Raketenfrage nicht nachgeben, weil sie die Atomwaffe als Abschreckungswaffe aufgegeben haben. Man muss wissen, dass das iranische Militärbudget sechs Mal kleiner ist als das Saudi-Arabiens. Iran hat keine Luftwaffe, die in der Lage wäre, das Land vor einem allfälligen Angriff zu beschützen. Das ist der Grund für den Wunsch Teherans, Raketen zu besorgen oder zu produzieren, um im Fall eines Angriffs reagieren zu können. In der Tat wird viel über iranische Expansionsgelüste gesprochen. In den letzten Jahren hat Teheran aber nur Gelegenheiten genutzt, die sich ergaben, wie zum Beispiel 2003 nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak durch die USA. Iran hat schlicht und einfach nicht die notwendigen Mittel für diese angebliche Expansionspolitik. Die Summen, die Saudi-Arabien für die Bombardierungen im Jemen ausgegeben hat, sind sehr viel bedeutender, als alles, was Iran in den vergangenen 38 Jahren ausgeben konnte, um seine islamische Revolution zu exportieren. Deshalb muss man unbedingt diplomatische Lösungen finden für die regionalen Probleme sowie eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Teheran und Riad fördern.

swissinfo.ch: Wie sieht die iranische Gesellschaft derzeit aus?

Mohammad-Reza Djalili: Der Durchschnittsiraner wünscht sich grundsätzlich zwei Dinge. Einerseits, eine Verbesserung des Lebensstandards, weil die wirtschaftliche Situation der Armen nach wie vor beunruhigend ist. Zweitens zeigten die Wahlen einen klaren Willen für eine Öffnung gegenüber dem Rest der Welt. Die Bekräftigung eines revolutionären Staats, der im Widerspruch zum Rest der Welt steht, weicht langsam aber sicher dem Wunsch nach Normalisierung und Entspannung mit der Aussenwelt. Viele Iraner sind nach 38 Jahren der revolutionären Reden überdrüssig geworden. Die iranische Gesellschaft sucht einen Abbau der Spannungen. Doch das Regime hat Mühe damit, seine revolutionären Strukturen zu ändern. Die islamischen Gerichte sind nach wie vor da und verteidigen diese revolutionäre Vision, ebenso wie eine Reihe revolutionärer Institutionen, die parallel zu staatlichen Institutionen existieren. 

swissinfo.ch: Dann bleibt immer noch die Verwicklung Teherans in Syrien auf der Seite des Regimes von Baschar al-Assad.

M-R.D.: Sicher. Aber die Iraner sind lange nicht die Einzigen, die in Syrien engagiert sind, sondern auch die Russen, die Türken, die Saudis und Katarer. Die Iraner tragen eine grosse Verantwortung für die Unterstützung des kriminellen Assad-Regimes. Aber sie sind nicht für alles verantwortlich, das in Syrien geschieht. Auf jeden Fall wird man die Konflikte im Nahen Osten nicht lösen können, wenn man Iran zum Sündenbock stempelt.

Drei lachende Frauen mit Kopfbedeckung zeigen ihre Wahlzettel.
Rohani-Wählerinnen in einem Wahllokal in der Hauptstadt Teheran. Keystone

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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